Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
Bruder, warum denn nicht? Mit der Zeit, wenn wir die Zinsen nicht mehr zahlen können – warum denn nicht? 's ist ja sein gutes Recht. Und in der Welt kommt alles darauf an, was für ein Mäntelein das Kind umhat. – Jörg, was ich fragen wollte, weißt du nicht doch einen gesetzten, verlässigen Menschen, den wir für die erste Zeit als Verwalter zurücklassen könnten?«
»Ich habe mich seit Wochen besonnen, Hansjörg; aber ich finde keinen, dem ich's mit Ruhe anvertrauen könnte.«
»Dann muß der Mathes bleiben.«
»Sehr jung, Hansjörg.« –
Stille war's in der dämmerigen Stube, nur in der Ferne pochte der Hammer von Theuern.
Drunten ging die Hausthüre, viele Schritte kamen die Stiege herauf. Flüsternde und murmelnde Menschen standen vor der Stube, dann pochte einer kräftig an.
Das dämmerige Gemach füllte sich mit Hammerknechten, und es roch stark nach Schweiß.
»Was wollt ihr, Leute?« fragte Hansjörg und kam vom Fenster heran.
Vor den andern stand ein alter, eisgrauer Knecht; der räusperte sich, drehte seine rußige Mütze in den Händen und sagte: »Nix für ungut, ihr Herren. Wir haben lang hin und her geredet, ob wir uns ein Herz nehmen sollen, und wir haben gesprochen, daß wir's uns nehmen wollen. Es geht die Rede, ihr Herren, daß – daß –« Der alte Mann hielt inne und blickte verlegen auf die Dielen.
»Nun, heraus mit der Rede!« sagte Georg Portner und erhob sich von seinem Stuhle.
»Daß die Junker von Theuern aus dem Lande ziehen wollen!« rief einer aus dem Haufen, und alle Köpfe wandten sich nach ihm, weil er so frech war.
»Ja, dasselbige hab' ich auch sagen wollen,« meinte nun der alte Sprecher und blickte fragend von einem der Brüder auf den andern. »Ist's denn wahr, ihr Herren?«
»Und wenn's nun wahr wäre, Burkhart, was dann?« fragte Hansjörg.
Der Knecht schwieg und drehte seine Mütze. Es war so stille, daß man die Atemzüge der Menschen zu hören vermochte. Nach einer Weile sagte der Alte gedehnt: »No ja–!« Und wieder nach einer Weile sagte er zum zweitenmale: »No ja–!«
»Das ginge euch nahe, ihr Leute – nicht?« fragte Georg Portner. »Das thät' euch grämen, wenn eure Herren ins Elend zögen – nicht?«
Der alte Knecht hob die Augen und sah dem Junker verständnislos ins Gesicht.
»Es wär' doch hart für mich und meinen Bruder und mein Weib und Kind – nicht?« wiederholte Georg.
»No ja, das schon auch,« sagte der Knecht. »Aber, Herr, was soll denn aus uns werden?«
»Ja, das ist die Frag'!« rief einer aus dem Haufen, und die andern murmelten beifällig.
»Das wird auf euch ankommen, ob ihr auch ohne uns eure Pflicht thut,« sagte Hansjörg.
»Ja wir, wir wollten schon,« meinte der Alte; »aber was kann denn hernach unsereiner machen, wenn keiner der Herr ist? Und wie kann denn der Hammer betrieben werden, wenn keiner als Herr bestellt ist? Oder wollt ihr den Ofen ausblasen?«
»Es wird sich alles richten und schlichten,« erklärte Hansjörg; »und den Hammer wollen wir nicht eingehen lassen, da seid nur ganz ruhig, ihr Leute!«
Der alte Mann schüttelte das graue Haupt: »Ganz ruhig, Herr Hansjörg? Nix für ungut, aber wer kennt sich denn aus, wie's sein soll im Hammerwerk, ihr Herren, wenn ihr fort seid?«
»Na, zum Beispiel du selber, Burkhart,« sagte Georg Portner; »ich dächte, du bist nun lang genug Hüttenkapfer und Werkmeister gewesen.«
»Das ist die Wahrheit, Herr; das ist so, Herr. Hab' jedoch immer meinen Herrn über mir gehabt – zuerst den Herrn von Zant, hernach Euch, Herr Jörg. Und solang ich denken kann, ist immer der Hüttenkapfer als Meister über den andern gewesen und hat verrichtet, was er gemußt hat; und ist aber auch immer ein Herr gewesen über dem Hüttenkapfer und hat das Ganze regiert. So ist's gehalten worden, wo der alte Loißl, Gott hab' ihn selig, Hüttenkapfer war, und alleweil von jeher ist's also gewesen in Theuern seit Menschengedenken.«
Die Brüder schwiegen.
