Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
grollte der Vizedom und reichte dem Regimentsrate die Urkunde aus dem Akte.
Hastig durchflog sie der alte Herr. Dann rief er mit einem Seufzer der Erleichterung: »Ei, da steht's ja schwarz auf weiß – ›. . . zwei Jahre lang mich ihrer zu enthalten und ihr in der Religion nichts einzureden.‹ – Euer Gnaden, hier steht's!«
»Ja wohl, hier steht's,« sagte der Vizedom und ging einen Schritt auf Kriemhofen zu. »Lügt das Weib?«
Der schwieg und sah trotzig auf den Hochgebietenden.
»So enthält also das Original, was der Portner wirklich gelobt hat?«
Er schwieg.
»Steht Rede!« fuhr der Vizedom auf und mußte heftig husten.
»Ja!« kam's trotzig von den Lippen des andern.
Der Regimentsrat rang wortlos die Hände und blickte an die vertäfelte Decke.
»Und am nächsten Morgen ist dann dem Gefangenen die veränderte Abschrift seines Gelöbnisses übergeben worden – nicht?«
Kriemhofen schwieg.
»Und das alles zu was End und Ziel?«
Kriemhofen schwieg. Dann verzerrte sich sein Gesicht, sein Mund öffnete sich und schloß sich, die Schlagader an seinem Halse klopfte sichtbar – doch er schwieg.
»Bubenstreich!« sagte der Vizedom.
Kriemhofen preßte die Zähne aufeinander, kreuzte die Arme und stierte den Hochgebietenden an.
Da reckte dieser die schlanke Gestalt und maß den Menschen und rief: »Aber du jammerst mich, weil ich an deinen Vater denke, den Ehrenmann.«
Kriemhofen ließ die Arme sinken, wandte sich und schwankte ans Fenster.
»Und um des Ehrenmannes willen schone ich den Sohn. Was Er zu thun hat, wird Er wissen. Verstanden?«
Kriemhofen wandte sich und sagte: »Ja!«
»Heute nachmittag liegt das Dimissionsgesuch auf meinem Tische! Verstanden?«
»Ich weiß, was ich zu thun habe,« murmelte Kriemhofen und wandte sich ans Fenster und stierte auf die Straße hinunter.
»Und Ihr,« sagte der Vizedom zum Regimentsrate, »Ihr setzet Euch und schreibt!«
Der alte Herr lief an seinen Platz, probierte die Feder auf dem Daumennagel und legte einen Bogen Papier zurecht.
Der Hochgebietende ging mit gesenktem Haupte einigemal auf und ab. Dann diktierte er:
»Daß laut des in denen Akten der kurfürstlichen Regierung zu Amberg aufbewahrten Originales der wohledle und gestrenge Hans Georg Portner von Theuern am zweiten November des laufenden sechzehnhundertneunundzwanzigsten Jahres –
Habt Ihr das?«
»Ja, Euer Gnaden!«
»– am 2. November 1629 versprochen, auch an Eides statt auf Handgelübde gelobt hat, sich der auch wohledeln und tugendreichen Jungfrau von Zant, seiner Verlobten, zwei Jahre lang zu enthalten und derselben inner dieser Zeit der Religion halber nichts einzureden, bekenne ich unterschriebener kurfürstlicher Vizedom. Datum Amberg, den 14. Dezember 1629.«
»Fertig?«
»Fertig, Euer Gnaden.«
»So, nun bringt mir's auf meine Stube, daß es gesiegelt und expediert werde!« befahl der Vizedom und schritt zur Thüre.
Mit zitternden Händen streute der alte Herr das Pulver auf die nassen Zeilen, nahm das Schriftstück und den Akt ›Hansjörg Portner von Theuern‹ und folgte dem Hochgebietenden wortlos auf dem Fuße nach. Und er schüttelte immerfort das Haupt.
*
Die Mittagsglocken läuteten über der Stadt, und die Stühle wurden gerückt im Regierungsgebäude wie alle Tage.
