Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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des Reiches, brachten es dort zu hohen Ehren, und es kam durch ihre eigene Tüchtigkeit und durch ihre glücklichen Heiraten in angesehene Geschlechter dahin, daß auch dieser Zweig wieder in Schlösser einzog, ja sogar von dem Fürsten des Landes die Erlaubnis erhielt, das alte Wappen und die alten Auszeichnungen aufs neue zu führen. –

      Von dem jüngsten Sohne des alten Mannes aber, von jenem Friedrich, stammt das Geschlecht meines Vaters. Es hat wieder ganz andere Wege gemacht, als die Nachkommen der beiden älteren Brüder, es ist niemals in Schlössern zu wohnen gekommen, es hat niemals Überfluß an irdischen Gütern gehabt, und wenn auch in manchem seiner Glieder das alte Kriegerblut wieder durchgebrochen ist, so hat es doch zu allen Zeiten mehr mit der Feder geleistet als mit dem Schwert, es hat niemals sein altes Wappen und seine alten Titel vor der Welt zur Geltung gebracht, sich niemals neue Titel erworben, aber seine Söhne haben als Staatsbeamte, als Geistliche, als Professoren ehrenvolle Plätze unter ihren Mitmenschen eingenommen, und wenn auch keiner von ihnen Wälder gerodet, Schlösser gebaut, Regimenter gegen den Feind geführt hat, so haben sie doch im stillen ebensoviel geleistet als ihre reichen Vettern im Walde und ihre stolzen Vettern im Ausland. Denn es besteht einmal die Einrichtung auf dieser Erde, daß nicht einem jeden Stamm gegeben ist, Schlösser zu bauen, Wälder zu roden und Regimenter zu führen. Und wenn ich's recht bedenke, so freue ich mich darüber, daß wir niemals in Schlössern gewohnt haben; denn die Schlösser haben weite Thore, und es flutet viel durch diese Thore, was an den Thüren kleiner Häuser vorübergeht.

      Mit den beiden andern Ästen hatte vordem unser Ast noch lange Fühlung behalten. Seit einem halben Jahrhundert jedoch hatte man aufgehört, nach den andern zu sehen, und war unbekümmert um sie seine eigene Straße gezogen. Nur das eine wußte man, daß über die Herren im grünen Wald schwere Wetter gegangen waren, und auch das andere hatte man gehört, daß der Stamm im Norden nur noch auf zwei Augen stehe. Dann aber war auf einmal dieser letzte Mann gekommen. Er war ein alter Offizier von großer Gestalt, er hatte blitzende, blaue Augen und wellige Haare wie alle Männer des Kerderngeschlechts, aber seine Haare waren schneeweiß. Von der Sehnsucht getrieben hatte er die Stätten bereist, an denen seine Väter gewohnt hatten, das Klosterpfarrhaus im Frankenlande hatte er besucht, hatte die Stube mit dem alten Kamin betreten, hatte über das weite Thal zu den Waldhügeln geschaut und war wieder in seine Heimat zurückgekehrt.

      Man unterhielt sich anfangs viel von ihm in unsern Häusern, dann zeigte man nur noch zuweilen seine Karte den Kindern, zuletzt aber vergaß man ihn fast ganz; die Verwandten im Norden wurden wieder zu sagenhaften Leuten, und ruhig ging man seine Alltagswege dahin.

      Und doch wurde gerade in unserem Stamme von jeher gar viel über die alten Geschichten des Geschlechtes gesprochen; ich glaube, daß weder die Herren im Walde mit der neuen Adelskrone, noch die Soldaten auf ihren Schlössern droben im Norden sich je so sehr um die Vergangenheit kümmerten, als diese armen Geistlichen und diese schlichten Professoren. Es mochte das wohl zum Teil an unsern Müttern gelegen sein, die fast alle auch aus alten Familien waren, unsere ehrwürdigen Überlieferungen begierig in sich aufnahmen und sie mit den Geschichten ihrer eigenen Geschlechter an ihre Kinder weitergaben.

      So hat sich viel von wahren und sagenhaften Dingen bei uns erhalten, von der alten, geheimnisvollen Stammburg Kerdern herab bis auf die merkwürdige Geschichte von dem Häuflein verbrannter Pergamente und dem sterbenden alten Manne.

      Unter allen seinen Brüdern und Vettern war es wieder mein Vater, den diese Dinge von seinen Jugendjahren her am meisten beschäftigten.

      In seine Knabenspiele schaute sagenumhüllt, sonnig und doch dunkel die verlassene Burg der Väter – und oft fragte er die Erwachsenen, wo im weiten Böhmen sie denn läge; aber niemand vermochte ihm Antwort darauf zu geben, auf keiner Landkarte konnte er sie finden.

      Da setzte sich allmählig in dem kleinen Kopfe die Idee fest: Wenn ich erst groß bin, dann suche ich die Burg; und wenn sie zerfallen ist, dann baue ich sie wieder auf im grünen Wald und lebe als Ritter darinnen mit glänzendem Harnisch und Helme. Und er sprach von diesen Plänen und verworrenen Bildern auch zu seinen Geschwistern; als sie ihn aber verlachten, da verschloß er sie in sein Herz.

