Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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Vergangenheit. Noch nie hatte der Vater so ernsthaft mit mir gesprochen, und ich fühlte es, daß er mir sehr Wichtiges gesagt hatte. Ich fühlte es nur – aber es ergriff mich eine Ahnung von so stolzen und doch so unsäglich traurigen Dingen, von denen sonst ein Kind noch nichts weiß; der grüne Wald zerfloß mir vor den Augen, das glänzende Land verschwamm mir im Nebel, ich war so betrübt, daß ich den Kopf in den Händen barg und bitterlich weinte.

      Erschrocken trat der Vater herzu, setzte sich neben mich, legte wieder den Arm um meine Schultern, streichelte meine heiße Stirne und sagte mir beruhigende Worte. Da ließ der heftige Sturm meiner unbewußten Gefühle nach, ich weinte stille an der Brust meines Vaters und sah wie in einem seligen Traume durch den grünen Flor meiner Thränen hinein in das hellglänzende Land. – – –

      Wir saßen noch eine Weile, dann gingen wir von dem kahlen Grat herab auf den Weg, den wir gekommen waren. Ich hatte die Hand des Vaters genommen und ließ sie in den nächsten Stunden nicht mehr los. Jetzt wußte ich doch etwas von seinen Gedanken! – Wir sprachen von gleichgültigen Dingen, von den glänzenden Pilzen am Weg, von den hohen Buchen mit ihren glatten Stämmen, unter denen wir dahinschritten, von den riesigen Farrenkräutern im Moose. Dann schwiegen wir, ich dachte an meine Freunde und malte mir aus, was die wohl zu diesen Geschichten sagen würden. Aber nur kurze Augenblicke – und ich nahm mir fest vor, ihnen kein Wort von allem dem zu verraten, was ich heute gehört hatte.

      Ich war damals ein kleiner Knabe, und es sind viele Jahre vergangen bis heute. Oft kamen mir seitdem die Geschicke der Alten in den Sinn – und oft war mir's dabei, als säße ich auf dem hohen Berg, als schaute ich über den grünen Wald hinein in ein wunderbares Land, wie damals, und es war ein Schleier vor meinen Augen, wie er vor den Augen des weinenden Knaben gewesen war.

      Der kalte Baum.

       Inhaltsverzeichnis

      An diese kleine Begebenheit dachte ich, als wir schweigend hügelauf und hügelab der Stadt zuschritten, in der einst die Väter ihre Zuflucht gefunden hatten.

      Es ist ein armes Land mit großen, schwarzen Wäldern, mit felsigen Hügeln, mit breiten Thälern und mit kärglichen Äckern – aber es ist ein schönes Land, das man wohl liebgewinnen kann; denn die schwarzen Wälder spiegeln sich in stillen, dunkeln Teichen, auf den felsigen Hügeln stehen zerfallene Burgen, in den breiten Thälern fließen klare Gewässer, und zwischen den kärglichen Äckern liegen da und dort alte Siedelungen der Menschen.

      Dieses Land der Hügel und der Weiher ist nur ein Teil des Nordwaldgebirges, das eine große Landfläche bedeckt, öfter zu ansehnlichen Bergen emporsteigt und auf der Morgenseite einen hohen Wall bildet gegen das fremde Böhmen.

      Schön sind die Leute nicht in diesem Lande. Slaven und Deutsche bewohnten es vor Zeiten gemeinsam, die Deutschen waren die Herren, die Slaven die Knechte. Heute haben sich Herren und Knechte längst vermischt, und was aus solchen Mischungen der Rassen erwächst, ist selten schön. Steinreich nennt man draußen die Leute – aber es ist Spott; denn sie sind nur an Steinen reich. Und auf ihren Ackern müssen sie sich abplagen und abmühen um ihr tägliches Brot, die schwere Arbeit krümmt die Glieder, die Sonne verbrennt die Gesichter. Sie haben es schlechter, als die Bauern im flachen Lande.

      Sie haben es heute nicht gut – aber vor Zeiten mußten ihre Vorfahren noch weit bösere Dinge ertragen. Ich meine nicht die vielen Kriege, die über das Land gegangen sind – es ist ja der Krieg ein schweres Unglück, er verwüstet die Äcker, er setzt den roten Hahn auf das Dach, und die wilden Soldaten treten das arme Volk mit Füßen; ich meine auch nicht die vielen Seuchen, die über das Land gegangen sind – es ist ja etwas Furchtbares um die Pest, die gleich einem Gespenste dahinzieht und die Menschen niedermäht wie der Schnitter die Ähren. Was Krieg und Seuche anrichten, verwischt sich im Laufe der Zeit, mag das Leben tausendfach zertreten werden, tausendfach ringt es sich wieder empor, neue Frühlinge kommen, aufs neue grünen die zerstampften Äcker, unter dem neuen Giebel girrt die Taube, als ob nie etwas geschehen wäre, und schau' dir einmal die spielenden Kinder auf der Gasse an, kannst du in ihren Gesichtern noch lesen von den Drangsalen der Voreltern?

