PROJEKT GALILEI. Stefan Bouxsein

PROJEKT GALILEI - Stefan Bouxsein


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Leisig von der Kriminalpolizei, nehme ich an? Sie sind sehr pünktlich.«

      Lena zeigte der Form halber noch ihren Dienstausweis vor. Samira warf nur einen flüchtigen Blick darauf und bat sie herein.

      »Eine wunderschöne Wohnung haben Sie«, sagte Lena anerkennend und sah sich um. Dunkler Parkettboden, eine cremefarbene Couchgarnitur aus Leder. Blumenvasen mit einzelnen weißen Rosen standen auf dem Milchglastisch und auf den Fensterbänken. Ein hochwertiger Kunstdruck dominierte eine Wand im Zimmer. Das Motiv war ein Ausschnitt aus einer historischen Altstadt.

      »Rom?«, fragte Lena interessiert.

      »Amman. Die Hauptstadt Jordaniens.«

      »Natürlich, das hätte ich mir denken können«, schalt Lena sich.

      »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Einen Tee oder Kaffee? Oder lieber einen Saft? Orangensaft oder Traubensaft habe ich im Kühlschrank.«

      Lena entschied sich für einen Orangensaft und bekam ihn kurz darauf in einer gekühlten Karaffe serviert. Die Frau hatte Stil. Aber das war wohl Grundvoraussetzung in ihrem Job. »Sie studieren Wirtschaftswissenschaften?«, fragte Lena interessiert und war bemüht, ein angenehmes Gesprächsklima zu schaffen. Samira zeigte sich zwar von einer sehr höflichen und zuvorkommenden Seite, blieb aber auch distanziert.

      »Ja, ich bin dabei, meinen Master zu machen. Den Master of Finance, um genau zu sein.«

      »Mit so einer Ausbildung haben Sie sicher keine Probleme, später einen guten Job zu bekommen«, sinnierte Lena. »Wissen Sie schon, was Sie einmal machen wollen?«

      »Mir liegen bereits Angebote von namhaften Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Unternehmensberatungen und Investmentbanken vor. Ich habe mich aber noch nicht entschieden. Aber Sie sind nicht hier, um über meine Zukunft zu sprechen. Sie sind hier, um über die Vergangenheit von Nayla zu reden. Haben Sie schon einen Verdacht, wer für ihren Tod verantwortlich ist?«

      Lena betrachtete ihre Gesprächspartnerin nachdenklich. Wenn sie es nicht besser wüsste, wäre sie nie auf den Gedanken gekommen, dass Samira ihren Lebensunterhalt mit sexuellen Dienstleistungen verdienen würde. Sie saß ihr mit geradem Rücken und übereinandergeschlagenen Beinen gegenüber und verlor bei dem Gespräch kein einziges unüberlegtes Wort. »Sie waren mit Nayla gut befreundet, ist das richtig?«

      Samira nickte. »Sie war meine beste Freundin. Und meine einzige.«

      Lena musste schlucken. Auf den Gedanken, dass eine Frau wie Samira sehr einsam sein konnte, war sie noch gar nicht gekommen. Der Tod von Nayla musste ein schrecklicher Verlust für sie sein. »Das tut mir sehr leid«, sagte sie mitfühlend. Samira zeigte keine Reaktion. Lena konzentrierte sich wieder auf das Wesentliche. Sie hatte zuhause noch den Bericht von der Gerichtsmedizinerin gelesen, den sie per E-Mail bekommen hatte. »Ihre Freundin wurde über einen längeren Zeitraum vergewaltigt und dabei gewürgt. In einem Zimmer, in dem sie eigentlich nicht hätte sein dürfen. Ich muss natürlich davon ausgehen, dass ihr Tod etwas mit ihrer Beschäftigung als Escort-Dame zu tun hat. Haben Sie oder Nayla schon Erfahrungen mit gewalttätigen Kunden gemacht? Mit Männern, die auf außergewöhnliche Praktiken standen? Männer, die vielleicht die Kontrolle über sich verloren haben.« Lena sah Samira aufmerksam an. »Tut mir leid, aber ich muss Sie das jetzt so direkt fragen.« Samira machte einen angespannten Eindruck.

      »Ihre Vermutung ist naheliegend. Das kann ich nicht abstreiten. Ich kann das aber nicht bestätigen. Weder Nayla noch ich hatten bisher schlechte Erfahrungen gemacht. Ganz im Gegenteil. Wir sind auf einen exklusiven Kundenkreis spezialisiert. Die Männer, die uns buchen, behandeln uns wie Prinzessinnen. Und genau das wollen sie auch haben. Wir treffen uns nicht mit Männern, nur weil sie uns bezahlen können. Justine van Bergen vermittelt mich und meine Kolleginnen ausschließlich an integre Männer. Wir achten dabei auf einen qualitativ hochwertigen Service. Klasse statt Masse. Nayla hatte nur wenige Kunden, aber das waren Stammkunden. So ist es auch bei mir und den anderen Mädchen. Es ergibt einfach keinen Sinn. Nayla war ein wunderbarer Mensch.«

      »Können Sie mir sagen, mit welchem Kunden Nayla sich zuletzt getroffen hat?«, fragte Lena jetzt direkt, was sie brennend interessierte.

