Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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du, Georg?« fragte der Greis. »Sage frei alles, wie du es meinst.«

      Der sprach langsam: »Ja, Vater, mir wird es sehr lieb sein, wenn diese Urkunden verbrannt werden; denn die Güter sind groß, und die Worte in dem Briefe sind glänzend.« – – »Die Güter sind sehr groß,« setzte er leise hinzu.

      Martha stand auf und holte das Feuerzeug. Die Söhne aber trugen den Vater auf dem Ruhesessel behutsam in den Hintergrund des Gemaches und setzten ihn neben dem Ofen vor einem großen Kamin nieder, der noch aus den Zeiten des Klosters stammte und längst nicht mehr benutzt wurde.

      Martha breitete ein Tuch vor den Kamin und kniete darauf. Das Feuerzeug stand neben ihr.

      Der Greis aber nahm das erste Pergament aus der Truhe, entfaltete es und gab es ihr; sie legte es offen in den Kamin. Dann gab er ihr das zweite, an dem viele Siegel hingen, hernach das dritte und so fort, bis ein ziemliches Häufchen beisammenlag. Die Söhne standen hinter dem alten Manne, schauten über seine Schultern in jedes Pergament und sprachen leise über die alten Schriften.

      Jetzt sah man nur noch eine starke Rolle auf dem Boden der Truhe. Der Vater befahl seinen Söhnen, sie herauszunehmen und zu öffnen. Es geschah, und Haus hielt sie mit seinem Bruder Georg ausgespannt in den Händen.

      Ein schöngemalter Stammbaum war auf dem alten, festen Papier zu sehen. Im Vordergrund ruhte ein Ritter in voller Rüstung, und aus seiner Brust wuchs der Baum empor. Im Hintergrunde breitete sich eine Landschaft mit grünen Hügeln und dunklen Wäldern; auf dem höchsten Hügel aber stand eine brennende Burg. An dem mächtigen Stamme hing Schild an Schild, an den Ästen und Zweigen hing auch Schild an Schild, wie Äpfel in den Blättern eines Baumes, und auf jedem waren Namen und Jahreszahlen geschrieben, und der ganze Stammbaum von seinen Wurzeln bis in seine höchsten Äste trug auf diese Weise die Namen derer, die zu dem verjagten Geschlechte des alten Mannes und seiner Kinder gehört hatten. Auf der Rückseite dieses Kunstwerkes aber sah man große und kleine Siegel aufgedrückt, und daneben hatten Amtspersonen zum Zeugnis der Wahrheit ihre eigenhändigen Unterschriften gesetzt.

      Da befahl der Vater, das untere Drittel des Bogens wegzuschneiden. Sie spannten das große Papier straff aus, und Friedrich führte den Schnitt, der allen ins Herz ging. Es fiel auf den Boden des Gemachs der ruhende Ritter mit dem Falkenschild, es fielen die grünen Hügel der fremden Landschaft samt der brennenden Burg, und es fielen die vier untersten Schilde, auf denen die Namen des Vertriebenen, seines Sohnes, seines Enkels und seines Urenkels zu lesen waren.

      Alle schwiegen. Martha nahm den Streifen und legte ihn unter die Pergamente. Dann schlichtete sie rings umher viele harzige Späne und dürre Scheiter und griff zum Feuerzeug.

      Der Greis ließ das größere Stück des zerschnittenen Stammbaums zusammenrollen und in die Truhe legen. Dann aber bat er Martha, sie möchte ihm doch die zuletzt in den Kamin geworfene Pergamenturkunde, an der drei Siegel hingen, heraufreichen. Sie gehorchte, und er barg das Stück wieder in der leeren Truhe neben dem Stammbaum, indem er sagte: »Das kann als eine Erinnerung bleiben; es ist zwar auch ein altes Kerdern-Dokument, ohne die andern aber hat es keine Beweiskraft. Und nun, mein Kind, entzünde das Ganze in Gottes Namen.«

      Martha schlug Feuer, entzündete am glostenden Zunder einen Schwefelspan und hielt ihn mit den zarten Fingern an den Stammbaumstreifen, der zu unterst lag. Eine kleine Flamme schlug aus dem alten Papier, und der Widerschein erglühte auf ihrem Antlitz. Dann begannen die dürren Späne zu knistern und zu krachen, Funken sprühten, immer weiter leckten die Flammen, aus den Scheitern schlug prasselnd das rote Feuer, und zuletzt ging das feindselige Element an die Pergamente und fraß die vergilbten Zeugnisse mit ihrer geheimnisvollen Schrift und fraß die ehrwürdigen Siegel, daß ihr Wachs zerfloß, und die große Glut spiegelte sich jetzt auch auf dem faltigen Gesichte des alten Mannes, der sich in seinem Stuhle vorgebeugt hatte und sinnend auf die Zerstörung herabschaute.