      Aber es gab etwas, das war schrecklicher als der Krieg und unheimlicher als die Pest: gewaltsame Religionsänderung.

      Auch sie hat Saatfelder zertreten und Häuser verbrannt, aber dazu hat sie gleich einem langsamen Gifte die Herzen der Menschen zerfressen und einem ganzen Volk den Stempel der Furcht und des Mißtrauens aufgedrückt.

      Und den tragen sie auch auf dem Nordgau.

      Es ist kein Wunder. Gleich einem Sturmwind war die Reformation über dieses Land gegangen, und die große Mehrzahl des Volks hatte sie verlangt. Dann aber hatte man bald den schrecklichen Spruch zu fühlen bekommen »cuius regio, eius et religio.« Das Land hatte kalvinisch werden müssen, weil der Kurfürst in Heidelberg kalvinisch war, es hatte wieder lutherisch beten dürfen, als man da drüben anders betete, es hatte nicht lange gedauert, dann war wieder alles unter den Kalvinismus gezwungen worden, und zuletzt, während des großen Kriegs, hatte der eiserne Maximilian von Bayern mit Soldaten und Jesuiten die Kalvinisten wieder zur alten Lehre gebracht, so nachdrücklich, daß es heute noch als schärfstes Drohwort gilt: »Dich will ich katholisch machen.«

      Nur ein ganz kleines Gebiet konnte sich durch die Zeiten des Schreckens und der Verfolgung den lutherischen Glauben bis herab auf unsere Tage retten, und es war dies die zweite Heimat unserer Altvordern.

       * * *

      Woher wohl die deutschen Bauern des Landes gewandert kamen, als sie sich unter den Slaven niederließen? Wo sie ehedem wohnten? Wenn sie an langen Winterabenden beisammensitzen und ihren Kindern Märchen und Sagen erzählen, dann weht es wie Meerluft mitten im steinigen Waldland, Wasserriesen und Wasserzwerge, Meerfrauen und Eiskönige treten auf, und niemand findet dies sonderbar – obgleich es viele hundert Meilen hin zum Meere ist. Wer kennt die Geschicke eines Volkes, wer kann sagen, woher es kam, müde vom Wandern und ruhesuchend? Die Jahrhunderte reihen sich aneinander, die Fremde wird zur neuen Heimat, und aus der alten Heimat klingen nur leise noch halbverstandene Grüße zu den Spätgeborenen herüber.

      Dreihundert Jahre lang waren die Geschicke meines Geschlechts mit den Geschicken dieses Volkes verflochten, wohl weit über das Doppelte von Jahren mag jetzt vergangen sein, seit die Andern vom fernen Meere hergekommen sind – verworrene Sagen sind das einzige, was das Volk aus seinen alten Sitzen, verworrene Sagen sind das einzige, was mein Geschlecht aus seiner Flucht gerettet hat. –

      Der Abend kommt, und kühl wird die Luft. Wir schreiten rüstig weiter; denn wir wollen heute noch die Stadt erreichen, die uralte Grenzstadt Hohendreß. Durch Wälder und über Wiesen gehen wir, stetig zieht sich die Straße in die Höhe und läuft zuletzt auf einem breiten, kahlen Bergrücken gerade gegen Norden hin, und wir sehen weit hinaus über Thäler und Höhen und wandern und schweigen.

      Das ganze Land gleicht einem großen See, die Hunderte von Hügeln sind versteinerte Wellen, unser Bergrücken ist eine der höchsten, und drüben gegen Morgen steht, von Mitternacht nach Mittag gerichtet, wie ein hohes Ufer der breite, dunkle Wall der böhmischen Berge. Die Strahlen der Abendsonne weben Gold um ihre Kämme, und schwarz liegen ihre Thäler; da herüber ist einst mein verstoßenes Geschlecht gewandert.

      Aber weg vom Alten! Ich wende den Blick gegen Abend und sehe immer wieder, daß ich recht habe mit meinem Bilde: ein See ist's, ein großer See. Soweit das Auge schaut, schiebt sich ein Waldhügel hinter dem andern empor, immer höher und höher, immer duftiger, immer glänzender – aber hier ist der See ohne Ufer, und der feurige Sonnenball scheint in blaue Hügelwellen niederzutauchen.

      In dem feuchten Grunde zu unsern Füßen, wo die kleine Luhe in unzähligen Krümmungen fließt und die Dörfer im Schatten der Wälder liegen, da ziehen weiße Nebelstreifen das Wasser entlang. Die Hüterbuben jauchzen und knallen mit den Geißeln, die Herdenglocken läuten.

      Jetzt sinkt die rote Feuerkugel völlig nieder, goldig spannt sich der Abendhimmel, und in der klaren Luft kann ich die Hügelwellen


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