Der Bergpfarrer Paket 3 – Heimatroman. Toni Waidacher
andere Frau?«
Constanze war unwillkürlich blaß geworden, und ihr Herz schlug schneller vor Schreck.
Nein, redete sie sich ein. Ulli betrügt mich nicht! Wir lieben uns doch.
Sie erinnerte sich an den Abend, an dem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Schon da war ihr klar, daß er der Mann ihrer Träume war. Erst sehr viel später erfuhr Constanze, daß Ullis Vater eine alte Lebkuchenfabrik gehörte, die in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Daß durch diese Konstellation die Beziehung noch enger werden würde, hatte sie zu Beginn noch gar nicht geahnt. Indes war sie ihr später auch nicht unliebsam. Denn so konnte sie sicher sein, daß sie Ulli zum Mann bekommen würde.
»Nein«, schüttelte sie heftig den Kopf. »Das glaube ich nicht!«
Petra Reuter unterließ es, eine Bemerkung zu machen, obgleich ihr eine auf der Zunge lag. Vielleicht war ja doch alles ganz harmlos. Möglicherweise war es die Bergluft, und Ulli war einfach wirklich nur zu müde gewesen, um lange zu telefonieren.
Allerdings wollte Constanze die halbgestellte Frage nach einer anderen Frau nicht aus dem Kopf gehen. Als sie später im Bett lag, mußte sie immer noch daran denken.
Ach, dummes Zeug, versuchte sie, sich zu beruhigen. Ulli wird doch nicht die Firma seines Vaters aufs Spiel setzen. Ganz abgesehen von der glänzenden Zukunft, die ihm bevorstand, wenn er erst einmal ihr Mann war und zusammen mit ihr die Großbäckerei von Werenhofen leitete.
Doch was, wenn Petra mit ihrer Vermutung recht hatte? Am liebsten wäre sie sofort nach St. Johann gefahren und hätte mit ihm gesprochen. Aber das ging ja nicht. Nicht in den nächsten Tagen, an denen so wichtige Prüfungen anstanden, dazu noch die Diplomarbeit, die darauf wartete, den letzten Schliff zu bekommen und abgegeben zu werden.
Du siehst Gespenster, sagte sie zu sich. Bestimmt ist alles ganz anders. Ulli hat sich ein wenig verausgabt und wollte wirklich nur noch schlafen. Wenn wir morgen telefonieren, wird alles so wie früher sein.
Mit diesem Gedanken schlief Constanze endlich ein.
*
Am nächsten Morgen war das Telefonat, das er mit seiner zukünftigen Verlobten geführt hatte, schon wieder vergessen. Allerdings nur für kurze Zeit. Gleich nach dem Frühstück hatte Ulli Eva von der Pension abgeholt. Beide trugen Wanderkleidung. Während des kleinen Abendessens in der Pension Stubler hatten sie eine Wanderung verabredet. Mit Rucksack und Karte ausgestattet, machten sie sich auf den Weg.
Zunächst ging es durch den Ainringer Wald. Eva hatte erzählt, daß es dort ein altes Jagdschloß gäbe, das Pfarrer Trenker gehörte. Der Geistliche hatte in dem ehemaligen Besitz des Baron Maybachs eine Jugendbegegnungsstätte eingerichtet.
Unterwegs rasteten sie auf einer Waldlichtung. Ria hatte ihnen belegte Brote und Getränke mitgegeben, die sie sich schmecken ließen.
Ulli biß gerade herzhaft in seine Brotscheibe, als eine Frage Evas sich ihn beinahe verschlucken ließ.
»Ich wollte dich gestern abend noch fragen«, sagte sie. »Hast du eigentlich deinen Vater zurückgerufen?«
Der junge Bursche hustete den Brotkrümel aus, sein Gesicht war rot angelaufen.
Allerdings aus Verlegenheit…
Er nickte.
Damit ihn nicht wieder so ein unliebsamer Anruf erreichte, hatte er sein Mobiltelefon ausgeschaltet im Hotel gelassen.
»Herrlich hier, was?« wechselte er das Thema.
Eva nickte.
Rings um sie herum war dichter Wald, auf die Lichtung fielen die Strahlen der Sonne, und überall in den Büschen regte sich Leben.
Ulli holte die Wanderkarte hervor und breitete sie aus.
»Jetzt sind wir ungefähr hier«, meinte er und deutete auf einen Punkt auf der Karte.
