PROJEKT GALILEI. Stefan Bouxsein

PROJEKT GALILEI - Stefan Bouxsein


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gesagt, es war eine spontane und unüberlegte Reaktion. Ich war völlig überrascht und habe immer noch keine plausible Erklärung für die Geschichte. Denken Sie, dass es mit diesem Escort-Service zusammenhängt? Ehrlich gesagt, hatte ich vor, mich morgen wieder mit Sarah zu treffen. Aber wenn die tote Frau eine Kollegin von ihr war, weiß ich nicht, was ich von der Sache halten soll.«

      Lena fasste es nicht. Jetzt fragte dieser Kerl sie tatsächlich noch um Rat, wie er sich verhalten sollte. Aber sie behielt weiterhin einen kühlen Kopf und ging fast mitfühlend auf ihn ein. »Da kann ich Ihnen nur raten, vorsichtig zu sein. Ich werde natürlich noch mit dieser Sarah sprechen müssen. Nicht nur mit ihr, sondern mit allen Damen, die für First Class Escort tätig sind.«

      »Sie behandeln das aber bitte diskret. In meinem Business steht man nicht gerne im Rampenlicht.«

      »Das ist mir klar. Wir werden der Presse keine Namen nennen, wenn Sie das beruhigt.«

      »Das beruhigt mich in der Tat, Frau Leisig.«

      »Jedenfalls im jetzigen Stadium der Ermittlungen noch nicht«, schob Lena hinterher und erntete einen misstrauischen Blick von Haferstein.

      »Haben Sie sonst noch Fragen? Ich habe noch einige Termine wahrzunehmen.« Haferstein warf einen gehetzten Blick auf seine Armbanduhr, eine Rolex.

      »Das wäre es fürs Erste. Aber halten Sie sich bitte weiterhin zur Verfügung.«

      »Wie gesagt, ich habe auch noch Verpflichtungen im Ausland wahrzunehmen.«

      »Wo werden Sie bis dahin wohnen? Haben Sie sich gestern noch eine neue Unterkunft besorgt?«

      Haferstein klärte Lena über seinen Hotelwechsel auf und gab ihr auch seine Zimmernummer im Hilton.

      »Sie verlassen das Land nicht ohne meine Genehmigung«, erklärte Lena lapidar, als Haferstein sich zum Gehen anschickte.

      »Werde ich anderenfalls am Flughafen verhaftet?«

      »Davon können Sie ausgehen.«

      »Legen Sie sich nicht mit mir an, junge Frau«, zischte Haferstein und verließ sichtlich aufgeregt das Büro.

      Lena war aufgefallen, wie schnell Hafersteins Launen sich veränderten. Während des kurzen Gesprächs zeigte er sich abwechselnd kooperativ, abweisend, aufbrausend und auch zutraulich. So einem Menschen traute sie einen Mord, wie er an Nayla verübt worden war, ohne weiteres zu.

      *

      Samira stand am Fenster. Sie hatte der Kommissarin nachdenklich hinterhergeschaut, als sie mit dem Auto davongefahren war. Warum hatte sie der Frau so viel preisgegeben? Sie hatte sich vorgenommen, sich vor der Polizei absolut ahnungslos zu geben, und wollte sich einfach nur tief erschüttert über den Tod von Nayla zeigen. Aber sie hatte auch nicht mit einer jungen Kommissarin wie Lena Leisig gerechnet. Die Frau war ihr vom ersten Augenblick an sympathisch gewesen. Samira hatte eigentlich Besuch von zwei männlichen Beamten erwartet. So wie man es aus dem Fernsehen kannte. Von Männern, die auf eine überhebliche Art und Weise dumme Fragen stellen würden. Männer, für die sie nur eine Nutte war. Eine Luxusnutte vielleicht, aber eine Nutte. Noch dazu eine Muslima. Eine die statt Kopftuch Strapse trug. Weder in der einen noch in der anderen Kultur zuhause. Eine Aussätzige. Aber dann stand Lena Leisig vor der Tür. Eine junge Frau, nicht viel älter als sie selbst. Sie war neugierig und aufgeschlossen, zeigte keinerlei Vorurteile und war eine Kämpfernatur, die sich in der Welt der Männer durchgesetzt hatte. Samira sah eine Seelenverwandte in der jungen Kommissarin. Hatte sie ihr deshalb erzählt, dass sie Kontakt mit dem jordanischen Geheimdienst gehabt hatte? Davon hatte sie noch nie jemandem erzählt. Außer Nayla natürlich. Sie hatte der Kommissarin zwar nur ein kleines Häppchen hingeworfen, aber das war schon viel zu viel gewesen. Warum hatte sie das getan? Das erschien ihr nun unerklärlich. Samira dachte an die Zeit zurück, als sie vierzehn Jahre alt war und mit ihrer Familie in ärmlichen Verhältnissen in dem palästinensischen Flüchtlingslager lebte, das sich im Laufe der Zeit zu einer kleinen Stadt verwandelt hatte.