Mit rotem Kopfe, keuchend, kam der Regimentsrat in die vertäfelte Stube, schlüpfte in seinen Mantel, stülpte den Hut über den kahlen Scheitel und warf wie von ungefähr einen Blick auf den Mann im Erkerlein, der an seinem Pulte saß und den Kopf in den Armen vergraben hatte. Aber wortlos ging der alte Herr aus der Stube.
»Gesegnete Mahlzeit, Herr Kollega!« – »Danke, desgleichen!« – »Kalt heute, wird ein strenger Winter –« klang es aus dem hallenden Korridor durch die behagliche Stube in das Erkerlein und verklang in der Ferne.
Thüren schlugen, Schritte hallten, endlich wurde es ganz stille.
Kriemhofen hob den Kopf und sah verstört um sich. ›Ich weiß, was ich zu thun habe,‹ murmelte er, stützte die Fäuste auf das Pult und erhob sich langsam.
Den Korridor herunter kamen schlurfende Schritte, und es klang dabei wie Schlüsselgerassel.
Kriemhofen setzte sich und starrte auf ein Blatt Papier.
Die Thüre ward aufgestoßen, und ein eisgrauer Amtsknecht stand auf der Schwelle. »Ah, der Herr Sekretarius! Entschuldigt schon, ich hab' gemeint, es ist leer da herinnen. Der Herr Sekretarius wird hernach schon zusperren? Gesegnete Mahlzeit, Herr Sekretarius!«
Damit ging er und zog die Thüre hinter sich ins Schloß. ›Das ist doch der allerfleißigste, der Kriemhofen,‹ murmelte er und schlurfte den Korridor hinunter.
›Der weiß es auch schon, und der und der – und – die ganze Stadt,‹ murmelte Kriemhofen und erhob sich abermals und ging mit schweren Schritten hinab in die Stube.
Da erklang das Thürschloß, und die Falle glitt vom Bügel herab. Ein kleiner Spalt stand offen.
Kriemhofen bemerkte es nicht. Wankend wie ein Trunkener schritt er an den Tisch des Regimentsrates und murmelte: ›Ich weiß, ich weiß, Herr Vizedom!‹
Totenstill war's in dem weiten Hause, totenstill auf der Gasse.
›Ich weiß, ich weiß,‹ murmelte der Mann und suchte mit tastenden Händen auf dem Tische unter den Akten.
›Das ist noch besser,‹ sagte er, schob das blinkende Federmesser zur Seite und zog ein funkelndes Rasiermesser aus seinem Futterale. ›Ich weiß, Herr Vizedom!‹ murmelte er und probierte die Schneide.
›Wie ein Hund gelebt und wie ein Römer gestorben!‹ sagte er nach einer Weile und ließ sich in den Armstuhl des Regimentsrates sinken.
Totenstill war's.
Ein roter Strahl schoß über den Schreibtisch bis an die Wand.
Es klang wie seufzendes Röcheln.
Es fielen schwere, dicke Tropfen auf die Dielen, und endlich ward ein starkes Geplätscher.
Die Thüre knarrte ein wenig, und eine große Katze schlich in die vertäfelte Stube.
*
Nach etlichen Stunden gab es einen Zusammenlauf im kurfürstlichen Regierungsgebäude. Man hatte den Sekretarius von Kriemhofen auf dem Armstuhle des Regimentsrates gefunden. Seine Kehle war durchschnitten bis auf die Wirbel, und neben der Blutlache unter dem Stuhle saß eine große, braune Katze mit rotbeflecktem Maule. Die murrte und machte böse, funkelnde Augen.
Heiligabend.
Wie sieht denn das Glück aus?
Das Glück – ach, wer könnte das Glück beschreiben? Freilich, es giebt ja viele Bilder vom Glück, doch die sind alle erlogen. Da ist das Glück zumeist ein junges, schönes Weib, das auf einer Kugel tanzt und mit lachenden Augen Blumen schüttet aus goldenem Füllhorn. Ein lachendes Weib also wäre das Glück? Das Glück –? Blumen und Jugend und Schönheit verwelken um die Wette, und unstet muß die Kugel rollen, hierhin und dorthin. Und das Glück sollte beschlossen sein im Bilde der flüchtigen Jugend und der welkenden Schönheit,