PROJEKT GALILEI. Stefan Bouxsein

PROJEKT GALILEI - Stefan Bouxsein


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im Moment nicht sagen.«

      »Einen anonymen Hinweis?« Der Direktor weitete seinen Krawattenknoten noch ein wenig. »Der kann doch nur vom Täter gekommen sein, oder? Aber außer Herrn Haferstein und dem Zimmerpersonal hat gar niemand Zutritt zu der Suite.«

      »Und damit kommen wir auch schon zu meinen Fragen«, unterbrach Lena die Gedanken des Direktors. »Kannten Sie die Tote?«

      »Nein, ich denke nicht. Ich konnte aber nur einen ganz kurzen Blick auf sie werfen. Ihre Kollegen haben mich ja gar nicht ins Zimmer gelassen. Wegen der Spurensicherung.«

      »Die ist jetzt abgeschlossen. Kommen Sie, gehen wir zur Suite und schauen uns das Opfer nochmal an, bevor es zur Gerichtsmedizin gebracht wird.«

      Udo Liermann stand mit gefalteten Händen und gesenktem Blick vor dem Bett und schaute widerwillig auf den am Boden liegenden Leichnam. »Schrecklich«, flüsterte er. »Sie ist noch so jung. Wer tut denn so etwas, sie wurde ja schrecklich zugerichtet. Sie muss doch um Hilfe gerufen haben, warum hat sie denn niemand gehört?«

      »Schauen Sie sich ihre aufgeplatzten Lippen an«, forderte Lena ihn wenig mitfühlend auf. »Wahrscheinlich wurde ihr der Mund zugehalten, vielleicht war sie auch geknebelt. Haben Sie die Frau nun schon einmal gesehen, als sie noch unter den Lebenden weilte?«

      »Nein, ich glaube nicht. Aber hier im Hotel kommen und gehen die Gäste natürlich tagtäglich. Manche bringen Besuch mit aufs Zimmer. Hatte sie denn eine Schlüsselkarte für die Suite bei sich?«

      »Wir haben keine gefunden.«

      »Das ist aber sehr merkwürdig«, wunderte sich der Direktor.

      »Kann es sein, dass Sie die Frau doch schon mal gesehen haben? In der Hotelbar? Oder im Spa-Bereich. Hat sie sich hier vielleicht als Prostituierte verdingt?«

      »Wir sind ein erstklassiges Hotel«, protestierte der Direktor umgehend.

      »Das würde ja passen. Die Dame war auch erstklassig, das lässt jedenfalls ihre Garderobe vermuten.« Lena Leisig schielte an die Stelle der Gardinenschiene, an der sie die Kamera vermutete, die die Bilder ins Zimmer nebenan übertrug. Aber sie konnte keine ausmachen. Das hatten die Kollegen vom LKA sehr professionell eingerichtet, kam es ihr mit einer Spur von Bewunderung in den Sinn.

      »Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass sich unsere Gäste gewisse Damen mit auf die Suite nehmen«, stammelte der Direktor. »Aber wir gehen damit sehr diskret um.«

      »Wollen Sie mir etwas Bestimmtes damit sagen?« Lena Leisig schaute den Direktor herausfordernd an. Sie hatte ihre Laufbahn bei der Milieukriminalität begonnen und kannte sich in dem Gewerbe bestens aus.

      »Wir zählen zu unseren Gästen natürlich auch viele Geschäftsleute, die sich für ein paar Tage in der Stadt aufhalten. Die reisen oft allein und wollen abends nach ihren Geschäftstreffen noch das eine oder andere kulturelle Event erleben. Einen Besuch in der Oper oder im Theater zum Beispiel. In Begleitung einer netten, jungen, kultivierten Dame ist das natürlich noch um einiges angenehmer.«

      »Sie meinen Damen von einem Escort-Service?«

      »Wir nennen es Begleit-Service«, versuchte der Direktor die Integrität eines solchen Dienstes herauszustellen.

      »Die Tote hat sich hier im Hotel also als Begleitdame für wohlhabende und einsame Geschäftsleute angedient?«

      »Das klingt so banal aus Ihrem Mund«, echauffierte sich der Direktor.

      »Schauen Sie sich die Tote noch einmal genau an, Herr Liermann. Und dann gehen wir wieder zurück in Ihr Büro. Ich glaube, Sie haben mir noch einiges zu sagen.« Lena Leisig war sich jetzt sicher, dass der Direktor die Frau heute nicht zum ersten Mal gesehen hatte. Sie wollte vor den Augen und Ohren des LKA jetzt aber nicht zu viele Details aus dem Direktor herausholen. Das waren ihre Ermittlungen und dieser Till Krüger konnte sich ja jederzeit an sie wenden, wenn er Informationen haben wollte. Dazu musste er sie aber als gleichberechtigte Partnerin behandeln, sonst würde sie ihn auf Granit beißen lassen.

