Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze - Thomas  Wolfe


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das Gesicht! Das Schreckgespenst, das sich an meinen Qualen weidet! Schau Dir's an! Schau Dir's an! Siehst Du das böse, teuflische Lächeln? Greeley, Will, der alte Major, das Schwein! Der Steuereinnehmer wird alles kriegen, und ich werde in der Gosse verrecken!«

      »Wenn ich nicht gewesen wäre, wärst Du schon längst in der Gosse verreckt!« entgegnete Eliza bitter und spitz.

      »Um Himmels willen, Mama!« schrie Eugen. »Stell Dich doch nicht dahin und antworte ihm. Siehst Du nicht, daß Du ihn wahnsinnig machst? Geh und ruf Helene her!«

      »Jetzt wird ein Ende gemacht«, schrie Gant und riß sich hoch. »Jetzt mach ich Schluß mit uns beiden!«

      Eliza verschwand.

      »Aber Papa! Ja ja! Es ist ja schon gut!« beschwichtigte Eugen und drückte Gant aufs Bett zurück. Er kniete hin und machte sich schnell daran, Gants Zugstiefel auszuziehn. »Ja ja, es ist ja schon gut. Gleich kriegst Du heiße Suppe und wirst schön ins Bett gesteckt, das geht wie im Handumdrehn, und dann ist ja alles in Ordnung …« Er lupfte einen Stiefel los, Gant trat heftig aus, und Eugen, den Stiefel in der Hand, taumelte zurück und fiel der Länge nach auf den Rücken.

      Gant riß sich hoch, stand auf, gab seinem gefallnen Sohn noch einen Tritt und steuerte auf die Tür zu. Eugen sprang geschwind hoch und versuchte ihn mit aller Gewalt zurückzuhalten. Die beiden fielen schwer gegen die gipsverputzte, rauhkörnige Wand. Gant fluchte und schlug wild um sich.

      Helene trat ein.

      »Baby!« weinte Gant. »Sie wollen mich umbringen! O Jesus! Hilf mir oder ich verderbe!«

      »Vorwärts! Mach, daß Du auf das Bett da kommst, oder ich reiß Dir den Kopf runter!« befahl Helene scharf.

      Sehr gehorsam und willig ließ er sich von ihr zum Bett zurückführen. Sie zog ihn aus. Ein paar Minuten später saß sie bei ihm am Bettrand und löffelte ihm heiße Suppe ein. Er grinste wie ein Hammel, tat gehorsam den Mund auf. Sie lachte; beinahe glücklich lachte sie im Gedächtnis der verlornen, unwiederbringlichen Jahre. Plötzlich, im Einschlafen richtete er sich jählings auf, stierte wild und erschreckt und fragte:

      »Ist es Krebs? Sag mir, ist es Krebs?«

      »Pst!« beschwichtigte sie. »Nein, natürlich nicht. Sei doch nicht so töricht!«

      Erschöpft sank er in die Kissen zurück, schloß die Augen. Aber sie wußten alle, was es war. Sie hatten es ihm nie gesagt. Niemand in der Familie außer ihm sprach den furchtbaren Namen seiner Krankheit in seinem Beisein aus. Und in seinem Herzen wußte er, so gut wie sie, daß es Krebs war. Den ganzen Tag über hatte Gant unter seinen Marmorbildern gesessen und hatte getrunken. Es war Krebs.

      Eugen blutete ziemlich stark aus einer Schürfwunde. Sein Vater, als er ihm das Handgelenk mit der ganzen Wucht seines Körpergewichts gegen die Wand gepreßt hatte, hatte sie ihm beigebracht.

      »Geh und wasch die Wunde aus«, sagte Helene. »Ich verbinde sie Dir dann.«

      Er ging in das dunkle Badezimmer und hielt seine Hand unter den lauwarmen Wasserstrahl. Mit dem dumpfen Frieden, der brütend auf dem Haus lag, war eine stille Verzweiflung, in ihn eingezogen. Die Gäste waren in die benachbarten Pensionen geflohen, hatten dort gegessen, hatten sich zerstreut und waren noch nicht zurückgekehrt. Ihre Abwesenheit brachte Frieden und Befreiung. Eugen hatte ein Gefühl, als ob schwere Ketten von seinen Gliedern gelöst worden wären. Eliza hockte in der Küche und flennte über das umsonst bereitete Nachtessen ihren stillen Jammer aus. Die Negerköchin saß stumpfsinnig traurig vorm Herd. Eugen ging langsam durch die dunkle Diele. Er spürte die tiefe Ruhe, die mit der Verzweiflung kommt. Das scharfe Schwert war durch den dünnen Panzer seines Stolzes gedrungen; der Stahl hatte ihn ins Herz getroffen. Aber unter der. Rüstung hatte er sich selbst gefunden. Nichts andres als der wirkliche Eugen konnte nun erkannt werden; Ausflüchte und Vorspiegelungen hatten keinen Sinn mehr. Er war aufrichtig froh darüber. Er war – er. Es gab nichts mehr zu verhehlen.