Sein Finger fuhr eine dünne Linie entlang.
»Wenn wir den Weg hier nehmen, kommen wir irgendwann zu dieser Hütte, die hier eingezeichnet ist.«
Eva hatte sich zu ihm gebeugt. Ihre Haare kitzelten sein Gesicht, und er wandte sich ihr lächelnd zu.
Ihre Augen strahlten sich gegenseitig an, und als sie sich küßten, fühlten sie wieder die unsagbare Liebe füreinander.
»Komm«, sagte Ulli schließlich, »wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
Sie packten ihre Sachen zusammen und wanderten weiter. Keine Menschenseele begegnete ihnen, es schien, als gäbe es nur sie beide allein auf der Welt.
Langsam stieg der Pfad an, der Wald wurde weniger, und schließlich entdeckten sie die Hütte auf einem Hügel zwischen Bergwald und Almwiesen.
»Himmel, ist das schön hier!« sagte Eva andächtig. »Hättest du gedacht, daß es hier so ein romantisches Plätzchen gibt?«
Ulli schüttelte den Kopf.
Hand in Hand gingen sie zur Hütte. Auf der Karte stand ihr Name: Geißlinger-Hütte, benannt nach dem Bauern, der sie einst hatte erbauen lassen, um nicht immer den weiten Weg nach Hause machen zu müssen, wenn er mit seinen Jagdkumpanen unterwegs war.
Allerdings war das schon vor mehr als fünfzig Jahren gewesen. Heute stand die Hütte meist leer, wenn sich nicht gerade ein paar Wanderer hierher verirrten und sich an dem Platz ausruhten.
Von außen schien das Bauwerk noch ganz intakt, innen sah man die Spuren, die der Zahn der Zeit hinterlassen hatte. Altes, zerschlissenes Mobiliar und Unrat luden nicht zum Verweilen ein. Anders auf der Terrasse, auf der Sitzmöbel, aus grobem Holz gehauen, standen, die wahrscheinlich im Laufe der Jahre von den jeweiligen Besitzern erneuert worden waren. Den Geißlingerhof gab es schon lange nicht mehr. Der letzte Bauer hatte ihn vor über zehn Jahren verkauft und war in die Stadt gegangen.
Doch davon wußten die beiden Liebenden nichts, als sie es sich auf der Terrasse gemütlich machten. Eva hatte Tisch und Stühle von Tannennadeln und Spinnweben befreit, Ulli war um die Hütte herumgegangen und schaute sich dort um.
Ich muß es ihr sagen, überlegte er, während er in eines der Fenster schaute, das von einer dicken Staubschicht bedeckt war.
Mit dem Zeigefinger malte er ein Herz darauf und schrieb ihrer beiden Vornamen dazu.
Ja, Eva mußte es auch wissen, dachte er weiter. Sie wird bestimmt überrascht sein, aber wenn ich ihr versichere, daß nur sie in meinem Leben zählt, dann wird sie für meine Ehrlichkeit auch dankbar sein.
Und gleich heute abend rufe ich meine Eltern an. Sie müssen mit Constanzes Vater reden, damit diese Verlobung noch rechtzeitig gestoppt wird.
»Wo bist du denn?« hörte er Eva rufen.
»Komme schon«, rief er zurück und ging um die Hütte herum.
Die junge Frau saß auf der Terrasse und strahlte ihn an. Ulli blieb stehen und betrachtete sie.
»Weißt du eigentlich, wie wunderschön du bist?« fragte er, von dem Anblick überwältigt.
Eva lächelte verlegen. Dann stand sie auf, kam auf ihn zu und legte ihren Arm um ihn. »Ich liebe dich unendlich, Ulli«, flüsterte sie.
Er schluckte.
»Ich dich auch«, antwortete er.
Und sein schlechtes Gewissen schlug heftiger denn je.
*
Sebastian Trenker saß in seinem Arbeitszimmer, als Sophie Tappert den Besucher meldete. Der Geistliche sah erstaunt auf.
»Bruder Blasius«, sagte er gespannt, »nimm Platz. Was führt dich zu mir?«
Der Pfarrer von St. Anna ließ sich schweratmend in den Sessel sinken. Offenbar hatte ihn der Gang den Kiesweg hinauf sehr angestrengt. Sein Gesicht war gerötet, und er schnaufte nach Luft.
»Tja, Sebastian«, antwortete er, »das ist net