Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman. Sissi Merz
glücklich und zufrieden. Seit seiner Rückkehr nach Wildenberg hatte er manche Wandertour unternommen, manchmal in Gesellschaft, meist aber allein. In der Natur vergaß er alles andere, da war er einfach daheim und spürte die Wurzeln, die ihn an sein Heimattal banden.
»Es war ein herrlicher Tag«, stellte Anna Stadler von Herzen fest. »So was sollten wir öfter machen.«
»Ja, wenn man mehr Zeit hätte... Aber ich will mich net beschweren. Im Vergleich zu meiner Arbeit in Afrika führe ich jetzt doch ein richtig priviligiertes Leben.«
Die junge Frau warf ihm einen abwägenden Blick zu. Sie folgten nebeneinander dem Steig, der hinunter ins Tal führte. Bisher hatte Max nur selten über Afrika gesprochen. Anna war zunächst natürlich neugierig gewesen. Aber seit sie wußte, daß sich für ihn mit Ruanda auch die Erinnerung an die Frau verband, die er liebte, hatte sie lieber nicht daran gerührt. Nun sprach er von selbst weiter.
»Weißt, Anna, in der Missionsstation war man praktisch immer im Dienst. Wir waren nur zwei Ärzte und vier Schwestern. Das ist nicht viel, aber wenn du bedenkst, um wie viele Menschen wir uns kümmern mußten, dann grenzt es schon an ein Wunder, daß wir meist alles geschafft haben.«
»Du hast es nie bereut, dorthin gegangen zu sein? Ich meine, es war doch bestimmt ein sehr anstrengendes Leben.«
»Schon. Aber so habe ich es nicht gesehen. Die Menschen dort unten sind liebenswert und direkt. Sie sind mit dem zufrieden, was sie erreichen können und fügen sich auch leichter in einen Kummer. Man kann viel von ihnen lernen, wenn es um Gelassenheit und innere Ruhe geht. Ich betrachte diese Jahre in Afrika als etwas sehr Kostbares, das ich nicht missen möchte. Und ich will ehrlich zu dir sein, Anna; wäre mein Vater net krank geworden, dann hätte ich nicht daran gedacht, jemals nach Wildenberg zurückzukommen.«
Die hübsche Blondine nickte schweigend. Sie konnte sich vorstellen, daß es ihren Begleiter nicht nur aus humanitären Gründen in Ruanda gehalten hatte. Aber über dieses Thema mochte sie lieber nicht sprechen.
Sie hatten das Ende des Steigs noch nicht erreicht, als sich Max Brinkmeiers Handy meldete. Er hatte es immer dabei, um stets erreichbar zu sein. Beim Kraxeln schien er allerdings keinen Empfang gehabt zu haben. Denn nun hörte er Christel Brenner aufgeregt sagen: »Endlich erreiche ich dich, Doktor! Auf eurem Hof ist was passiert. Der Lukas hat schon vor über zwei Stunden angerufen und wollte, daß du kommst. Ich hab ihn vertröstet, und er war arg sauer!«
»Was hat es denn gegeben? Einen Unfall?«
»Einer von den Knechten ist von einer Kuh bös erwischt worden. Dein Bruder sagt, er liegt danieder und stöhnt nur noch.«
»Sackerl Zement. Warum hat der Lukas denn net die Rettung gerufen? Oder den Haselbeck, der hat heut Bereitschaft!«
»Er wollte, daß du kommst. Und er hat schrecklich geschimpft auf dich. Ich glaub, es ist besser, du schaust gleich bei ihm vorbei, Doktor, hörst?«
»Ist schon recht. Ich hol nur meinen Notfallkoffer.« Er beendete das Gespräch und ließ Anna mit knappen Worten wissen, was los war. Diese konnte nur den Kopf schütteln. »Der Lukas ist ein schrecklicher Sturkopf und Streitnagel. Er sollte doch wissen, daß auch ein Doktor mal frei hat. Wie kann man nur so egoistisch und rücksichtslos sein?«
»Er hat es gewiß net bös gemeint«, murmelte Max wenig überzeugend. »Er wollte halt, daß ich mich um den Fall kümmere.«
»Ach, Unsinn. Er nutzt bloß jede Gelegenheit, um einen Unfried zu stiften. Du solltest ihm mal offen die Meinung sagen, Max.«
»Das würde nicht viel bringen. Weißt, Anna, wir kommen einfach nicht miteinander aus. Der Lukas ist ein schwieriger Mensch. Da braucht es halt Geduld.«
»Ich weiß net... Mit dir kriegt man doch keinen Streit. Es muß an deinem Bruder liegen«, meinte sie, doch er gab ihr keine Antwort, denn im Grunde mochte er trotz allem nichts auf Lukas kommen lassen. Als Max nach Wildenberg zurückgekehrt war, hatte er sich fest vorgenommen, sich mit seinem Bruder auszusöhnen. Auch wenn ihm das bislang noch nicht gelungen war, hatte er diese Absicht doch längst nicht aufgegeben...
