Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe
Dixieland. Hochmütig-scheu sprach Eugen mit ihr. Er hielt sie für platt und langweilig. Aber er fing an, abends mit ihr auf der Terrasse zu sitzen. Und irgendwie fing er an, sie zu lieben.
Er wußte es aber nicht. Sie saß neben ihm auf der hölzernen Schwingschaukel, und er redete anmaßendes Zeug. Er atmete den reinen Duft ihres wunderbaren jungen Körpers ein. Er war von der sanften Grausamkeit ihrer klaren, grünen Augen eingefangen, in das feine Netz ihres Lächelns verstrickt.
Laura James kam aus einer kleinen Stadt an einem Salzfluß in der Küstenebene, die im Osten des großen Staates lag, weit östlich sogar noch von Pulpit Hill. Ihr Vater war ein reicher Kaufmann, Grossist. Die Tochter war ein einziges Kind, sie gab großzügig Geld aus.
Eugen saß eines Abends auf dem Terrassengeländer und fing eine Unterhaltung mit ihr an. Zuvor hatte er sie lediglich gegrüßt oder ein paar steife Worte mit ihr gewechselt. Sie kamen zögernd ins Gespräch, wurden sich der Pausen in ihrer Unterhaltung sehr bewußt.
»Sie sind aus Little Richmond, nicht wahr?« sagte er.
»Ja«, sagte Laura James. »Kennen Sie Leute von dort?«
»Ja«, sagte er. »Ich kenne John Bynum und einen Jungen namens Ficklen. Die sind aus Little Richmond, wenn ich nicht irre.«
»Ach, David Ficklen! So, Sie kennen ihn! Ja, die beiden studieren in Pulpit Hill. Studieren Sie auch dort?«
»Ja«, sagte er. »Ebendorther kenne ich sie.«
»Kennen Sie die beiden jungen Barlows? Sie sind Sigma Nus«, fragte Laura James.
Er kannte sie vom Sehen: Mordskerle, Fußballspieler.
»Ja, bekannt sind sie mir«, sagte er. »Roy Barlow und Jack Barlow.«
»Und kennen Sie ›Snoks‹ Warren? Er ist ein Kappa Sig.«
»Gewiß. Wir nennen die Kappa Sigs Keg-Sqeezers«, sagte Eugen.
»Welcher Bruderschaft gehören Sie an?« fragte Laura James.
»Keiner«, sagte er peinlich berührt. »Ich war Freshman dieses Jahr.«
»Einige meiner besten Freunde sind nie in Bruderschaften eingetreten«, sagte Laura James.
Sie trafen sich öfter und öfter, bis sie schließlich unverabredet, auf stillschweigende Vereinbarung hin allabendlich auf der Terrasse zusammenkamen. Manchmal gingen sie in den kühlen, dunklen Straßen spazieren. Manchmal geleitete er sie als ihr Kavalier ins Kino und schob hernach mit ihr mit der peinlichen Herausforderungssucht der Jugend an dem Schwarm der schaulustigen Galane vorüber, der vor der großen Drogerie herumlungerte. Manchmal nahm er sie mit in die Woodson Street, wo Helene die beiden auf der kühlen Rebenterrasse alleinließ. Sie mochte Laura James sehr gern.
»Ein netter, lieber Kerl, sie gefällt mir. Schönheitspreise wird sie wohl nicht kriegen, was?« Sie lachte. Eine Spur gutmütigen Spotts war in diesem Lachen.
Er war ein bißchen gekränkt.
»Sie sieht tadellos aus«, sagte er. »Längst nicht so häßlich, wie Du sie hinstellst.«
Trotzdem: sie war häßlich, von einer sauberen, liebenswerten Häßlichkeit. Ihr Gesicht war sommersprossig über die ganze Nasen- und Mundpartie hinweg. Ihre unregelmäßigen Züge hatten einen unbewußt-kecken, etwas schnippischen Ausdruck. Aber sie war hervorragend schön und edel gebaut und tadellos gepflegt. Sie hatte firme, junge, frühlingshafte Linien, knospend, schlank und jungfräulich. Sie war wie ein schnelles, beflügeltes Wesen, das in Wäldern umhuscht unterm frischausgelaubten Gezweig, unerwartet, ungesehn, ungefangen.
Er bemühte sich, Eindruck zu schinden und zu glänzen. Er trug vor ihr den Panzer aus Gleichmut und Stolz. Vielleicht, so hoffte er, würde sie dann die Häßlichkeit und Unordnung, die Gemeinheit und Peinlichkeit der Welt, in der er lebte, nicht bemerken.
Eines Abends unterhielt er sich mit ihr in der einfallenden Dämmerung. Die Hausgäste waren alle auf der großen Terrasse versammelt. Es war längst Zeit zum Abendessen. Die Gäste unterhielten sich, witzelten, lachten; schließlich wurden sie mürrisch; sie wippten und schwangen ungeduldig in den Stühlen und Sitzschaukeln. Elizas Gesicht, bleich in der Dunkelheit, glomm auf hinter dem holzgerahmten Fliegendraht der Sommertür.