      »Tut mir leid, dazu kann ich Ihnen keine Auskunft geben.«

      »Können Sie nicht, wollen Sie nicht oder dürfen Sie nicht?«

      »Sie haben doch gestern mit Justine van Bergen über dieses Thema gesprochen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Wenn Sie eine Antwort auf diese Frage haben wollen, wenden Sie sich bitte an Justine.«

      »Haben Sie Angst?«, fragte Lena intuitiv.

      »Vor Justine?« Samira klang etwas belustigt. »Nein, wir haben ein Arrangement und das funktioniert vorzüglich. Das ist alles.«

      »Haben Sie Angst davor, dass Ihnen das Gleiche geschehen könnte wie Nayla?«, konkretisierte Lena ihre Frage.

      »Angst ist kein guter Ratgeber«, gab Samira eine ausweichende Antwort.

      »Hatte Nayla Angst?« Lena meinte ein leichtes Zucken um Samiras Mundwinkel erkannt zu haben.

      »Nayla war mutig. Sehr mutig. Vielleicht zu mutig.«

      »Wie meinen Sie das?« Lena gingen die Antworten von Samira langsam auf die Nerven. Sie wollte etwas Handfestes haben. Etwas, woran sie anknüpfen konnte.

      »Sie hatte keine Angst. Vor nichts. Nayla hat im Leben nichts geschenkt bekommen und hat es doch so weit gebracht. Weil sie immer nur nach vorne geschaut hat, sich Ziele gesetzt hat, die sie erreichen wollte. Wir waren wie Schwestern. Wir sind unseren Weg gemeinsam gegangen. Ohne Nayla wäre ich nie so weit gekommen. Ich hätte wissen müssen, dass sie in Gefahr ist. Hätte besser auf sie aufpassen müssen. Aber ich weiß nicht, warum sie in einer Hotelsuite gefunden wurde, in der sie nicht hätte sein sollen. Und ich weiß nicht, auf wen sie dort getroffen ist.«

      Lena spürte, dass Samira wichtige Informationen zur Aufklärung des Falles beitragen könnte. Dass sie das aber nicht direkt tun würde. Intuitiv entschloss Lena sich dazu, auf Samiras Andeutungen einzugehen. »Hatte Nayla noch Kontakte nach Jordanien?«

      »Ihre Eltern leben schon lange nicht mehr. Nayla ist bei ihrer Tante aufgewachsen, bei der Schwester ihrer Mutter. Sonst hatte sie niemanden mehr.«

      »Hatte sie Kontakte zum GID?« Nachdem Lena von Justine van Bergen über die Identität von Nayla aufgeklärt worden war und später den Befund der Gerichtsmedizinerin gelesen hatte, hatte sie sich Gedanken gemacht. Mit den Erläuterungen von Till Krüger über die Hintergründe der Observierung von Gerold Haferstein kam ihr die Idee, dass Naylas Mörder auf eine perfide Art und Weise vielleicht Informationen aus ihr herausholen wollte. Informationen, die die Geschäfte von Gerold Haferstein betrafen. Warum sonst wurde sie ausgerechnet während seiner Abwesenheit in seiner Suite dermaßen drangsaliert und umgebracht? Schließlich war Haferstein tatsächlich Kunde bei dem Escort-Service. Das konnte doch alles kein Zufall sein. Lena hatte sich daraufhin weitere Informationen verschafft. General Intelligence Directorate, kurz GID, war der englische Begriff für den jordanischen Nachrichtendienst. Der galt als einer der wichtigsten und professionellsten Nachrichtendienste in der arabischen Welt. Man pflegte dort angeblich ein gutes Verhältnis mit den amerikanischen Kollegen von der CIA. Das Gleiche galt für die Beziehungen zum israelischen Geheimdienst, dem Mossad. Aber was hieß das schon?

      Samira zeigte einen überraschten Gesichtsausdruck. »Zum Da’irat al-Muchabarat al-Amma?« Das war der arabische Name des Dienstes. »Nayla war stolze Jordanierin. Und sie verfolgte das politische Geschehen in unserer Heimat regelmäßig. Aber ich wüsste nicht, was sie mit dem GID zu tun gehabt haben sollte.«

      »Möglicherweise hatte Nayla einen Kunden, für den sich der GID interessiert hat? Oder ein anderer Geheimdienst? Der Mann, der die Suite gebucht hat, in der Nayla gestorben ist, bewegt sich jedenfalls in Kreisen, die so eine Vermutung rechtfertigen könnte. Vielleicht vertrauen Männer aus Ihrem Kundenkreis Frauen wie Ihnen oder Nayla auch mal das eine oder andere Geheimnis an? Dinge, die sie sonst niemanden anvertrauen würden.«

      Samira atmete tief durch. »Wenn dem so wäre, wären Sie


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