Griechische Mythologie. Ludwig Preller
unsterblichen Wächter des Zeus (S. 68), der dabei aber auch selbst überall mit seinem Auge zugegen ist und Alles bemerkt, ob ein König oder eine Stadt auf Recht hält oder nicht276. Weil aber der Schwerpunkt des Rechtes, vorzüglich nach den ältesten Begriffen, Eid und Treue ist, so sind diese vor allem dem Zeus geheiligt (Ζ. ὅρκιος, ἐφόρκιος, πίστιος) und er rächt furchtbar jeden Meineid277, wie er denn auch bei Homer der oberste der Schwurgötter ist (Il. 23, 43) und es fortgesetzt im Rechtsverkehre der Griechen blieb. Und so sind auch sonst alle wichtigeren und fundamentalen Begriffe des Rechtslebens und Rechtsverkehres in ihm verkörpert, z. B. die Unantastbarkeit der Grenzen und des Eigenthums im Ζεὺς ὅριος, das Gastrecht und das der Schutzflehenden im Ζ. ξένιος und ἱκέσιος278. Ferner ist er ἐλευϑέριος d. h. der Urheber aller Freiheit, sowohl der nationalen, aus welchem Grunde man ihn nach den glorreichen Perserkriegen zu Plataeae verehrte, als der persönlichen, daher die Freigelassenen diesem Zeus in Athen eine Halle geweiht hatten279. Und auch sonst behütet und bewacht Zeus überall das Leben der Menschen und seines Volkes. Er giebt Gutes und Böses wie es ihm gefällt, auch Leiden und Heimsuchung280 ); aber eigentlich ist sein Wesen Güte und Liebe. Er ist das Α und Ω aller Dinge: ihr Anfang, mit dem Arat sein Gedicht über die Gestirne in jenen berühmten Eingangsversen beginnt, wo er vom Zeus sagt daß von ihm alle Gassen, alle Marktplätze voll sind, auch das Meer und die Häfen, und daß wir alle überall des Zeus bedürfen, die wir ja auch seines Geschlechtes sind: und ihr Ende, welcher alles aufs beste hinausführt (τέλειος), aller Dinge mächtig (παγκρατής) und der allgemeine Hort und Heiland ist, der Ζεὺς Σωτὴρ d. h. der Retter in aller Noth, welchem man beim Mahle den letzten Becher zu trinken und in Athen am letzten Tage des Jahres die Disoterien zu feiern pflegte281. Auch stammt vom Zeus alles Gute Edle Tüchtige, daher das allgemeine Prädikat δῖοι, διογενεῖς, διοτρεφεῖς für alles in seiner Art Tüchtige und Vollendete zum Theil im Sinne des Adels der Abstammung, aber eben so bald und noch mehr in dem Sinne jeder ethischen Tüchtigkeit und Vorzüglichkeit282. Ja der Name und der Begriff Ζεὺς war seit ältester Zeit der Ausdruck für alles Höchste und Letzte, in Reichthum Macht Adel und jeder natürlichen oder sittlichen Auszeichnung283.
Das sind die tiefbegründeten und allverbreiteten Vorstellungen vom Zeus, welche von den Dichtern der besten Zeit, von Lyrikern und Tragikern, weiter ausgeführt und eingeprägt wurden. Unter den Lyrikern hatten alle großen Dichter Hymnen auf diesen Gott gedichtet, Terpander Alkman Simonides Pindar284, wie Zeus denn der Anfang alles Gesanges war und blieb. Für uns mag Aeschylos auch in dieser Beziehung den griechischen Glauben in seiner größten Reife vertreten. Zeus wird von ihm in so vielen und so tief und ernst empfundenen Stellen als der mächtigste weiseste gütigste Gott gepriesen, daß wir uns nothwendig auch das Verhältniß zum Prometheus oder die Ausgleichung desselben in diesem Sinne denken müssen. Aber auch aus vielen anderen Dichtern, so fragmentarisch sie uns sonst überkommen sind, ließen sich viele gleich erhabene Aussprüche über die Macht und Herrlichkeit dieses höchsten Gottes zusammenstellen. Auch in der Philosophie ward sein Begriff und Name immer in diesem Sinne angewendet und gedeutet, nur daß die Abstractionen des Pantheismus die bildlichen Vorstellungen der Vorzeit immer mehr lockerten und zerstörten, wovon man die letzte Folge besonders in den Orphischen Gedichten beobachten kann, wo man sich der populären Mythologie dadurch zu accommodiren suchte daß man das höchste Wesen des Zeus aus allen möglichen Prädikaten höchst buntscheckig zusammensetzte285.