      Nach einiger Zeit wurde das Feuer kleiner und kleiner, der Haufe sank zusammen, die Flammen sanken herab, und zuletzt lagen schwarzgraue Aschenblätter da, über deren gerollte Flächen eilig die letzten Fünklein hinwegliefen. –

      Jetzt war die Sonne untergegangen, und aus den Stubenecken kam die Dämmerung hervor. Draußen lag eine warme Luft über dem Dorf und über den Feldern und über den Waldhügeln. Pfeifend strichen die Schwalben an den Mauern des Klosters auf und nieder, drunten in den Gassen des Dorfes spielten die Kinder, und ihr Jauchzen klang zuweilen herauf – in der dämmerigen Stube aber war es ganz stille.

      Kinder und Kindeskinder.

       Inhaltsverzeichnis

      Der weißhaarige Mann war der Großvater meines Urgroßvaters, und es ist fast merkwürdig, daß wir die alte Geschichte noch so gut wissen. Aber Friedrich hatte sie Wort für Wort auf die letzten Blätter seiner Bibel geschrieben, danach hatte sie einer dem andern erzählt, und so ist sie mit allen Einzelheiten herabgewandert bis auf unsere Tage.

      Von den drei Söhnen des greisen Pfarrherrn war in drei Ästen eine große Nachkommenschaft erblüht. Auch Martha hatte sich einige Zeit nach des Vaters Tode an einen geliebten Mann verheiratet und einen andern Namen angenommen. Es kann wohl sein, daß auch von ihr noch Urenkel vorhanden sind; aber wir kennen sie nicht.

      Es ging mit unserm Geschlechte jahraus jahrein wie es mit allen andern Geschlechtern auf Erden zu gehen pflegt: die Kindlein wurden geboren, sie wuchsen heran, und ihre Väter und Mütter alterten. Die Knaben wurden Jünglinge, die Jünglinge Männer, sie nahmen sich Frauen wie ihre Väter und Urväter, lebten ihrem Berufe, verjüngten den alten Stamm und fielen ab gleich dürren Blättern im Herbste, wenn ihre Pflicht gethan und ihre Zeit aus war. Viele von den Mädchen aber haben wie Martha unser Blut mit seinen guten und bösen Eigenschaften in fremde Geschlechter getragen, und wenn dort das Gute vorherrschte, dann ging ihre gute Mitgift auf, wenn aber das Böse stärker war, dann schlug wohl auch ihre böse Mitgift durch; denn es folgt so vieles auf Erden dem Unfreien, Argen, es folgt, wie unsere Altvordern sagten, »der böseren Hand«.

      An den Zweigen aber, die aus den drei Ästen trieben, konnte man noch lange die Sinnesart jener drei jungen Männer erkennen.

      Von dem Ältesten ging ein schaffensfreudiges Geschlecht aus. Er selbst vermochte sein kleines Pachtgut nach wenigen Jahren zu kaufen, baute sich in der abgelegenen Gegend ein festes Haus mit Wall und Graben, rings herum fiel der dunkle Wald, Saatfeld an Saatfeld breitete sich aus in dem großen, fruchtbaren, bergumschlossenen Thale, und auf ächzenden Wägen schickte er sein Korn in die Welt.

      Weithin im Lande sprach man von dem reichen Herrn, man sprach von ihm im nächsten Städtlein, man sprach von ihm auf allen Straßen, auf denen seine Güter fuhren, man sprach zuletzt auch am Hofe des Kurfürsten von ihm, und die Räte des Kurfürsten traten zusammen.

      Und bald brachte der Postreiter in das entlegene Waldthal ein großes Diplom auf Pergament, und in dieser Urkunde stand zu lesen, daß der Landesvater des Gutsherrn Fleiß, Biederkeit und Ehrbarkeit angesehen habe und ihn deshalb von nun an für einen Edelmann und seine vier Ahnen im Grabe für Edelgeborene erkläre. In der Mitte des Pergaments aber war ein Wappen gemalt, an seidenen Schnüren hing das Staatssiegel herab – und der Neugeadelte, der einst die Rückkehr in die Heimat seiner Väter und in die alte, glanzvolle Stellung seines Geschlechtes verschmäht hatte, – der durfte fortan drei Buchstaben vor seinen alten Namen schreiben.

      Als aber auch seine Stunde kam, da standen vier Söhne an seinem Sterbebett, und jedem von ihnen konnte er ein großes Erbe geben und starb im Frieden. –

      Von diesen vier Söhnen ging das Geschlecht aus, das bald das angesehenste in der Waldgegend wurde, das im Munde des Volks bald nur schlechthin den Namen »die Herren vom Walde« führte. –

      Andere Wege machte Georg und seine Nachkommen. Als ein armer Offizier war er vom Vater gegangen, hatte bald darauf ein blühendes Weib heimgeführt, hatte sich in ein großes Unternehmen eingelassen und war zuletzt im Unglück gestorben. Viel hatte man sich von diesem seinem Unglück erzählt in unserem Geschlechte. Es hatte einen tiefen Eindruck auf alle gemacht.

      Seine


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