Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman. Marie Francoise
Sie die Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrgenommen haben.« Dr. Kastner wurde ernst. »Damit sind Sie ein großes Risiko eingegangen. Wenn Dr. Daniel nicht so schnell reagiert hätte, dann wäre es für Ihr Baby vielleicht zu spät gewesen.«
Bei diesen Worten fuhr Susanne der Schreck sogar jetzt noch in alle Glieder.
»Ich werde so etwas nie wieder tun«, schwor sie, dann fiel ihr ein, daß sie nur schwerlich wieder in eine solche Lage würde geraten können.
Schließlich war Stefanie ein uneheliches Kind, und es war nicht zu erwarten daß sie jemals wieder schwanger werden würde.
»Was ist denn los, Frau Hartwig?« fragte Dr. Kastner besorgt. »Sie sehen plötzlich so traurig aus.«
Susanne seufzte. »Mir fiel gerade ein, daß ich wohl kaum ein zweites Baby werden haben können.«
»Wegen des Kaiserschnitts?« Dr. Kastner winkte ab. »Das ist doch Unsinn, Frau Hartwig! Selbstverständlich können Sie weitere Babys bekommen, und das nächste kommt vielleicht ganz normal zur Welt.«
»Das ist es nicht«, entgegnete Susanne mit leiser Melancholie. »Ich… bin nicht verheiratet. Stefanie ist das Ergebnis einer… Vereinbarung. Ich wollte ein Baby, aber keinen Mann.«
Völlig konsterniert starrte Dr. Kastner sie an. So etwas hatte er noch nie erlebt, und unwillkürlich fragte er sich, was das für ihn bedeutete. Denn das rasende Herzklopfen, das er in Susannes Nähe hatte, war kaum anders zu deuten, als daß er sich auf den ersten Blick in sie verliebt hatte.
*
Am Donnerstag abend machte sich Dr. Daniel auf den Weg zu dem Ehepaar Stöber, um das längst fällige Gespräch zu führen. Die beiden erwarteten den Arzt auch schon, und Darinka war ebenfalls dort. Doch sie stand auf, als Dr. Daniel eintrat. »Ich glaube, ich gehe besser auf mein Zimmer«, meinte sie und konnte nicht verhindern, daß sich eine verräterische Röte auf ihrem Gesicht ausbreitete.
Dr. Daniel verstand diese Verlegenheit nur zu gut. Schließlich ging es ja um ihre intimsten Probleme, über die Dr. Daniel mit ihren Großeltern sprechen wollte.
»Das ist in Ordnung, Darinka«, meinte er, legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie einen Augenblick an sich. »Keine Sorge, es kommt alles in Ordnung«, flüsterte er ihr dabei zu.
»Danke, Herr Doktor«, entgegnete sie ebenso leise, dann verließ sie das Wohnzimmer, während Dr. Daniel auf Konrad Stöbers Aufforderung hin Platz nahm.
»Also, Herr Doktor, worüber möchten Sie mit uns sprechen?« fragte er, dann brachte er ein Lächeln zustande. »Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, was ein Frauenarzt von uns wollen könnte.«
»Es geht um Darinka«, kam Dr. Daniel gleich zur Sache. »Sie war am Montag bei mir in der Praxis.«
»Davon weiß ich ja gar nichts«, erklärte Martha Stöber erstaunt. »Was wollte das Kind denn bei Ihnen?«
»Tja, Frau Stöber, ich fürchte, das ist genau der Punkt. Sie scheinen übersehen zu haben, daß Darinka kein kleines Kind mehr ist. Sie kam zu mir, weil sie ihre Tage bekommen hatte.«
Martha Stöber errötete bis unter die Haarwurzeln, was Dr. Daniel nicht nur bemerkte, sondern auch zu deuten wußte. Es war ihr sichtlich unangenehm, daß er ein solch intimes Thema anschnitt.
