PROJEKT GALILEI. Stefan Bouxsein

PROJEKT GALILEI - Stefan Bouxsein


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anscheinend keine Ahnung, dass der Tod der Frau mit einem seiner Kollegen in Verbindung stehen könnte. Wenn diese Samira mehr darüber wusste als Till, dann lief bei dessen Truppe einiges aus dem Ruder. Till würde Rückendeckung brauchen und Siebels wollte sie ihm geben. Mit anderen Argumenten konnte er Sabine seine Entscheidung jedenfalls nicht erklären. Und sich selbst auch nicht. Siebels konnte sich noch keinen Reim auf die ganze Geschichte machen. Samira wollte ihm keine Auskünfte über Naylas Kunden geben. Außer, dass es sich um sehr einflussreiche Männer verschiedener Nationalitäten handelte. Ihr ging es aber nur um diesen Richard. Ob sie ihn für den Mörder ihrer Freundin hielt, konnte Siebels nicht sagen. Aber ein LKA-Kommissar würde kaum einen Mord begehen. Es sei denn, er stand unter enormem Druck und fürchtete um sein eigenes Leben. Siebels setzte sich an den Computer und suchte im Netz nach Treffern über einen Richard vom LKA in Wiesbaden. Aber seine Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt. Ein Gespräch mit Till erschien ihm da wesentlich erfolgversprechender. Siebels grübelte darüber nach, warum diese junge Frau wirklich bei ihm aufgekreuzt war. Er wandte sich wieder seinem Rechner zu und suchte im Netz nach Informationen zu seiner Auftraggeberin. Samira Mousa. Auch hier stieß er auf keine Treffer, die er ihr zuordnen konnte. Er versuchte es mit dem Namen des Opfers. Nayla Aldahabi. Er scrollte sich durch die Trefferlisten und verwarf fast alle Ergebnisse. Er wollte das Ganze schon wieder aufgeben, als er doch noch auf der Online-Seite einer englischen Frauenzeitschrift landete. Gebannt schaute er auf das Foto. Das musste sie sein. Nayla Aldahabi in einem atemberaubenden, rückenfreien, enganliegendem Kleid auf einer Wohltätigkeitsgala in London. Ihr Name wurde nur einmal am Rande erwähnt. Sie war die Begleitung eines saudischen Prinzen. Prinz Abdul bin Abdaluya hatte einen sechsstelligen Betrag gespendet, der der Sportförderung von jungen Talenten in verarmten Arbeitervierteln dienen sollte. Die Veranstaltung hatte vor drei Monaten stattgefunden.

      Siebels durchsuchte das Netz nun nach dem wohltätigen Prinzen. Auch bei ihm war die Trefferquote äußerst mager. Er erfuhr, dass es in der Dynastie der Saud 5000 bis 7000 Prinzen gab, die alle keine Geldprobleme hatten. Nur die wenigsten davon befanden sich in wichtigen Positionen. Naylas Prinz schien eher einer der Unbedeutenden zu sein. Konnte er ihr Mörder sein? Siebels machte sich eine Notiz. Befand sich der Prinz gerade in Deutschland? In Frankfurt? Wenn ja, war er im Hotel Jumeirah abgestiegen? Wollte dieser Richard von Nayla Informationen über Prinz Abdul bin Abdaluya abgreifen? War der Prinz doch bedeutender, als es den Anschein hatte? Siebels fand im Netz nur Randbemerkungen über das Mitglied der saudischen Dynastie. Mal tauchte er auf einer Konferenz auf, in der es um den Klimawandel ging, mal gab er ein Statement zur politischen Entwicklung im Nahen Osten ab, ohne dabei wirklich etwas Konkretes von sich zu geben. Eine offizielle Funktion schien er dabei nicht zu haben. Wie war er an Nayla geraten? Auch diese Frage notierte Siebels auf seinem Zettel. Dann fuhr er den Computer herunter und bereitete sich mental auf die schwierigste Aufgabe vor, die er zunächst zu bewältigen hatte.

      Er musste jetzt mit Sabine reden und ihr gestehen, dass er doch wieder einen Auftrag angenommen hatte. Vielleicht war Sabine ja empfänglicher für diese Botschaft, wenn sie erfuhr, dass ein saudischer Prinz in den Fall verwickelt sein könnte. Auf so was standen Frauen ja. Sabine hatte Sohn Denis schon ins Bett gebracht und war davon überzeugt, dass ihr Ehemann in seinem Arbeitszimmer gerade an seiner Steuererklärung arbeitete.

      *

      Lena Leisig saß am späten Abend noch an ihrem Schreibtisch im Präsidium. Ihr erster Tag bei der Mordkommission wollte kein Ende nehmen. Noch ein paar Wochen, dann würde Steffen Siebels in den aktiven Dienst zurückkehren und mit ihr ein Team bilden. Bis dahin musste sie sehen, wie sie klar kam. Die Kollegen, die zuvor die Mordfälle bearbeitet hatten, waren genauso von der Bildfläche verschwunden wie Siebels und Till davor. Hauptkommissar Paul Lemgo hatte nur in einem Fall ermittelt. Danach hatte er sich mit einer Frau, die seine Tochter hätte sein können, in die Toskana zurückgezogen. Sein Team hatte sich kurz darauf aufgelöst. Julia Forster war schwanger geworden und hatte sich nach der Geburt dazu entschieden, eine längere Auszeit zu nehmen. Samuel König hatte es nicht überwunden, dass er weder der Vater des Kindes seiner Kollegin noch ihr Lebenspartner wurde und hatte sich nach Bremen versetzen lassen. Hauptsache weg von Frankfurt und seinem Arbeitsplatz, der voller Erinnerungen an eine enttäuschte Liebe war. Lena Leisig und Steffen Siebels waren dazu auserkoren worden, die entstandene Lücke zu füllen. Lena, die frischen Wind mitbringen sollte, und Siebels, der alte Hase, der auf ruhmreiche Tage bei der Mordkommission zurückblicken konnte. Aber Siebels würde erst nach den Sommerferien kommen, und deshalb saß Lena nun allein im Büro und betrachtete sich die Videoaufzeichnungen vom Hotel Jumeirah.