      Neben der Tür auf der dunklen Terrasse fand er Laura James.

      »Ich dachte, Sie wären mit den andern gegangen«, sagte er.

      »Nein«, sagte Laura James. »Wie geht's Ihrem Vater jetzt?«

      »Er ist soweit in Ordnung, er schläft«, sagte er. »Haben Sie was gegessen?«

      »Nein«, sagte sie. »Ich mochte nichts.«

      »Ich werde Ihnen was aus der Küche bringen«, erbot er sich. »Es ist genug dort.« Und dann, nach einer kleinen Pause, sagte er: »Es tut mir aufrichtig leid, Laura.«

      »Was sollte Ihnen denn leid tun?« fragte sie.

      Er lehnte sich gegen die Wand; seine Kräfte verließen ihn, als sie ihn berührte.

      »Eugen, mein Lieber«, sagte sie. Sie nahm seinen Kopf in ihre Hände und küßte ihn. »Mein Liebster, mein Süßer, sei doch nicht traurig!«

      Aller Widerstand schmolz. Er nahm ihre kleinen Hände, preßte sie mit seinen heißen Fingern und bedeckte sie mit Küssen.

      »Laura, Liebste, Laura, Liebste!« sagte er mit erstickter Stimme. »Meine liebe, süße, schöne, liebliche Laura, ich lieb Dich, ich lieb Dich!« Die Worte stürzten aus ihm heraus, unzusammenhängend, unbeschämt, schäumend durch den zerbrochnen Damm des Stolzes und der Stille. Sie umarmten sich im Dunkel, Mund auf Mund gepreßt, mit tränenfeuchten Gesichtern. Er war trunken von ihrem Duft; ihre Berührung fuhr ihm wie ein Zauber in die Glieder; er spürte den Druck ihrer festen, kleinen Brüste und bangte: ihm war, als hätte er, der Besudelte, sie entehrt.

      Er hielt ihren wohlgeformten kleinen Kopf in den Händen und sagte demütig vor Liebe:

      »Geh nicht fort, bitte, geh nicht fort von mir!«

      »Sei still«, sagte sie. »Ich bleibe ja da. Ich liebe Dich, Liebster, Liebster!«

      Sie sah den blutigen Verband an seiner Hand. Sie loste ihn sorgfältig ab unter zärtlichen, kleinen Ausrufen. Sie holte ein Fläschchen Jodtinktur aus ihrem Zimmer und bepinselte die brennende Wunde. Sie verband sie mit sauberen Streifen weißen Stoffs, die sie von einer alten Bluse gerissen hatte; er roch matt nach einem erlesenen Parfüm.

      Dann saßen sie auf der hölzernen Sitzschaukel. Es war still im Haus. Eliza und Helene erschienen.

      »Wie steht's mit Deiner Hand, Eugen?« fragte Helene.

      »Alles in Ordnung«, sagte er.

      »Zeig mal! Aha, Du hast schon eine Pflegerin, was?« sagte sie gutmütig lachend.

      »Was ist das? Was ist das? Er hat sich an der Hand verletzt? Wie denn? Ei, wie denn? Ei, wieso denn? Ei, da habe ich gerade das Richtige dafür!« sagte Eliza und wollte gleichzeitig nach allen Richtungen davonlaufen, um das Richtige zu holen.

      »Es ist ja schon alles in Ordnung, Mama«, sagte Eugen. Es fiel ihm bei, daß Eliza das Richtige immer zu spät zur Hand hätte.

      Er sah Helene grinsend an.

      »Gott schütze unser trautes Heim!« sagte er.

      »Arme Laura«, sagte sie und tätschelte das Mädchen. »Zu schlimm, daß Sie in diese Sache reingezogen wurden.«

      »Ach, das macht nichts«, sagte Laura. »Irgendwie komme ich mir nun wie eins aus der Familie vor.«

      »Er soll sich nicht einbilden, daß er es so weiter treiben kann«, grollte Eliza. »Ich mach das nicht länger mit.«

      »Ach, vergiß drauf!« sagte Helene trübselig. »Guter Himmel! Mama! Papa ist ein schwerkranker Mann, bist Du Dir denn nicht klar darüber?«

      »I wo!« erklärte Eliza verächtlich. »Ich glaube nicht, daß ihm wirklich was fehlt. Das kommt alles nur von diesem gemeinen Alkohol. Der ist an allem Unglück schuld.«

      »Lachhaft!« rief Helene geärgert. »Das kannst Du doch unmöglich im Ernst behaupten!«

      »Reden wir lieber vom Wetter!« schlug Eugen vor.

      Sie saßen eine Weile schweigend da und tranken die Dunkelheit ein. Schließlich gingen Eliza und Helene ins Haus zurück. Eliza ging nur unwillig, auf Helenes dringliche Aufforderung hin. Sie


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