Schwerwettersegeln. Peter Bruce
ihre Erfahrungen preisgegeben, um anderen zu helfen, wenn sie in ähnliche Turbulenzen geraten.
Im Laufe der Jahre hat die durchschnittliche Größe seegehender Fahrtenyachten kontinuierlich zugenommen. So lagen beispielsweise bei den ersten drei Auflagen der ARC (Atlantic Rally for Cruisers) 56% der Yachten unter zwölf Meter Länge. Heutzutage beträgt die Durchschnittslänge der teilnehmenden Yachten 13,50 Meter.
Dieser Trend ist in vielerlei Hinsicht begrüßenswert, erhöht aber die Abhängigkeit von der Technik an Bord sowie den Wartungsaufwand.
Der Kauf einer Segelyacht kann in etwa mit dem Erwerb eines Hauses am Fuß eines Berges verglichen werden. Das neue Haus und die anderen Häuser ringsum sehen gut aus, sind ordentlich gebaut, geräumig, schön eingerichtet und komfortabel. Die entscheidende Frage aber, die man an eine erfahrene und verantwortungsvolle Person – und nicht etwa an den Immobilienmakler – richten sollte, muss lauten: Hält das Haus auch einer Lawine stand und treten in dieser Gegend Lawinen auf?
Bei einer Durchkenterung ist es in etwa so wie bei einer Lawine. Für den Großteil der Zeit stellt sich die Frage überhaupt nicht, und wenn es die Umstände überhaupt möglich erscheinen lassen, muss man schon ausgesprochenes Pech haben, um getroffen zu werden. Allzu leicht könnte man annehmen, dass man niemals in eine Situation kommt, bei der es auf den Stabilitätsumfang wirklich ankommt. Doch manchmal treten Situationen ein, ohne dass man die Wahl hat.
Es hat den Anschein, dass sich in den letzten 40 Jahren wenig in Bezug auf Stabilität und Kielsicherheit zum Besseren gewandelt hat. Doch diese zwei Punkte betreffen jeden Yachteigner.
Der erste Teil dieses Buches, Ratschläge der Experten, wurde umfangreich überarbeitet. Neue Entwicklungen wurden aufgenommen, wenngleich viele der empfohlenen alten und bewährten Praktiken nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt haben. Mit der Nennung einzelner Produktnamen ist kein wirtschaftliches Interesse verbunden.
TEIL 1
Ratschläge der Experten
Yachten sollten so gebaut sein, dass sie extremem Wetter widerstehen können – wie auf diesem Foto aus dem Südatlantik mit geschätzter Wellenhöhe von 12 bis 15 Meter und einer Windgeschwindigkeit von 60 bis 80 Knoten.
1. Konstruktionsmerkmale einer Yacht für Schwerwetter
VON OLIN STEPHENS MIT ERGÄNZUNGEN VON MARTIN THOMAS UND PETER BRUCE
Der Verlust einer Yacht auf See ist für sich genommen schon eine Katastrophe, noch viel tragischer ist es aber, wenn dabei Menschen ihr Leben verlieren. Bei der anschließenden Untersuchung eines solchen Unglücks versucht man festzustellen, zu welchem Teil die Konstruktion der Yacht sowie ihr Wartungszustand und zu welchem Teil menschliches Versagen eine Rolle gespielt haben. Als sich in den 1990er-Jahren einige Regattayachten nach Kenterungen nicht wieder aufrichteten, lag das zumindest teilweise auch am Design dieser Yachten, während die Strandungen der GIPSY MOTH IV im Jahr 2006 und der VESTAS WIND im Jahr 2014 menschliches Versagen zur Ursache hatten. Schweres Wetter kann Yachten aller Art und Größe übel zusetzen, doch ist es interessant, die Designmerkmale derjenigen Yachten genauer zu betrachten, die die schlimmsten Stürme am besten überstehen konnten. Oft sind es diese Designmerkmale, die den Unterschied ausmachen, wenngleich meist das Verhalten der Besatzung im Vordergrund steht, sobald die Yacht in See sticht. Um Stürme überstehen zu können, muss in erster Linie die Schwimmfähigkeit der Yacht erhalten bleiben, es darf zu keinem größeren Wassereinbruch kommen, und die Yacht darf nicht kentern und wenn doch, so muss sie sich schnell wieder aufrichten. Die Festigkeit des Rumpfes und der positive Bereich des Stabilitätsumfangs stehen deshalb an allererster Stelle. In diesem Kapitel versuche ich herauszustellen, wie diese Grundvoraussetzungen am besten erreicht werden können, um Sicherheit und Schutz der Besatzung auf hoher See zu gewährleisten.