      Und er wurde ein Jüngling, seine Gaben bewirkten, daß ihm die Welt offen stand, und es schien, als winke ihm das irdische Glück. Er aber jagte ihm freudig nach, und – hinter allem, was er dachte und that, hoffte und erreichte, lag eben immer noch die alte Burg, und wie damals der thörichte Knabe, und doch anders, sagte sich jetzt der Jüngling: Wenn ich das irdische Glück erreicht habe, dann mache ich mich auf und wandere hinein in dieses wunderbare Böhmen, gehe von Ort zu Ort und frage, wo mein Kerdern liegt, steige auf alle Berge und streife durch alle Thäler, und wenn es die Jahrhunderte etwa mit Wäldern umsponnen haben, dann will ich die Hirten fragen, ob sie's wissen, ich will die Köhler fragen, ob sie davon gehört haben, ich will die Jäger fragen, ob sie's gesehen haben. Und ist es dann gefunden, vielleicht zerfallen in einem Thale, vielleicht in Trümmern auf einsamer Höhe, dann werbe ich Leute, lasse die alten Mauern und die alten Türme aufs neue emporsteigen aus dem Schutt, aber in großer Pracht, und ziehe wieder ein, wo sie vor vierhundert Jahren verjagt wurden, erhebe mein Geschlecht zum alten Glanz und beschließe meine Tage. So dachte der Jüngling; das Leben aber führte ihn auf einmal andere Wege, es ging von Kampf zu Kampf, von Mühe zu Mühe, von Plage zu Plage; und ehe er sich besann, war er alt, grausilberne Fäden zogen sich durch die blonden Haare von damals, und die lustigen Träume von damals – sie waren mit den eilenden Jahren entflohen.

      Da fiel ihm eines Tages bei seinem ältesten Bruder die Bibel Friedrichs, eine Abschrift jenes zerschnittenen Stammbaumes und der Brief des böhmischen Herrn in die Hände, und mit einemmale erwachte wieder die alte Sehnsucht mächtig in ihm: Das Kerdern möchte ich doch noch finden!

      Aber es war nicht mehr der kindische Wunsch des Knaben, einen Ritter zu spielen, nicht mehr der gehaltlose Traum des Jünglings, zerfallene Mauern aufzubauen. Der Wille des ernsten Mannes war ein anderer. Wohl hoffte auch er noch das alte Kerdern zu finden, doch er gedachte, seine Trümmer ruhig liegen zu lassen. Den verlorenen Faden wollte er an ihnen anknüpfen, ihn rückwärts und vorwärts verfolgen, der Geschichte seiner Vorfahren wollte er nachgehen auf ihren verschlungenen Pfaden und seinem Geschlechte, das er sehr liebte, von seiner Vergangenheit erzählen. Und je länger er sann, desto fester wurde seine Absicht, desto greifbarer wurde die Gestalt ihrer Ausführung.

      Er begann zunächst alles zu sammeln, was seine Brüder hatten – aber es war nicht viel. Dann nahm er die gedruckten Werke zur Hand, in denen von den Herren im Walde und von den Soldaten im Norden die Rede war – aber es standen manche Irrtümer darinnen. Zuletzt versuchte er es auch, in dem einen oder dem andern Archive Einlaß zu finden – aber diese Thüren blieben ihm sehr oft verschlossen.

      So sammelte er eben, was zu erreichen war, beschränkte sich aber bald nicht mehr auf sein eigenes Geschlecht, sondern zog auch die Geschlechter unserer Mütter und Großmütter in den Kreis seiner Forschungen – und wurde so unvermerkt zum Genealogen.

      Und je länger seine genealogischen Arbeiten dauerten, desto klarer wurde ihm, daß es eine große Menge gestürzter, verjagter Geschlechter gibt, und indem er die verschlungenen Pfade seiner verwandten Geschlechter zu verfolgen suchte, sah er auf einmal auch die große Geschichte selbst in einem viel wärmeren, helleren Lichte. Seine Augen waren durch den Blick aufs Kleine geschärft worden für die Erkenntnis des Großen, und er vermochte das zu sehen, woran die meisten Leute achtlos vorübergehen: die Wechselbeziehung zwischen Kleinem und Großem in der Geschichte.

      Denn es sind breite Heerstraßen über die Erde gespannt, und auf ihnen ziehen die Großen, die Könige mit ihren goldenen Kronen, die Feldherrn mit ihren blutigen Schwertern, die Weisen, von denen man sagt, sie tragen ihrer Zeit die Fackel vorauf. Sie sind gut zu sehen in ihrer Pracht, und weit zurück kann man die mächtigen Gestalten mit den Augen verfolgen, bis auch die breiten Straßen immer enger und enger erscheinen, bis nur zuweilen noch ein goldener Helm ragt, eine hohe Lanze blitzt, ein weiser Spruch tönt, und dann endlich nichts mehr vorhanden ist als graue Nebel in einem tiefen Thale.

      Auf diesen Heerstraßen, mit diesen hohen Gestalten ziehen die Völker aus dem Dunkel der Vergangenheit durch die helle Gegenwart in die verschleierte Zukunft, und es ist viel von diesen Straßen zu lesen in allen den dicken Geschichtsbüchern,


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