Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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von diesem und von jenem, vom heißen Wetter und von der kommenden Ernte, von den Menschen draußen im Lande und von den Tieren auf der Heide. Du fragst ihn, wie alt wohl das Heideschlößlein sei, und er sagt Dir, daß es vor zweihundert Jahren gebaut worden ist, daß aber der eine von den dicken Türmen noch um ein gut Stück älter ist. »Türme und Schlösser«, setzt er leise hinzu, »sind fest und bleiben immer auf ihrem Platze, bis sie zerfallen; aber die Geschlechter der Menschen werden umhergeworfen.« Dann steht er auf, steigt die gewundene Holztreppe hinab und holt aus dem Hause eine kleine, alte Truhe, trägt sie herauf und erschließt sie, und das Licht der hängenden Ampel fällt auf graue Papiere. Er nimmt eine Rolle heraus und öffnet sie; es ist ein großer Stammbaum mit vielen Namen und Schilden. Jetzt flackert das Licht über uns, und ein Teil des alten Papiers liegt im Dunkeln da, ein anderer ist hell beleuchtet, je nachdem sich die Blätter unter der Ampel bewegen.

      Er fängt an und erzählt uns eine Reihe von Geschichten.

      Hast Du die Stimmung? Gut; halte sie fest! Saitenspiel sei mein Erzählen – Dein Herz der Resonanzboden.

      So höre denn, was mir Hans Georg Kerdern oft erzählt hat in dem Geäste der alten Linde.

      Entweder – oder.

       Inhaltsverzeichnis

      Es war ein freundliches, großes Gemach mit blankem Fußboden, mit schweren Büchergestellen und gebräunten Ölbildern an den hohen Wänden; die Decke war kunstvoll getäfelt, die Thüren waren reich geschnitzt, und an jeder zeigte sich ein geistliches Wappen mit Krummstab und Bischofshut. Alle diese prächtigen Dinge waren sehr sauber gehalten, aber es schien doch, als ob sie vergrämt und mißgünstig aus weiter Vergangenheit hereinschauten in eine Zeit, die sie nicht mehr verstanden und auch nicht mehr verstehen mochten, und die nüchternen, hellen, geschweiften Geräte des Gemaches nahmen sich aus auf diesem Hintergrunde wie kindisches Gekritzel in dem Buche eines alten Weisen.

      Das Gemach hatte drei hohe Fenster, von denen zwei verhüllt waren; das dritte stand offen und ließ die warme Sommerluft hereinströmen.

      Die Sonne war schon tief gegen die Waldberge geneigt, aber das unverhüllte Fenster wurde nicht von ihren Strahlen getroffen; denn sie war schon hinter dem westlichen Turm des alten Klostergebäudes verschwunden.

      An dieses Fenster hatte man einen Ruhesessel gerückt, und in ihm lehnte ein Mann mit silberweißem Haupthaar, mit vielen Falten im ehrwürdigen Antlitz und mit mageren Händen, an denen die blauen Adern zu sehen waren.

      Der Greis hatte seine Augen geschlossen und seine Hände gefaltet, sein Haupt war ihm in das weiche Kissen zurückgesunken.

      Sie hatten ihn vor einer Weile gefragt, ob er nicht wolle, daß man ihn auf ein Ruhebett lege. Er aber hatte befohlen, man solle ihm vielmehr das Fenster öffnen, und hatte gesagt, er wolle hier sitzen, wo er seit vierzig Jahren jeden Morgen und jeden Abend gesessen sei, er wolle hier sitzen, wo er die Berge und die Wälder zu sehen vermöchte und das Kreuz seiner Kirche drunten im Dorf. Man hatte seinen Willen geehrt und seine Glieder gestützt, so gut es ging.

      Jetzt war er müde geworden und schlummerte und hörte es nicht, wie ein Wagen vorfuhr, wie sich leise Tritte seinem Gemache näherten, wie das ernste Mädchen von seiner Seite, an der es gesessen war, aufstand, die Thüre öffnete und mit stummem Gruße drei junge Männer bewillkommnete.

      Diese Drei gingen an den Greis heran, und das Mädchen setzte sich wieder auf ihren Schemel dicht neben den Ruhesessel. Die sinkende Sonne draußen war schön, und ihre Strahlen fielen auf die Wälder und Felder. Aber wärmer waren ihre Strahlen nicht als die Strahlen, die aus den umflorten Augen seiner Kinder auf den schlummernden weißhaarigen Alten in der stillen Stube fielen.

      Nun schlug er die Lider auf, und ein Lächeln ging über sein ernstes Gesicht. Dann hob er seine Hand, und die Söhne traten nach einander herzu, beugten sich herab, küßten sie und traten wieder zurück. Dem Mädchen aber rannen perlende Thränen aus den Augen, schossen die Wangen herab und fielen in ihren Schoß und auf ihre gefalteten Hände.