Meine lebenslange Erfahrung am und auf dem Wasser hat mich gelehrt, dass die unterschiedlichsten Bootstypen schwerstes Wetter auf langen Fahrten überstehen können. Es muss im Jahr 1926 gewesen sein, als mein Bruder Rod und ich die ISLANDER von Harry Pidgeon im Hafen von New Rochelle, unweit unseres Zuhauses, ausmachten. Sofort liehen wir uns ein Dingi und statteten der 10,40 Meter (34 Fuß) langen Yawl einen Besuch ab, um diesen Eigenbau genauer unter die Lupe zu nehmen, mit dem Harry Pidgeon einhand um die Welt gesegelt war. Weder die geringe Verdrängung der ISLANDER noch ihr V-förmiger, einfacher Knickspantrumpf hatten den Skipper in lebensbedrohliche Schwierigkeiten gebracht. Die Einfachheit sowohl der Konstruktion als auch der Ausrüstung war beeindruckend: Kein Motor, keine Elektrik, kein Log, nicht einmal ein Schlepplog, waren an Bord. Wir bewunderten den Mann, der alles so mühelos und unbeschwert erscheinen ließ. Bald darauf hörten wir, dass Alain Gerbault mit seiner FIRECREST auf City Island eingetroffen sei und machten uns sogleich auf den Weg. Obwohl uns die Gegensätzlichkeit dieser Yacht in allen Belangen enttäuschte, so hatte dieses ältere und schwerere Boot doch sehr harte Stürme überstanden.
Ich habe bis heute großen Respekt vor der Arbeit von Dr. Claud Worth, der in den 1920er-Jahren mehrere Yachten mit dem Namen TERN besaß. Er widmete sich in akribisch genauer Art dem Hochseesegeln. In seinen Büchern Yacht Cruising sowie Yacht Navigation and Voyaging spricht er sich für Langkieler mit gemäßigter Breite und hoher Verdrängung aus.
Vor diesem Hintergrund gelangte ich zu der Überzeugung, dass – strukturelle Festigkeit und gute Seemannschaft vorausgesetzt – ein Boot umso besser ist, je größer es ist. Ein größeres Boot stellt zwangsläufig sowohl an den Erbauer als auch an die Crew höhere Ansprüche, da die auftretenden Lasten mit zunehmender Bootslänge exponentiell ansteigen. Große Segelflächen zu bändigen, erfordert mehr Kraft und Können, während kleine Segel von Hand unter Kontrolle gebracht werden können. Das Gleiche gilt für den Rumpf, Mast und Spieren sowie stehendes und laufendes Gut.
Zum Thema Sicherheit bei Kenterungen haben Untersuchungen der United States Yacht Racing Union (USYRU) zusammen mit der Society of Naval Architects and Marine Engineers (SNAME) und der Wolfson Unit der Universität von Southampton zwei charakteristische Auswirkungen ergeben, bei denen die Konstruktionsmerkmale einer Yacht von besonderem Belang sind. Zum einen ist es der Druck des Windes auf das Rigg, zum anderen die katapultartige Kraft einer brechenden See. Der Druck des Windes überfordert eine kleine Yacht nicht unbedingt, aber ein Sturzbrecher kann den Rumpf oder das Deck zerschmettern.
Begriffe wie Größe und Verdrängung werden oft im gleichen Zusammenhang gebraucht. Bei Angaben wie »hohe« oder »geringe« Verdrängung ist in der Regel das Verhältnis von Verdrängung (Deplacement) zur Länge gemeint, das sich aus der Verdrängung in Tonnen geteilt durch die dritte Potenz aus ein Prozent der Länge der Wasserlinie in Fuß errechnet. Inklusive extremer Werte ergibt sich eine Spanne von 50 bis 500 bei Booten mit einer Länge der Wasserlinie zwischen 20 und 80 Fuß. (In Europa errechnet man das dimensionslose Verdrängung/Längen-Verhältnis, CDL genannt, i.d.R. folgendermaßen: Verdrängung in Tonnen geteilt durch die dritte Potenz aus 10 Prozent der Länge der Wasserlinie in Metern, sodass sich Werte von ca. 2–18 anstatt 50–500 ergeben. Anm. des Übers.) Mit zunehmender Bootslänge bei annähernd gleicher Rumpfform steigt das aufrichtende Moment in der vierten Potenz an, während die Kräfte, die das Boot krängen, nur in der dritten Potenz ansteigen. Genau das ist der Grund, warum ein kleines Boot im Verhältnis eine größere Breite und mehr Verdrängung benötigt, während große Yachten mit vergleichbaren Rumpfformen ein im Verhältnis größeres Rigg benötigen. Deshalb sollten kleine Boote den unteren Bereich des Verdrängung/Länge-Verhältnisses und große Boote den oberen Bereich meiden.
Bei der Konstruktion ergibt sich die Verdrängung in erster Linie aus den Festigkeitsund Stabilitätsanforderungen,