PROJEKT GALILEI. Stefan Bouxsein

PROJEKT GALILEI - Stefan Bouxsein


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So genau konnte Lena die Ethnien nicht auseinanderhalten. Schon gar nicht bei einer Toten. Sie befand sich im Hotel Jumeirah, das zu einer Kette mit Sitz in Dubai gehörte. Das Fünf-Sterne-Hotel in der Frankfurter Innenstadt war das erste Haus der international tätigen Hotelkette, das auf deutschem Boden eröffnet hatte. Lena Leisig warf einen flüchtigen Blick aus der großen Fensterfront. Die Panoramasicht auf die Frankfurter Innenstadt und dem daraus aufragenden Hochhaus der Europäischen Zentralbank am Mainufer war atemberaubend und stellte einen krassen Kontrast zu dem Anblick des Opfers in der Suite dar. Die Kommissarin hatte freie Sicht bis ins benachbarte Offenbach. Aber sie war nicht hier, um sich die Stadt anzuschauen. Ihr Blick wanderte zurück zu der Toten und der Frau, die den Leichnam kurz vor ihrem Eintreffen noch untersucht hatte.

      »Sie sind Frau Leisig?«, erkundigte sich die Frau.

      Lena Leisig nickte noch ein wenig gedankenverloren, nachdem sie sich einen ersten Eindruck vom Tatort verschafft hatte. Sie befanden sich in der großzügig gestalteten Panoramasuite, die aus einem Arbeits- und einem Wohnbereich bestand.

      »Ich bin Anna Lehmkuhl, die Gerichtsmedizinerin. Sabine Siebels hat mir schon von Ihnen erzählt. Sabine ist eine gute Freundin von mir.«

      Lena Leisig reichte Anna Lehmkuhl die Hand. »Hi. Ja, ich bin Lena Leisig. Sabine hat mir auch schon einiges von Ihnen erzählt. Freut mich, dass wir uns jetzt persönlich kennen lernen.« Lena deutete auf die tote Frau auf dem Fußboden. »Wenn der Anlass leider auch nicht sehr erfreulich ist. Ich nehme an, sie wurde vergewaltigt?«

      Anna Lehmkuhl nickte. »Ja, die Spuren sind eindeutig. Sie hat sich heftig gewehrt. Aber der Täter ist äußerst brutal vorgegangen, das sehen Sie ja selbst.«

      »Konnten Sie die Todesursache schon feststellen?« Lena ließ ihren Blick über die tote Frau schweifen. Auch im Tod strahlte sie noch einen gewissen Stolz aus, trotz des sichtbaren Martyriums, das sie über sich hat ergehen lassen müssen, und trotz der körperlichen Blöße. Oder vielleicht auch genau deswegen. Weil sie so schön war. Schön und unnahbar. So stellte Lena sich die junge Frau vor, als noch Leben in ihr war.

      »Nach der ersten Leichenschau spricht alles für einen Erstickungstod. Sie wurde erwürgt.« Anna Lehmkuhl packte ihre Utensilien zusammen, während sie Lena ihre Erkenntnisse mitteilte.

      »Wissen wir schon, wer sie ist?«

      »Nein. Außer ihrer Kleidung haben wir keine persönlichen Sachen gefunden. Keine Handtasche, keine Geldbörse, keinen Ausweis.«

      Lena inspizierte die auf dem Boden verteilten Kleidungsstücke. »Der Blazer und die Bluse stammen aus einer Luxusboutique«, stellte sie fest. »Die High Heels kosteten bestimmt auch ein kleines Vermögen. Auf wen ist das Zimmer gebucht?«

      Anna Lehmkuhl zuckte die Schultern. »Das zu klären, gehört jetzt zu Ihren Aufgaben. Das Hotelpersonal ist jedenfalls ziemlich nervös und auf äußerste Diskretion bedacht.« Das Handy der Gerichtsmedizinerin kündigte einen Anruf an. Anna Lehmkuhl schaute kurz auf das Display und nahm das Gespräch entgegen. »Hallo, Till. Kann ich dich in ein paar Minuten zurückrufen? Ich bin gerade an einem Tatort.« Anna Lehmkuhl zog die Augenbrauen hoch, als sie hörte, was ihr Lebenspartner Till Krüger ihr zu sagen hatte. »Was? Wieso?« Sie nickte verwirrt, während sie ihrem Freund kurz zuhörte. Dann beendete sie das Gespräch und sah Lena Leisig an. »Das war mein Freund. Till Krüger. Er ist Hauptkommissar beim LKA Wiesbaden.«

      »Ja, ich weiß. Sabine hat mir schon einige alte Anekdoten erzählt. Till Krüger war ja schließlich mein Vor-Vorgänger und hat mit Sabines Mann bei der Frankfurter Mordkommission Geschichte geschrieben.«

      »Das kann man wohl so sagen. Sie können Till jetzt persönlich kennen lernen. Er sitzt in der Suite nebenan und erwartet uns.«

      Lena schaute Anna ungläubig an. »Wieso das?«

      »Das hat er mir nicht verraten. Kommen Sie, ich bin auch gespannt, was er hier zu suchen hat.«

      »Hallo, Anna«, begrüßte Till seine Freundin. »Hallo, Frau Leisig.«

      »Hallo, Herr Krüger. Das schaut ja fast so aus, als wäre das hier doch nicht mein Fall.« Till saß vor einem Monitor, auf dem er das Geschehen im Zimmer nebenan beobachtete. Um seinen Hals hing ein Kopfhörer.