      Leider gab es keine Videokameras in den Zimmerfluren. Aber das wird der Täter gewusst haben, dachte sich Lena und machte eine entsprechende Notiz. Der Täter hatte die Frau geschlagen, gewürgt und vergewaltigt. Das kann nicht geräuschlos vonstattengegangen sein. In der Suite daneben saßen die Leute vom LKA, die während der Tat nicht anwesend waren. Auf der anderen Seite lag eine Abstellkammer für das Personal. Konnte es wirklich sein, dass niemand etwas gehört hatte? In der Suite lagen dicke Teppiche, die Geräusche dämpften. Stand der Täter auf brutalen Sex, den er dann nicht mehr unter Kontrolle hatte? In einer fremden Suite? Für Lena ergab das alles noch keinen Sinn. Es sei denn, Haferstein wurde tatsächlich vom LKA gedeckt. Sie benötigte jetzt dringend den Obduktionsbericht und die Auswertung der Spurensicherung. Aber auf die ersten Ergebnisse würde sie wohl noch mindestens ein bis zwei Tage warten müssen. Vom Täter musste es DNA-Spuren im Überfluss geben. Aber das half nichts, wenn er bisher noch nicht in der Datenbank gespeichert war. Aber wenigstens konnte sie dann Haferstein tatsächlich ausschließen und musste nicht mehr an der Rechtschaffenheit des LKA in dieser Sache zweifeln. Lena konzentrierte sich wieder auf die Aufzeichnungen der Hotelkameras. Wenn es sich um einen geplanten Mord handelte, hatte der Täter sich vielleicht im Vorfeld auch über die Ausstattung der Videoüberwachung im Hotel informiert. Aber dort saß auch das LKA und beobachtete das Zimmer, in dem der Mord geschah. Als der Mord passierte, war die Suite, in der eigentlich niemand sein sollte, nicht überwacht worden. Hatte der Täter das vielleicht auch gewusst? Oder hatte er einfach nur Glück gehabt? Wer konnte von einer geheimen Überwachung durch das LKA gewusst haben? Handelte es sich nur um einen Täter oder gar um mehrere? Gerold Haferstein hatte in einer ersten unbedachten Reaktion gesagt, dass ihm jemand etwas anhängen wolle. Hatte er dabei an jemanden Bestimmtes gedacht? Jemand, der eine Frau schlug und vergewaltigte, bevor er sie erwürgte? Wollte jemand Informationen aus der Frau herausprügeln? Informationen über Gerold Haferstein, der Kunde bei dem Escort-Service war. Aber angeblich verkehrte Haferstein nie mit der ermordeten Frau, sondern mit einer gewissen Sarah. Handelte es sich bei dem Mord vielleicht sogar um eine Verwechslung? Lena kam einfach nicht weiter. Morgen musste sie mit den anderen Frauen sprechen, die für Justine van Bergen tätig waren. Mit Sarah. Und mit Samira, der anderen Frau mit jordanischen Wurzeln. Aufgewachsen in einem palästinensischen Flüchtlingslager, erinnerte sich Lena an die Worte von Justine van Bergen. Die beiden Frauen studierten Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt. Sie waren mehrsprachig, sie waren weltoffen und versüßten reichen Männern die Zeit mit ihrer Gegenwart. Männern wie Gerold Haferstein, der als Berater im Waffenhandel tätig war und vom LKA rund um die Uhr überwacht wurde. Lena betrachtete sich müde die Aufnahmen aus der Hotellobby. Gäste kamen und Gäste gingen. Die meisten davon waren Männer und wie Geschäftsleute gekleidet. Allein, zu zweit oder zu dritt. Hin und wieder erschienen Ehepaare. Gerold Haferstein hatte das Hotel morgens alleine verlassen und war nachmittags alleine wieder zurückgekehrt. Die Videoaufzeichnung unterstützte seine Aussage. Bisher hatte die Spurensuche keine Hinweise darauf gegeben, dass Haferstein körperlichen Kontakt mit der ermordeten Frau hatte. Die Kriminaltechniker hatten im Bad DNA-Proben von seiner Zahnbürste als Vergleichsmaterial genommen. So lange die Auswertung der Spurensicherung noch ausstand, musste sie sich auf andere Dinge konzentrieren. Neben den Aufzeichnungen der Videokameras aus der Hotellobby gab es noch in jedem Stockwerk Aufnahmen aus dem unmittelbaren Zugangsbereich zu den Aufzügen. Lena ließ das Video aus der neunten Etage abspielen, dort lag Hafersteins Suite. Till Krüger hatte den Mord um 14:23 Uhr bei der Polizei gemeldet. Da wäre die Leiche noch warm gewesen, hatte er gesagt. Lena konzentrierte sich auf die Zeit zwischen 12:00 und 14:30 Uhr. Um diese Zeit war nicht viel los im Hotel. Lena betrachtete sich im Vorlauf die Bilder der Kamera. Als die Uhrzeit in der Aufnahme bei 12:25 ankam, stoppte Lena das Band, ließ es zurücklaufen und schaute sich die Szene noch einmal an. Nayla verließ den Aufzug.


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