»Und wer zahlt uns hernach am Sonnabend immer aus, wenn kein Herr vorhanden ist, der 's Geld hat?« fragte einer aus dem Hintergrunde.
»Und wer sagt's, wenn's an der Zeit ist, die Notdurft an Kohlholz niederzuhauen?« rief ein andrer.
»Und wer tritt als Herr auf, wenn die Hundsköpf', die Schiffknecht' von Amberg herunterfahren und in ihrem Mutwillen das Fallbrett aufreißen?« rief der alte Hüttenkapfer.
»Und also das Wasser dem Hammerwerk zum Nachteil entziehen, ehe das eingezrennte Erz abgeschöpft und das Eisen gar herausgeschmiedet ist?« vollendete ein rußiger Schmied, der bis dahin geschwiegen hatte.
»Und wer verwehrt's den Schiffreitern, wenn sie querfeldein reiten und unser Kraut und Rüben stehlen?« fragte ein andrer.
»Da muß halt einer für alle und alle müssen für einen stehen,« sagte Georg Portner, während sich sein Bruder abwandte und ans Fenster ging. »Und glaubt ihr denn, ihr Leute, daß uns das Herz leicht ist?«
»No ja, das nit,« meinte der Hüttenkapfer; »aber an wem geht's doch zuletzt alles hinaus? An uns! Die Herren? Ei, da ist nur nit bang, die Herren finden immer wieder ihren Unterschlupf, die sind immer wieder mit Herren bekannt, die ihnen weiterhelfen. Aber unsereiner? Ich seh' schon alles im voraus, wie's kommen wird, wenn kein Herr vorhanden ist in Theuern! Da wird alles drunter und drüber gehen, und zuletzt wird's heißen: Die Not steht Schildwacht, und der Hunger schreit ›Wer da!‹ – Und wär's denn so notwendig, nix für ungut, ihr Herren?«
»Was?« fragte Georg.
»No ja, das Auswandern, ihr Herren? Nix für ungut, Herr, aber da hab' ich als Kleiner 'n Spruch gelernt, der hat mir immer so gar viel gefallen – darf ich Euch den Spruch sagen, Herr?«
»Nur zu!«
Es war nun recht dunkel geworden, und die rußigen Gesichter der Knechte verschwammen in eines mit den rußigen Kleidern; nur das Weiße in den Augen glitzerte zuweilen hervor aus dem Schatten. Und der Alte sagte, als wäre er wieder ein Schulbub' und stünde vor dem Lehrer, mit singender Stimme sein Sprüchlein auf:
»Richt deinen Kopf in die Welt hinein;
Denn dein Kopf ist viel zu klein,
Als daß sich die große Welt,
Wie's dir gefällt,
Könnt' richten und schlichten
in deinen kleinen Kopf hinein.«
»Gefällt euch mein Sprüchel nit, ihr Herren?«
»Frechheit!« rief Hansjörg und trat neben den Bruder.
»Nein, Burkhart, der Spruch gefällt uns nicht,« sagte Georg Portner mit Ruhe; »das verstehst du nicht. Nun aber geht nach Hause und seid gewiß, daß wir nach allen Kräften für euch sorgen werden.«
»Schönen Dank, Herr! Und nix für ungut, jeder macht's, wie er's versteht. Und b'hüt euch Gott, ihr Herren!«
Er wandte sich, und mit gemurmeltem Gruße drängte sich der Haufe zur Thüre. –
Als die schweren Schuhe auf der Stiege trappelten, sagte Georg Portner: »Es ist ein Jammer, wohin man sieht.«
»Und nun hebt auch die Frechheit schon an!« grollte Hansjörg. »Als ob sie wüßten, daß man uns die Gerichtsbarkeit beschneiden wird! Wann hätte jemals ein Hüttenkapfer auf solche Weise mit seinem Herrn gesprochen?«
»Es ist die Angst,« sagte Georg.
»Und nur an sich denkt das Gesindel!« rief Hansjörg.
»Und haben denn wir nach Gebühr an sie gedacht in unserm Unglück, Bruder?« fragte Georg.
Und er setzte sich an den Tisch und