      »Hast du bei dem Mord etwa zugeschaut?«, fragte Anna fassungslos.

      »Natürlich nicht«, beschwichtigte Till kopfschüttelnd. »Sie lag schon tot vor dem Bett, als ich hier Stellung bezogen habe. Ich war es, der die Polizei verständigt hat. Aber offiziell bin ich gar nicht hier. Deswegen ist und bleibt es auch Ihr Fall, Frau Leisig. Ich möchte allerdings zeitnah über Ihre Ermittlungsergebnisse unterrichtet werden.«

      »Im Gegenzug wollen Sie mir aber nicht verraten, was Sie hier tun, oder?« Lena Leisig wirkte nicht gerade erfreut darüber, bei ihrem ersten Mordfall gleich mit dem LKA konfrontiert zu sein.

      »Die Suite nebenan wurde von Gerold Haferstein gebucht«, zeigte Till sich kooperativ. »Wir beobachten ihn rund um die Uhr. Haferstein ist ein Geschäftsmann mit Hauptbetätigungsfeld internationalem Waffenhandel. Nach unseren Informationen wollte er sich heute Abend in seiner Suite mit Hassani Aziz treffen. Aziz ist Marokkaner und eine zwielichtige Figur. Ihm werden Kontakte zu verschiedenen Terrororganisationen zugeschrieben. Wir haben den begründeten Verdacht, dass er als Kontaktmann mit Gerold Haferstein einen nicht unbedeutenden Waffendeal einfädeln sollte. Deswegen bin ich hier. Wir wollen die Hintermänner von Aziz identifizieren. Die Tote da drüben bringt jetzt natürlich alles durcheinander, und ich habe leider keine Ahnung, warum sie ermordet in Hafersteins Suite liegt. Haferstein kann damit nichts zu tun haben. Den hatten wir den ganzen Tag über auf dem Radar.«

      »Na super«, stöhnte Lena Leisig.

      »Finden Sie heraus, wer die Dame war«, sagte Till. »Dann rufen Sie mich an. Vielleicht ist der Fall für Sie dann schon beendet.« Till reichte Lena Leisig seine Karte.

      »Sie wollen mich doch verarschen«, seufzte Lena Leisig resigniert. »Wenn Gerold Haferstein die Suite gemietet hat, hat er die Frau da drüben auch in ihren jetzigen Zustand befördert. Aber Sie geben ihm ein Alibi, um weiter seine Geschäftstätigkeiten beobachten zu können. Und mich lassen Sie wie ein dummes Kind einen Mordfall bearbeiten, der sowieso nie aufgeklärt wird. Das ist zwar mein erster Tag bei der Mordkommission, aber deswegen lasse ich mich nicht gleich wie einen Azubi behandeln, der mit sinnlosen Ermittlungen abgespeist wird.«

      »Da liegen Sie falsch«, beschwichtigte Till sie. »Haferstein kann es nicht gewesen sein. Der saß in einem Meeting bei der Deutschen Bank, als die Frau starb. Wir haben ihn in seiner Suite von hier aus seit seiner Ankunft auf dem Schirm. Wir haben die Suite aber natürlich nicht beobachtet, als er außer Haus war. Wir erwarten ihn aber in Kürze zurück. Deshalb habe ich hier vor ungefähr zwei Stunden Stellung bezogen. Das war eine Stunde früher, als wir ursprünglich geplant hatten. Als ich die Frau auf dem Monitor entdeckt habe, bin ich sofort rüber. Wir haben eine Schlüsselkarte. Sie muss kurz vor meinem Erscheinen gestorben sein. Sie war noch nicht richtig kalt. Da saß Haferstein definitiv noch in seinem Meeting.«

      »Vertrauen Sie ihm«, sagte Anna. »Ich kenne ihn schon eine Weile und will ihn bald heiraten.«

      »Okay. Sie erwarten Herrn Haferstein also jeden Moment zurück? Ich kann ihn dann ja wohl befragen, oder?«

      »Selbstverständlich. Er wird bald kommen. Ich halte hier noch die Stellung und schaue, wie er auf die Situation reagiert. Ob er sein Treffen mit Hassani Aziz heute noch wie geplant abhält, wage ich allerdings zu bezweifeln. Wir haben die Observation nur bis heute Nacht vorgesehen gehabt. Der größte Teil des Teams zieht sich gerade zurück. Mir bleiben nur noch zwei Leute.«

      Lena Leisig hatte sich von Anna Lehmkuhl und den Kollegen von der Spurensicherung verabschiedet, nachdem diese ihre Arbeit in der Hotelsuite erledigt hatten. Nun saß sie im Büro des Hoteldirektors. Udo Liermann war Ende dreißig, hatte schwarzes, akkurat geschnittenes Haar und zupfte nervös an seinem Krawattenknoten. »Wer hat eigentlich die Polizei verständigt?«, fragte er. »Ich wurde von dieser Sache völlig überrumpelt und weiß noch gar nicht, wie ich damit umgehen soll.«

      »Am


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