      Da hub der Vater mit gut vernehmbarer Stimme an: »Ich habe euch rufen lassen, meine Söhne, weil ich sterben werde, und möchte noch einmal mit euch reden, ehe wir von einander gehen. Und du, meine gute Martha, gib mir deine Hand, denn ich will auch mit dir reden.« Dem Mädchen flossen die Thränen stärker, und es legte seine warmen Hände in die zitternden Hände des Vaters.

      Jetzt trat der Älteste von den drei Söhnen, ein hochgewachsener Mann, vor seine Brüder, und seine leuchtenden Augen sahen traurig auf den Vater hernieder, während er mit stockender Stimme sagte:

      »Vater! Wir alle wünschten, daß Sie Gott noch eine Zeit hier ließe; denn wir können uns nicht vorstellen, wie es uns hernach zu Mute sein wird. Ich weiß ja, daß wir alle sterben müssen, daß wir aus Kindern heranwachsen und zu Jahren kommen, nur damit wir sterben müssen – und Sie haben uns immer gelehrt, daß der Tod nicht das Ende sei, sondern der Anfang. Aber jetzt, wo Sie von uns gehen wollen, erscheint es mir eben doch als das bittere Ende einer friedlichen Zeit. O Vater, noch nicht gehen!«

      Der Greis schüttelte leise das Haupt und erwiderte ruhig: »Was thust du mit deinem Korn, mein Hans, wenn es reif geworden ist und schwer die Ähren ihre Häupter neigen?«

      Hans schwieg.

      »Nun, du sammelst es in deine Scheune,« sagte der Vater gütig. »Darum laß dich's nicht anfechten, wenn auch mich der himmlische Hausvater in seine Scheune nehmen will, und sei gesegnet von mir.«

      Da beugte Hans die Kniee, der alte Mann legte die Hände auf sein Haupt und bewegte leise die Lippen. Dann sagte er mit lauter Stimme:

      »Baue deine Äcker, und der Herr segne deine Arbeit; baue aber vor allen andern Dingen dein Herz – denn es hülfe dir nichts, wenn du die ganze Welt gewönnest und nähmest Schaden an deiner Seele. Gott führe dich und dein Geschlecht nach dir. Amen.«

      Haus stand auf und ging zu seinen Brüdern.

      Da trat der zweite von den jungen Männern heran und ließ sich vor dem Vater nieder. Der segnete ihn und sprach:

      »Du trägst, mein lieber Georg, für einen guten Fürsten den Degen – trage ihn zur Ehre deiner Ahnen; aber vergiß über dem guten Fürsten nie den großen Fürsten des Lichts, und vergiß nie in den Kämpfen dieser Zeit den großen Kampf, den Licht und Finsternis mit einander kämpfen bis ans Ende der Tage. Und der Friede des Herrn sei mit dir im Kriege wie im Frieden.«

      Der junge Offizier küßte die faltige Hand und erhob sich.

      Als der Dritte seiner Söhne vor ihm kniete, da konnte man sehen, daß er des Vaters Ebenbild war. Der sprach zu ihm: »Ich segne dich, Friedrich. Vergiß niemals, daß du ein Diener des Worts bist, und lasse dir nie dünken, daß du sein Herr seiest; dein heiliges Amt ist, Menschen zum Lichte emporzuführen – denke immer daran, daß auch du im Finstern tappest, sowie die Leuchte in deinen Händen verlischt.«

      Nun wandte der Vater das Haupt und sah in das schöne Antlitz an seiner Seite, das von Thränen überströmt war. Dann sagte er:

      »Weine nur immerhin, mein gutes Kind, wenn es dir dadurch leichter im Herzen wird. Lebe wohl, meine Martha; du warst das Licht meines Alters, und ich segne dich, wie ich deine Brüder segne. Ihr aber, meine Söhne, waret immer gut gegen Martha, und sie war immer gut gegen euch. Jetzt übergebe ich euch die Martha; schützt sie als eure Schwester, so lange sie dieses Schutzes bedarf. Reichet ihr die Hände, wenn ihr das alles erfüllen wollt.«

      Da traten die Söhne herzu und nahmen die Hand des Mädchens, das sein Haupt auf den Schoß des Vaters gelegt hatte. Der alte Mann strich mit den zitternden Händen immer wieder über ihr lichtes Haar, und sie weinte bitterlich. –

      »Meine Söhne,« sagte nun der alte Mann, »die Zeit ist gar kurz, und ich habe noch wichtige Dinge mit euch zu besprechen. Martha, schließe das Pult auf und gib mir den Brief mit dem großen Siegel, der neulich gekommen ist.«

      Martha


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