»Das Mädchen hatte Todesangst«, fuhr Dr. Daniel unbeirrt fort. »Sie war der festen Meinung, sterben zu müssen, weil sie sich das viele Blut, das sie plötzlich verlor, nicht erklären konnte.«
Martha Stöber zuckte die Schultern. »Na ja, jetzt weiß sie offensichtlich, was da los ist. Wir mußten das damals auch alles allein herausfinden.«
»Damals galten noch andere Regeln«, wandte Dr. Daniel ein. »Die Leute hielten alles, was mit dem Unterleib zusammenhing, für unanständig. Heute weiß jeder, daß das nicht stimmt. Und es ist dringend nötig, ein Mädchen in Darinkas Alter aufzuklären. Sie könnte sich mit einem jungen Mann einlassen, ohne zu wissen, wie ein Kind entsteht.«
»Das würde ich ihr nicht raten«, ließ sich Konrad Stöber vernehmen. »Sie ist erst zwölf. In diesem Alter hat man mit jungen Männern noch nichts zu schaffen.«
»Heutzutage schon«, entgegnete Dr. Daniel ernst. »Es ist keine Seltenheit, daß ich fünfzehnjährigen Mädchen die Pille verschreibe, weil sie schon einen festen Freund haben. Und so mit zwölf, dreizehn Jahren beginnt bei Mädchen nun mal das Interesse für das andere Geschlecht. Außerdem… es sind ja nicht nur die normalen Jungen-Mädchen-Beziehungen, über die Darinka Bescheid wissen sollte. Es gibt leider auch viele Männer, die so jungen Mädchen Gewalt antun.«
Wieder errötete Martha Stöber. »Aber über so etwas kann man doch nicht sprechen!«
»Man kann schon«, entgegnete Dr. Daniel, »aber ich sehe natürlich ein, daß Sie noch anders erzogen wurden und Ihnen derartige Themen schwer über die Lippen kommen. Dann sollten Sie aber zulassen, daß Darinka altersgerechte Zeitschriften liest. Es gibt heutzutage eine Menge Jugendmagazine, die Aufklärung betreiben.« Er lächelte. »Meine Tochter hat diese Zeitschriften nahezu verschlungen, als sein Darinkas Alter war.«
Völlig fassungslos starrte Martha Stöber ihn an. »Und Sie haben zugelassen, daß sie einen solchen Schund gelesen hat?«
Dr. Daniel nickte. »Ich habe es nicht nur zugelassen, sondern sogar befürwortet. Und wenn Sie einmal einen Blick in eine solche Zeitschrift werfen würden, dann würden Sie erkennen, daß es sich dabei nicht um Schund handelt. Da steht genau drin, was junge Mädchen lesen wollen – Berichte über Sänger und Schauspieler, die gerade, wie man heute so schön sagt, in sind. Und eben auch Berichte über Sexualität, und das ist in meinen Augen ein Thema, das für junge Menschen außerordentlich wichtig ist.« Dr. Daniel schwieg kurz, dann fuhr er fort: »Es geht aber nicht nur darum. Darinka ist durch Ihre Haltung auch im Begriff, bei Gleichaltrigen in eine Außenseiterposition zu gelangen.«
»Nur weil wir nicht über so unanständige Dinge sprechen?« brauste Martha Stöber auf. »Das glauben Sie doch selbst nicht!«
»Nein, das hat damit gar nichts zu tun«, meinte Dr. Daniel ruhig. »Es geht um Ihre Einstellung zu moderner Musik und auch zum Fernsehprogramm. Sehen Sie, Darinka ist jetzt in einem Alter, in dem sie für Kindersendungen schon zu groß ist. Da gibt es andere Filme und Serien, über die Mädchen ihres Alters sprechen wollen. Und diese jungen Leute hören eben auch andere Musik als Sie und ich beispielsweise. Das sollten Sie Darinka nicht verbieten.« Wieder lächelte er, um seinen Worten ihre allzu harte Schärfe zu nehmen. »In diesem Zusammenhang möchte ich auch Abhilfe schaffen. Ich habe draußen im Auto den Cassettenrecorder und den Fernseher meines Sohnes mitgebracht. Beides möchte ich Darinka schenken – sofern Sie damit einverstanden sind.«
Martha und Konrad Stöber wechselten einen Blick.
»Haben wir denn wirklich so viel falsch gemacht?« fragte Konrad Stöber leise. »Wir wollten immer nur das Beste für Darinka.«
»Das weiß ich doch«, meinte Dr. Daniel. »Und deshalb bin ich heute auch zu Ihnen gekommen. Ich war sicher, daß Sie nicht in böser Absicht handelten.« Er zögerte, dann fragte er: »Darf ich Darinka die Sachen nach oben bringen?«
Wieder wechselten die Eheleute einen Blick.
»Natürlich, Herr Doktor«, stimmte Konrad Stöber zu, während er aufstand. »Ich werde Ihnen helfen.«
Doch Dr. Daniel wehrte ab. »Das ist nicht nötig, Herr Stöber. So schwer sind die Sachen nicht.«
Er war schon an der Tür, als Konrad Stöber ihn noch mal zurückhielt.
»Können wir sonst noch etwas tun, Herr Doktor?« wollte er wissen. »Ich meine… wir wollen nicht, daß Darinka zu einer Außenseiterin wird. Sie soll doch glücklich sein.« Er senkte den Kopf. »Wenn Sie schon ohne Eltern aufwachsen muß.«
»Wenn Sie meine Ratschläge befolgen, dann kommt alles in Ordnung«, meinte Dr. Daniel. »Das heißt… eines noch. Geben Sie Darinka Taschengeld. Über die Höhe bin ich nicht