Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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deinen Brüdern und deiner Schwester vor; denn er geht euch an. Er ist, wie du siehst, in lateinischer Sprache abgefaßt, und so wirst du ihn am besten sehr langsam lesen und gleich übersetzen, damit auch deine Schwester den Inhalt kennen lerne.«

      Und Friedrich las:

      »Edelgeborener Freiherr von Kerdern, ehrwürdiger Herr Pfarrer! Nach langwierigen Bemühungen ist es mir gelungen, Sie ausfindig zu machen, und jetzt will ich eine heilige Pflicht erfüllen. Sie haben die Ihnen zustehenden Adelsprädikate fallen lassen und führen nur den einfachen Geschlechtsnamen. So habe ich erst nach vielen Mühseligkeiten und ziemlichem Kostenaufwande alles ausfindig gemacht und trage Ihnen nunmehr folgendes an:

      Im Jahre 1430 haben, wie Ihnen wohl bekannt ist, die Hussiten Ihren Vorfahren Hans von seinen Gütern verjagt, weil er deutschen Herkommens war und sich unbeugsam weigerte, seinen katholischen Glauben abzulegen. Die eingezogenen Güter aber bestanden einerseits aus königlichen Lehen, anderseits aus Eigengütern. Die königlichen Lehen verfielen und wurden an Fremde verliehen, die Eigengüter aber kamen an einen Agnaten, der es verstanden hatte, sich in die Zeit zu schicken, und ohnedem durch seine Mutter czechischen Ursprungs war.

      Dieser – mein Vorfahr – hat nun kurz vor seinem im Jahre 1471 erfolgten Tode ein Testament gemacht, in dem er sich mit harten Worten der Schwachheit und noch schlimmerer Dinge beschuldigte und seinen Sohn beschwor, auf irgend eine Weise den Nachkommen des Vertriebenen wieder zu ihren Gütern zu verhelfen. Ob dieser sein Sohn bestrebt war, den Willen des Vaters zu thun, kann ich nicht wissen. Aber auch sein Testament enthält den Befehl, nach den Verwandten zu suchen, die er trotz vieler Mühe nicht habe finden können. »Der größte Teil unserer Güter,« heißt es dort, »gehört dem verjagten Geschlechte, und meine Erben sind verpflichtet, ihn sofort zurückzuerstatten, sowie sich jemand von ihnen zeigt.« Das war im Jahre 1530, und seit dieser Zeit, also seit 190 Jahren, ist diese Bestimmung in allen Testamenten meiner Vorfahren enthalten.

      Schwere Unglücksfälle in meinem Geschlechte haben mich mit ernstem Winke an die alte Schuld gemahnt. Ich teile Ihnen mit, daß ich nach dem frühzeitigen Hintritt meiner zwei Söhne der Letzte meines Stammes bin. Unser Besitz ist derzeit ein sehr großer in Böhmen und Ungarn; denn zu jenen alten Gütern sind allmählich noch bedeutende Erwerbungen gekommen. Diese werden nach meinem Tode an meine Töchter übergehen, die alten Güter aber sollen nach meinem festen Willen noch zu meinen Lebzeiten in Ihre Hände gelangen, oder – in die Hand der Gesellschaft Jesu.

      Nach vielen Bemühungen also und nicht zum mindesten durch den Eifer der patres societatis Jesu in Prag, denen aber meine letzten Absichten noch nicht bekannt sind, und durch die Beziehungen, die sie in allen Ländern besitzen, habe ich Sie gefunden, habe mich über Ihre Verhältnisse unterrichtet und die Überzeugung gewonnen, daß Sie meines Geschlechtes sind. Hierauf bat ich den Gesandten des Kaisers am Hofe des Königs von Frankreichs, daß er Ihnen diesen Brief zustelle. Ich glaube nicht, daß Sie, ein Pfarrer, die Güter selbst in Besitz nehmen wollen; denn ich füge eine feste Bedingung bei: Weil ich der katholischen Kirche treu ergeben bin und überdies jener Vertriebene auch ein Katholik war, so ist es mein Wille, daß nur ein Katholik diese Güter antreten soll. Teilen Sie aber mein Anerbieten Ihren Söhnen mit und geben Sie mir innerhalb dreier Monate Antwort. Ich weiß, daß Sie zuweilen Ihren Bekannten von den alten Dokumenten erzählten, die Sie besitzen, und so hoffe ich, daß Sie die sehr notwendigen Zeugnisse Ihrer Abstammung in Händen haben.

      Meine Linie hat von alten Zeiten her einen andern Namen und ein anderes Wappen als die Ihre geführt, ich kann mich aber, wie Sie einsehen werden, vor Ihrer Zusage nicht zu erkennen geben. Ihre Stammburg ist längst zerfallen, und nur wenige Menschen kennen die Ruinen, die keinen Namen mehr haben. Wohlan, ich besitze die Macht, Ihr Geschlecht wieder emporzuheben an den Ort, der ihm zusteht. Aber die Bedingung in dem Punkte der Religion ist eine feste und kann niemals geändert werden. Man hat mir gesagt, daß Sie rechtschaffen sind. Deshalb will ich nicht besonders aussprechen, daß Sie ohne Hinterhalt auf meine Bedingung eingehen müßten. –

      Das auf diesen Brief gedrückte Siegel des Gesandten am französischen Hofe wird Ihnen für die Wahrheit meiner Worte genügenden Beweis geben.«

      Friedrich faltete das Schreiben zusammen und besah sich das Siegel. Dann gab er es seinen Brüdern. Die besahen sich auch Schrift und Siegel, und keiner sagte ein Wort. Es war ganz stille in dem Gemach.