      Als sie die Suite wieder verlassen wollten, trafen sie auf dem Hotelflur auf die Männer von der Pietät, die den Leichnam in die Gerichtsmedizin überführen sollten. Sie wurden von zwei jungen Hotelangestellten begleitet.

      »Nehmen Sie den Lift Nummer drei und verlassen Sie das Hotel durch den Lieferanteneingang, Herr Schröder«, ordnete der Direktor an.

      »Selbstverständlich, Herr Liermann. Wir haben schon alles Nötige veranlasst, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen«, beeilte sich Schröder seinem Vorgesetzten zu versichern.

      Zurück im Büro des Direktors verlangte Lena Leisig eine detaillierte Auskunft über die Aktivitäten der Damen vom Begleit-Service im Hotel.

      »Wir arbeiten da mit einem bestimmten Unternehmen zusammen«, windete Udo Liermann sich zähneknirschend und Lena Leisig zückte Bleistift und Notizblock.

      »Wie heißt dieses Unternehmen?«

      »Das wird wirklich alles sehr diskret gehandhabt«, druckste der Direktor noch herum und tupfte sich Schweißperlen von der Stirn.

      »Die Frau wurde ja auch sehr diskret umgebracht«, versuchte Lena Leisig ihrem Gegenüber mit Galgenhumor auf die Sprünge zu helfen.

      »Die Damen halten sich nicht im Hotel auf, wenn sie nicht gebucht sind«, erklärte Liermann.

      »Und wo kann man die Damen buchen, wenn man bei Ihnen als Gast abgestiegen ist? Erledigen Sie das?«

      »Natürlich nicht. Nur bei uns gut bekannten Gästen geben wir auf Anfrage eine entsprechende Telefonnummer weiter. Wie gesagt, wir behandeln das äußerst diskret.«

      »Ich ermittele auch sehr diskret«, zwinkerte Lena Leisig ihrem Gesprächspartner zu und wurde im gleichen Moment lautstark. »Aber wenn mich das nicht weiterbringt, pfeife ich auf Diskretion und ich fordere auf der Stelle zwanzig uniformierte Kollegen an, die im Hotel von Tür zu Tür gehen und Ihre Gäste auf absolut indiskrete Art und Weise befragen werden. Alles klar?«

      »First Class Escort van Bergen«, flüsterte der Direktor.

      »Wie bitte?«

      »First Class Escort van Bergen«, rief er nun lauter als nötig. Sein Widerstand war gebrochen.

      »Aha. Gibt es auch einen Ansprechpartner?«

      »Justine van Bergen. Sie leitet das Unternehmen. Zu ihren Kunden gehören ausschließlich einflussreiche Geschäftsleute, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

      »Sie meinen, dass die Zusammenarbeit mit diesem Begleit-Service ein sehr diskretes, aber wirkungsvolles Instrument zur Kundenbindung für Ihre wohlhabenden Hotelgäste ist.«

      »Denken Sie doch, was Sie wollen«, winkte der Direktor ab.

      »Wo erreiche ich diese Justine van Bergen?«

      Seufzend zog der Direktor eine seiner Schreibtischschubladen auf, holte eine Visitenkarte hervor und reichte sie der Hauptkommissarin. Lena Leisig warf einen kurzen Blick auf die Karte. Es stand nur eine Handynummer darauf. Und die Initialen JvB waren unscheinbar und in kleiner, schnörkeliger Schrift auf der unteren linken Ecke aufgedruckt.

      »Wir zwei werden doch noch ein richtig gutes Team«, zeigte Lena sich erfreut. Der Direktor verzog die Mundwinkel. »Hat Herr Haferstein denn diese Telefonnummer von Ihnen ausgehändigt bekommen?«

      »Nein. Definitiv nicht. Das letzte Mal haben wir vor ungefähr drei Wochen einem Gast auf Anfrage in dieser Angelegenheit weiterhelfen können.«

      »Ach, führen Sie darüber etwa Buch?«

      »Wir behalten das im Auge, damit es nicht ausartet. Mit dem Service von JvB hatten wir bisher keine Probleme. Sie bedienen nur einen auserlesenen Kundenkreis, und die Damen erscheinen tatsächlich nur selten in unserem Hause.«

      »Jetzt ist es aber leider doch irgendwie ausgeartet«, spöttelte Lena. »Wie wird Herr Haferstein eigentlich empfangen, wenn er wieder ins Hotel zurückkommt?«


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