»Kommen Sie, Mistress Gant, und schöpfen Sie ein bißchen frische Luft«, sagte Laura James.
»Ach nein, Kind, ich kann jetzt nicht abkommen. Wer ist da bei Ihnen? Ist es Eugen? Haben Sie ihn gesehn?«
»Ja, ich bin's«, sagte er. »Was ist los?«
»Komm mal 'nen Augenblick her, Eugen«, sagte Eliza.
Er ging zu ihr in die Diele.
»Was ist?« fragte er.
»Was ist? Ei, ich weiß selbst nicht, Sohn. Du mußt etwas tun.« Sie rang die Hände.
»Ei, was ist denn?! Sag's doch, Mama!« begehrte er erregt auf.
»Wieso? Wieso? Ja, Jannadeau hat gerade angerufen. Dein Vater tobt wieder mal vor Besoffenheit. Er ist unterwegs hierher, Kind! Und ich hab' das Haus voll Leute! Unvorstellbar, wie er sich aufführen wird. Er wird uns ruinieren!« Sie flennte. »Geh und versuch ihn aufzuhalten! Lenke ihn ab! Bring ihn in die Woodson Street!«
Er nahm seinen Hut und rannte. Die Fliegentür fiel hinter ihm zu.
»Wohin geh'n Sie?« fragte Laura James. »Und ohne Abendessen?«
»Ich muß schnell in die Stadt«, sagte er. »Bin bald wieder zurück. Wollen Sie auf mich warten?«
»Ja«, sagte Laura James.
Er sprang den Vorgartenweg hinunter. Sein Vater bog gerade um die hohe Hecke des Nachbargartens, er kam ihm entgegen. Gant schwankte bedenklich, trampelte auf ein Gladiolenbeet, steuerte haltlos mit großen, plumpen Schritten auf die Terrasse. Er stolperte auf der untersten Treppenstufe, fluchte, fiel vornüber auf die Terrasse, Eugen sprang hinzu und half ihm auf die Beine. Die Hausgäste waren aufgeschreckt. Gant begrüßte sie mit dem heulenden Gelächter seiner Verachtung:
»Seid Ihr da? Heh! Ob Ihr da seid, frag ich! Ihr Niedrigsten unter den Niedrigen, Ihr Boardinghouse-Schweine! Was für eine Travestie auf die Natur! Was für eine Travestie! Dahin mußte es kommen!«
Er brach in ein langgezognes, wahnwitziges Gelächter aus.
»Papa, komm! Geh mit!« sagte Eugen leis und zupfte seinen Vater am Ärmel. Gant gab ihm einen Stoß, daß er zurücktaumelte. Als Eugen geschwind zurücksprang, schlug Gant mit gestrecktem Arm nach ihm aus. Eugen wich der großen Faust aus, duckte sich; Gant verlor das Gleichgewicht, schwankte. Eugen fing ihn auf, schob ihn auf die Tür zu. Die Hausgäste flohen wie aufgescheuchte Spatzen. Aber Laura James war vor ihm an der Tür und hielt sie auf. Sie hatte keine Angst.
»Gehn Sie weg! bitte! Gehn Sie weg!« sagte er. Beschämt, verärgert. Einen Augenblick lang haßte er sie, weil sie ihn in dieser Lage gesehen hatte.
»Lassen Sie mich behilflich sein«, flüsterte sie. Ihre Augen waren feucht.
Vater und Sohn schwankten durch die große, halberhellte Diele. Eliza, weinend und gestikulierend, ging vor ihnen her.
»Führ ihn hier herein, hier!« flüsterte Eliza und deutete auf ein Zimmer. Eugen bugsierte seinen Vater durch eine blinde Passage, die zu einem Badezimmer führte, durch die Zimmertür zur Seite und warf ihn auf das Bett. Die eiserne Bettstelle krachte.
»Verdammter Schuft!« gellte Gant und schlug mit gerecktem Arm nach ihm aus. »Hilf mir auf, oder ich bring Dich um!«
Eugen war aufgebracht. »Um Gottes willen, Papa, sei doch still!« flehte er. »Die ganze Stadt kann Dich hören!«
»Zur Hölle mit der Bande!« brüllte Gant. »Verdammte Bergbankerte! Sie haben sich an meinem Herzblut gemästet! Sie haben mich an den Rand des Todes gebracht! So wahr ein Gott im Himmel ist, das haben sie mir getan!«
Eliza erschien in der Tür, weinend, mit verkrampftem Gesicht.
»Halt ihn zurück, Sohn! Halt ihn zurück«, bettelte sie. »Er wird uns ruinieren, er wird uns die Gäste vertreiben!«
Gant