      Da richtete der alte Mann im Ruhesessel das Haupt in die Höhe, schaute seine Söhne nach der Reihe an und fragte: »Was haben wir hier zu thun, Hans?«

      Der kreuzte seine Arme über der Brust und sprach: »Die Güter sind reich und sind gewiß größer als mein kleines Pachtgut, und die Worte in dem Briefe sind sehr glänzend. Ich glaube nicht, daß der Brief ein unwahres Wort enthält. Aber der Kaufpreis ist zu hoch; mir brächte es, so schätze ich, wenig Gewinn, um des Geldes willen unsern lutherischen Glauben abzuschwören und danach ohne Ehre in einem Schlosse zu wohnen. Und so bleibe ich auf meinem Pachthofe.«

      »Und was sagt ihr, Georg und Friedrich?« fragte der Greis.

      Da besann sich der Offizier eine kurze Zeit; dann aber sah er den Vater an und erwiderte ihm mit fester Stimme:

      »Das nämliche wie mein Bruder.«

      »Und ich,« sagte Friedrich, »denke wie meine Brüder.«

      Da faltete der Greis die Hände und schaute lange hinaus über die Strohdächer des Dorfes, über das abendliche Thal, hinüber zu den Waldhügeln, die im Glanze der untergehenden Sonne schwammen. Dann sprach er:

      »Ihr habt gewählt, meine Söhne, ihr habt so gewählt, wie ich es von euch gedacht habe, als ich den Brief gelesen hatte, – nicht anders als ich mir gedacht habe. Und es ist gut so. Es ist mir nicht bekannt, daß noch irgendwo Leute unseres Geschlechtes wohnen, und so haben wir nur für uns zu sorgen. Schreibe daher, Hans, in der nächsten Zeit mit kurzen Worten an den Gesandten und teile ihm unsern Entschluß mit. Jetzt aber bitte ich euch, daß ihr das Werk mit mir vollendet. Tragt mir doch die kleine, braune Truhe aus meinem Schlafgemach, ihr kennt sie, die mit den Eisenbeschlägen.«

      Hans ging und stellte die braune Truhe auf einen Sessel neben den Vater. Der Greis löste einen Schlüssel von seinem Halse und hieß Martha das kunstvolle Schloß öffnen. Sie that es, und er fuhr in seiner Rede fort:

      »Diese Truhe, meine Kinder, enthält alle die Dokumente, die von jenem böhmischen Herrn gefordert werden. Es sind sowohl Urkunden auf Pergament und Papier, als auch sonstige Nachrichten, die von euch zurückreichen bis zu dem, der um seines Glaubens willen vertrieben worden ist. Alles befindet sich in bester Ordnung, so wie ich es von meinem Vater überkommen habe und wie ich es einst dir, Hans, zu hinterlassen gedachte.

      »Nun aber ist es besser, wenn ich dir diese Dinge nicht hinterlasse; denn ehedem waren in der Truhe nichts als unschuldige Pergamente und Papiere, die uns alte Geschichten von unsern Vorfahren zu erzählen vermochten. Jetzt aber sind es keine unschuldigen Dokumente mehr, weil aus ihnen für die Zukunft schwere Versuchungen entstehen können.

      »Es geht eine alte Sage in unserm Geschlechte, daß die Jesuiten vor Zeiten einen der Unsern bethört hätten; niemand konnte mir etwas Genaues darüber mitteilen, nicht mein Vater, nicht mein Großvater. Nur das wußten sie, daß dieser Eine von den Unsern hernach in großes Unglück geraten ist.

      »Auch hier haben diese Menschen wieder die Hände in der Sache, und das ist's, was mich sehr ängstigt. Ihr seht aus dem seltsamen Briefe, daß sie uns und unsere Geschicke wohl kennen, daß sie Verbindungen haben, die bis in meine nächste Umgebung reichen. Ihr habt euch ja ohne Zögern entschieden, was uns auf dieses lockende Anerbieten zu thun obliegt – aber mir graut nun dennoch vor den Pergamenten und Papieren in der Truhe; denn sie sind der Steg, auf dem zu euch, zu euern Kindern, ja vielleicht noch zu euern Kindeskindern die Versuchung heranzukommen vermöchte.

      »Deshalb habe ich euch gebeten, das Werk mit mir zu vollenden und als entschlossene Leute diesen Steg hinter euch abzubrechen. Es ist das aber nur eine Bitte; ihr sollt völlig frei entscheiden.«

      Da sagte der Älteste unter den Brüdern:

      »Ich denke, Vater, wir verbrennen diese Dokumente noch jetzt zur Stunde.«


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