Auf dem Brinkmeier-Hof schien den Landarzt niemand zu erwarten. Er mußte mehrere Male am Klingelstrang ziehen, bis eine Magd erschien und ihn wissen ließ, daß der Bauer sich im Kuhstall aufhalte. Max überquerte den Wirtschaftshof und betrat den Stall. Lukas beachtete ihn kaum.
»Daß du auch noch kommst«, murmelte er, ohne aufzusehen.
»Wo ist der Patient?«
»In seiner Kammer im Gesindehaus. Kennst ja den Weg.«
Dr. Brinkmeier musterte seinen Bruder betreten. »Ich dachte, es ist so dringend. Willst mich vielleicht pflanzen, oder was soll das? Ich hab heut meinen freien Tag, und es ist reine...«
»Soll ich jetzt vielleicht vor dir auf die Knie fallen, weil du dich endlich doch her bequemt hast?« Der Bauer musterte sein Gegenüber mit verschlossener Miene. Seine samtbraunen Augen verrieten nicht, was er dachte. »Also gut, ich komme mit. Der Anderl klagt über Schmerzen und Schwindel.«
»Schwindel, so.« Max warf seinem Bruder einen knappen Blick zu, der zeigte, daß er ärgerlich und zugleich genervt war. Konnte Lukas sich eigentlich niemals normal ihm gegenüber verhalten?
»Ich finde, du machst es dir ein bisserl leicht. Jetzt, wo der Vater in Kur ist, mußt doch immer zu erreichen sein. Bist ja schließlich der einzige Doktor da. Und dann hast nix Besseres zu tun, als mit der Apothekerin kraxeln zu gehen. Ich muß schon sagen, das machte einen arg seltsamen Eindruck.«
»Ich wüßte net, was es dich angeht, wie ich meine Freizeit verbringe. Ganz davon abgesehen hat der Kollege Haselbeck in Schlehbusch Bereitschaft. Hättest den angerufen, wäre dein Knecht längst versorgt.«
»Ja, gewiß.« Lukas lächelte ironisch. »Und du hättest auch noch einen gemütlichen Abend mit der Anna Stadler verbringen können, net wahr?«
Vor dem Gesindehaus blieb der junge Landarzt stehen und musterte seinen Bruder mit ernster Miene. »Sag einmal, Lukas, was soll das eigentlich? Hast mich herbestellt, damit ich deinen Knecht behandle oder willst dich mit mir streiten?«
Der Bauer vergrub die Hände in den Hosentaschen, hob die breiten Schultern und brummte: »Von mir aus beides.«
Max seufzte leise, dann betrat er das Gesindehaus und kümmerte sich um seinen Patienten. Mit Lukas sprach er nur noch das Nötigste. Sein Bruder machte es ihm wirklich nicht leicht.
»Er hat eine Prellung und eine leichte Gehirnerschütterung. Drei Tage Bettruhe, ich schaue morgen wieder vorbei.«
Der Bauer nickte, sagte aber weiter nichts. Max wandte sich zum Gehen, da hörte er seinen Bruder noch fragen: »Magst vielleicht zum Nachtmahl bleiben? Oder hast was Besseres vor?«
»Wennst mich hier haben willst, kann ich bleiben. Aber ich glaub eher, es wäre dir lieber, ich gehe.«
»Hätt’ ich dich dann eingeladen?« Lukas stand etwas unschlüssig da, schließlich murmelte er: »Ich hab mich geärgert, weil du net zu erreichen warst. Den Haselbeck hab ich net holen wollen, von dem halte ich nix. Und daß du mit der Anna
Stadler so viel beisammen bist, verstehe ich net. Ich dachte, die Julia Bruckner...«
Max legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter und stellte fest: »Es überrascht mich, daß du dich für mein Leben interessierst, Lukas. Aber ich freu mich auch darüber. Und wennst einmal net den Bärbeiß heraushängen läßt, dann können wir uns heut abend vielleicht sogar vernünftig unterhalten.«
»An mir soll’s net liegen«, murrte Lukas wie üblich, doch seine Stimme klang bereits sehr viel freundlicher, auch wenn er das eigentlich gar nicht wollte...
*
Max blieb noch bis zum späten Abend bei seinem Bruder. Die beiden leerten manches Glas Wein zusammen und redeten so offen miteinander wie schon sehr lange nicht mehr. Als Lukas eine Weile schwieg, fragte sein Bruder ihn: »Was war eigentlich zwischen der Anna und dir? Kann sein, daß ich