      Im Gegensatz zu den Flüchtlingslagern in anderen Ländern ging es uns in Jordanien gut. Aber mir war das nicht gut genug und ich wusste, dass es keine Chance gab, jemals ein besseres Leben zu führen. Aber dann bekam ich eines Tages doch eine Chance. Ich wurde von der Schule abgeholt. Zwei Männer in Uniform setzten mich hinten in einen Jeep und fuhren mit mir davon. Sie brachten mich in ein Gebäude aus nacktem Beton. Ich wurde in einen kahlen Raum geführt. Dort standen ein kleiner Tisch und zwei unbequeme Holzstühle. Von der Decke baumelte eine nackte Glühbirne. Ich wurde eine Weile allein in dem Raum gelassen. Hin und wieder hörte ich Schreie von Männern. Die kamen von irgendwo aus dem Gebäude. Schreie der Angst. Schreie der Wut. Und andere Schreie. Schreie von Soldaten. Sie schrien Befehle durch die nackten Betongänge. Ich schrie nicht. Ich hatte auch keine Angst. Ich war ein vierzehnjähriges Mädchen und ahnte, dass das Leben mir heute eine Möglichkeit bot, die ich nutzen musste, weil ich sonst nie wieder eine bekäme. Irgendwann öffnete sich die Tür, und ein Mann in Uniform setzte sich zu mir an den Tisch. Der Mann nannte seinen Namen nicht. Später erfuhr ich, dass er Ibrahim hieß. Er sah mich eine Weile an, dann fragte er, ob ich Kalil kennen würde. Kalil Abdelkader. Er sah mich streng an. Ich erwiderte seinen Blick. Das verunsicherte ihn. Er saß vor einem vierzehnjährigen Mädchen in einem Verhörraum, und das Mädchen sah ihm furchtlos direkt in die Augen. Natürlich kannte ich Kalil. Er wohnte in meiner unmittelbaren Umgebung. Kalil war Anfang zwanzig, ein Heißsporn, ein Angeber, ein Dummkopf. Und er hatte ein Auge auf meine größere Schwester geworfen. Auf Suleika.

       »Ich kenne ihn. Er ist ein schlechter Mensch.«

       »Da hast du recht«, antwortete der Soldat zufrieden.

       »Ich glaube, er hat etwas vor«, sagte ich mit kindlicher Unschuld.

       »Was glaubst du denn, was er vorhat?« Ich hatte nun seine volle Aufmerksamkeit und überlegte noch einmal, ob ich es wagen sollte. Vielleicht würde er mich nur auslachen und dann so lange verprügeln, bis ich ihm alles gesagt hatte, was ich über Kalil wusste. Aber das Risiko ging ich ein. Diese Chance würde nie wieder kommen. »Ich kann alles herausfinden, was Sie wissen wollen. Aber nur unter einer Bedingung.«

       Der Mann sah mich überrascht an. Ich befürchtete schon, dass er mir eine schallende Ohrfeige verpassen würde. Aber nachdem er kurz gestutzt hatte, formten sich seine schmalen Lippen zu einem Lächeln. »So, so. du hast eine Bedingung. Welche denn?«

       »Ich will eine andere Schule besuchen.«

       Der Mann traute seinen Ohren nicht. »Du willst eine andere Schule besuchen?«

       »Ich will die beste Schule besuchen, die es in Amman gibt und dort meinen Abschluss machen.«

       Der Mann blieb wort- und regungslos vor mir sitzen und musterte mich. Seine Kiefer mahlten aufeinander. Plötzlich stand er auf. »Du wartest hier«, sagte er nur. Dann verließ er den Raum und verschloss die Tür hinter sich. Ich blieb auf meinem Stuhl sitzen und rührte mich nicht. Ich blickte starr gegen die kahle Betonwand. Ich wusste nicht, wie lange ich dort saß und wartete, aber es mussten mehrere Stunden gewesen sein.

      

      Samira lächelte wehmütig, als sie in ihren Erinnerungen schwelgte. Nun musste sie wieder mutig sein. Nayla musste ihr etwas hinterlassen haben. Etwas, auf das es ihr Mörder abgesehen hatte. Sie kannte Nayla. Sie wird es an einem sicheren Ort verwahrt haben. Samira musste dieses Versteck jetzt finden.

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