Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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Stimme:

      »Auf ihn will ich verträuen

       In meiner schweren Zeit;

       Es kann mich nicht gereuen,

       Er wendet alles Leid.«

      »Fahr heim!« befahl Georg. »Und dann renne zu meiner Frau und sage ihr, sie solle ihn anschauen. Und was sie dir heißen wird, das thust!«

      Die Reiter wichen zur Seite, das Gespann kam herauf und rattelte den gefrorenen Weg entlang, hinein in die Dunkelheit.

      »Er wendet alles Leid, ihm sei es heimgestellt – heimgestellt, heimgestellt!« sang der Bewußtlose mit gellender Stimme.

      Ungeduldig wartete der edle Burghüter. Mit grollendem Unmute erzählte ihm Georg die Geschichte. Hansjörg ritt schweigend mit gesenktem Haupte hinter den beiden fürbaß.

      »Ich sag's ja,« bemerkte der edle Burghüter gleichgültig; »kurfürstliches Regiment hat Mittel und Wege, und sie arbeiten alle zusammen an dem Werke. Und der arme Schächer wird's nun wohl an den Nagel hängen, das Emigrieren?«

      »Ich glaube nicht,« sagte Georg nachdenklich. –

      Hinten ritten die Knechte und besprachen auch die Geschichte.

      »Das ist nicht recht von der Obrigkeit; einen, der nichts Uebles gethan hat, soll man nicht also mißhandeln,« sagte der junge Mathes.

      »Ach was,« lachte ein alter Knecht, des edeln Burghüters Diener, »laßt mich aus! Was kann denn unsereiner gegen die Obrigkeit? Nichts, rein gar nichts. Und sollen auch gar nicht dagegen; denn es steht geschrieben, jedermann sei unterthan der Obrigkeit. Also! Ist halt einmal wieder Bettelmannszeit im Land. Wer kann dawider?«

      *

      Der große Saal im Schlosse zu Amberg erstrahlte im Glanze der dicken Wachskerzen, und es war alles zum Feste bereit.

      Der Vizedom und seine Ehefrau standen in der Wohnstube nebenan und warteten auf die Gäste.

      »Wenn nur der Abend vorüber wäre!« sagte der Hochgebietende seufzend und lehnte sich an den großen Kachelofen. »Kurfürstliche Durchlaucht hat gut reden von Staatskunst. Er befiehlt das große Werk, und ich muß sein Großgeld in Kleingeld wechseln und unter die Leute bringen!«

      Die Gnädige ließ sich auf einen Stuhl nieder, legte die gefalteten Hände in den Schoß des seidenrauschenden Kleides, wandte den Kopf mit Mühe ein wenig in dem steifen Spitzenrade und sah dann wieder starr geradeaus: »Gott, was für ein Volk! Und das nennt sich edel und vest! Scheußlich! Drei Stunden habe ich neulich gelüftet hinter dem Burghüter von Rieden – wie heißt er doch?«

      »Portner von Theuern,« kam die Antwort.

      »Portner!« sagte die Gnädige, und in dem starren Gesichte bewegten sich nur die Lippen und die spöttisch zitternden Nasenflügel. »So 'n Mistbauer!«

      »Na, so arg ist's ja doch nicht,« kam die Antwort aus dem gähnenden Munde des Vizedoms. »Uralter Adel.«

      »Mistbauern allesamt, wie sie auf dem Nordgau sitzen,« wiederholte die Gnädige mit Nachdruck; »die Mendel auf Lintach und die Loefen auf Ebermannsdorf und die Münzer auf Kümmersbruck und die Zantner auf Zant und –« Sie schöpfte Atem.

      »Wenn Weiber einen Abscheu haben, dann schütten sie das Kind mit dem Bad aus,« bemerkte der Hochgebietende.