Was endlich die bildlichen Darstellungen des Zeus betrifft so ist daran zu erinnern daß die nach menschlicher Art gedachten erst mit der Zeit aufkamen, wie alle Idololatrie bei den Griechen. Der älteste Cultus war auch bei ihnen ein bildloser und Zeus nur der große, der gute Geist im Himmel gewesen, wie er auf den Gipfeln der Berge heimisch gedacht wurde oder als eine Stimme der Offenbarung in der Dodonaeischen Eiche oder im Blitze niederfahrend als Ζεὺς καταιβάτης286, oder als der in dem Fluge seines Boten, des Adlers, und in andern himmlischen Zeichen sich Offenbarende. Bedurfte es einer sinnlichen Vergegenwärtigung, so war dieses die der einfachen und fetischartigen Symbole wie sie im ältesten Gottesdienste der Griechen nicht selten waren, durch Steine wie die zu Delphi und in der Nähe von Gytheion287 oder durch Balken und Pfähle, wie in jenem zu Chaeronea mit großer Andacht verehrten Scepter der Pelopiden, welches sie schlechtweg δόρυ d. h. das Holz nannten. Dazu kamen später die ältesten Bilder von Holz oder in Hermenform, worunter als besonders merkwürdig erwähnt zu werden verdient das auf der Burg von Argos verwahrte, angeblich aus Troia stammende Bild des Zeus mit drei Augen, wodurch wie schon Pausanias erklärt seine Aufsicht über alle drei Weltgebiete, die gewöhnlich unter ihm und seinen beiden Brüdern vertheilten angedeutet werden sollte288 ; während in einem andern alten Bilde auf Kreta Zeus ohne Ohren abgebildet war, angeblich weil der höchste Herr des Himmels und Erde nicht des Gehörs bedürfe289. Bis mit der Zeit auch in diesem Kreise die wahre Kunst sich geltend machte, welche die ideale Menschenbildung auf das unsichtbare Reich der Götter übertrug und zu der Mythologie der Dichter und der Symbolik des Gottesdienstes als eine dritte Macht hinzutrat: wie in dem Kreise des Zeus vorzüglich Phidias der Meister gewesen ist welcher den thronenden Zeus in seiner ganzen Herrlichkeit zu vergegenwärtigen wußte und dadurch für alle Zeiten, so lange das Heidenthum galt, ein Musterbild göttlicher Würde und Hoheit aufgestellt hat. Denn natürlich wurden die thronenden Bilder des Zeus, wie man sich ihn als höchsten König über Menschen und Götter auf seinem Stuhle sitzend dachte, auch von den Künstlern am meisten gefordert, namentlich für solche Stätten wie zu Olympia oder in den Residenzen zu Pella, in Antiochia oder in Alexandrien290, endlich zu Rom auf dem Capitol, wo Jupiter seit der Wiederherstellung des Tempels durch Sulla gleichfalls nach griechischem Vorbilde thronend zu sehen war. Die Ilias hatte in jenen erhabenen Versen 1, 528 das würdigste Bild von diesem Zeus ausgesprochen, wo Thetis ihn auf dem obersten Gipfel des Olymp sitzend findet und ihre Bitte vorbringt. Er sitzt lange schweigend, endlich verspricht er ihrem Sohne die verhängnißvolle Ehre zu geben,
ἦ καὶ κυανέησιν ἐπ' ὀφύσι νεῦσε Κρονίων,
ἀμβρόσιαι δ' ἄρα χαῖται ἐπερρώσαντο ἄνακτος
κρατὸς ἀπ' ἀϑανάτοιο, μέγαν δ' ἐλέλιξεν Ὄλυμπον.
Und dieses Bild wurde von Phidias in seinen reiferen Lebensjahren, als es für einen neugebauten Tempel zu Olympia ein neues Bild zu schaffen galt, mit so maßgebender und siegreicher Meisterschaft ausgeführt, daß die Kunst wenigstens in der Klasse dieser thronenden Zeusbilder ein für allemal an dem von ihm geschaffenen Typus festgehalten hat. Die sichtbaren Theile des colossalen Werkes waren aus Gold und Elfenbein zusammengesetzt, das Ganze prächtig ausgestattet, die Figur selbst und ihre Attribute, der Thron, der Mantel glänzend von Gold und anderen schimmernden Metallen, Edelsteinen und leuchtenden Farben. Das sitzende Bild war etwa vierzig Fuß hoch und berührte mit dem Scheitel beinahe die Decke des Tempels, daher es von selbst die Vorstellung erweckte daß für solchen Gott jede Wohnung eine unzureichende sei. Der ganze Eindruck war ein so erhebender