      »Hier wird nichts gebadet. Geh mir, ich weiß, was ich weiß! Da muß ich nun gewiß wieder manchem lutherischen Hunde die Pfoten schütteln, der heute früh den Dung selber aus seinem Schmutzneste aufs Feld gefahren hat!« rief die Gnädige und rührte sich nicht aus ihrer erhabenen Haltung. »Drauf im Namen der Jungfrau! Wozu denn warten? Zuletzt wähnen die Gesellen, es fehle den Bayern die Schneid!«

      Der Vizedom machte ein spöttisches Gesicht: »Sachte, Herr Pater, sachte!«

      Rauschend fuhr die Gnädige herum. Aber sofort besann sie sich und saß wieder da mit dem unbewegten Gesichte wie vorher: »Was bedarf ich dazu des Paters?«

      »Pfaffen und Weibern geht's nie geschwinde genug,« lachte der Hochgebietende und bekam einen Krampfhusten. »Staatskunst!«

      »Weißt du, was deine Staatskunst ist?« fragte die Gnädige scharf.

      Der Vizedom schwieg.

      »Warten, bis die Aepfel reif sind und von selber fallen,« sagte das Weib.

      Es klopfte, und der Kammerdiener meldete mit tiefer Verbeugung, draußen stehe einer, der wolle Seine Gnaden sprechen.

      »Rote Rüben?« sagte der Vizedom vor sich hin.

      »Ja, so redet er fort und fort, Euer Gnaden.«

      »Hereinlassen!« befahl der Hochgebietende.

      Ein kleiner, verwachsener Mann stand vor dem Vizedom und wandte keinen Blick von den Augen des Herrn.

      »Vier Wochen?« fragte dieser von oben her.

      »Sechs Wochen in Regen und Schnee,« flüsterte der Kleine.

      »Auerbach, Waldeck, Nabburg –?«

      »– und Neunburg vorm Walde,« fiel der andre ehrerbietig ein.

      »Und?« fragte der Vizedom.

      Der Verwachsene zuckte die Achseln. »Das gemeine Volk?« Er machte ein verächtliches Gesicht, hielt die Linke flach vor sich und wischte mit der Rechten darüber, als wollte er eine Tischplatte rein machen. »Die Märkte und Städte? Hier einer, dort einer – die andern? Ha, wie die Bauern! Die Dragonaden fressen den Starrsinn.« Und abermals wischte er mit der Rechten über die Linke.

      »Und die Landsassen?« fragte der Vizedom.

      Der Kleine griff in sein Wams und holte ein Taschenbuch hervor: »Hier, Euer Gnaden, die Frucht einer sechswöchigen Arbeit.«

      Nachlässig griff der Vizedom nach dem Hefte und blätterte darin.

      »Hier bei jedem Namen der Stern oder das Kreuz, Euer Gnaden,« erklärte der Kleine und hob sich auf den Fußspitzen.

      »Und woher?« fragte der Vizedom in seiner wortkargen, befehlenden Art.

      »Ha,« lachte der Spion. »In der Pöse beim Johannsgnug die Lüselinge einspannen und horchen, horchen – oder den Knecht schmieren – oder das Weib heimsuchen. – Und hier, gestatten Euer Gnaden, hier sind die Aufzeichnungen über die Beamten – was man so nebenbei hört und sieht –«

      »Und ist's auch alles wahr?« fragte der Vizedom und sah den Verwachsenen durchdringend an.

      »Es ist, als hätte ich mein adelig Siegel daruntergedrückt und dazu geschrieben: ›Auf adeligen Glauben und Treue!‹« sagte der Spion und verzog das breite, graue Gesicht.

      Der Vizedom machte eine verächtliche Handbewegung:

      »Wir werden sehen!«

      »Und was befiehlt Euer Gnaden weiter?« fragte der Kleine und sah lauernd zu seinem Gebieter empor.

      Der Vizedom sann:

      »Während der nächsten Monate bedarf ich deiner in der Stadt, Rotrübe.«

      Dann sprach er noch ein paar leise Worte.

      Der Verwachsene neigte sich tief und schlich aus dem Gemache.

      Der Hochgebietende war unter einen Wandleuchter getreten und las eifrig in dem abgegriffenen Hefte.

      »Das ist Staatskunst,« sagte er nach einer Weile, klopfte auf das Büchlein und steckte es in sein Prunkgewand.

      Die Gnädige war die ganze Zeit über regungslos auf ihrem Stuhle gesessen. Nun verzog sie den Mund, als hätte sie etwas Ekelhaftes zwischen die Zähne gebracht.

      Der Vizedom hatte sie fest angesehen. Jetzt lehnte er den Rücken wieder an den Kachelofen und sagte hüstelnd, fast als wollte er sich entschuldigen:

      »Je nun, mit Hunden muß man jagen.«


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