Griechische Mythologie. Ludwig Preller
drückt der Beiname Ἀλαλκομένη Ἀλαλκομενηίς dieselbe Bedeutung aus und zwar in dem Sinne der schützenden, der abwehrenden Göttin, der Πρόμαχος, unter welchem Namen sie auf der Burg von Athen und sonst verehrt wurde. Der von allen Boeotern sehr heilig gehaltene Dienst zu Alalkomenae, dem angeblichen Geburtsorte der Athena, ist aus jenem schon der Ilias bekannten Beiworte zu erklären452, und auch die in Thessalien und Boeotien mit so großer Auszeichnung verehrte itonische Pallas war den thessalischen Münzen zufolge eine Promachos, obwohl im örtlichen Gottesdienste, namentlich dem zu Koronea in Boeotien die Spuren einer dem attischen Athenadienste verwandten Naturbeziehung nicht fehlten453. In Makedonien verehrte man sie in der alten königlichen Burg zu Pella als Ἀλκίς d. h. als starke Wehr und Waffe in einem kriegerischen Bilde, wie man es auf makedonischen Münzen sieht, in der Linken den Schild hebend, in der Rechten den Blitz schwingend454; in der Gegend des alten Troja als Athena Ilias, welcher im Hinblick auf den kriegerischen Ruhm der Vorzeit von Xerxes und Alexander d. Gr. und andern griechischen und römischen Feldherrn, Königen und Kaisern mit kostbaren Opfern, von der Bevölkerung der Umgegend mit Spielen und Processionen gehuldigt wurde455. In Troezen nannte man sie Polias und Σϑενιάς d. h. die kräftige, indem man auch hier von einem Kampfe mit Poseidon erzählte456; auf dem Areopag zu Athen und in Plataeae Ἀρεία457, wie sie denn als Göttin der Schlacht und des Krieges oft neben Ares genannt wird. Die Sage von den argivischen Helden Perseus und Bellerophon, von dem aetolischen Tydeus, von dem minyeischen Iason, die Heraklessage, ferner die troische von Achill, die von Diomedes und Odysseus sammt allen dazu gehörigen Bildwerken zeigen sie in so unendlich verschiedenen Gelegenheiten des Abenteuers und der Schlacht, wie sie mit ihren Helden den Kriegeswagen besteigt und mit ihrer Lanze Alles vor sich niederwirft, auch die weniger starken Götter, daß es unnöthig ist auf Einzelnes einzugehn. Nie verläßt sie der Muth und die Besonnenheit, selbst in der äußersten Gefahr ist sie hülfreich, und wenn die Gefahr überwunden und ein Augenblick der Ruhe eingetreten ist, dann erquickt sie ihre Helden mit milden Gaben und herrlichem Lohne, wie an solchen Zügen besonders die Heraklessage reich war. Sie ist die personificirte Ἀρετή, nicht blos im kriegerischen, sondern auch im ethischen Sinne des Wortes, nicht die sinnlos stürmende, sondern immer die besonnene Tapferkeit, die sich höherer Zwecke bewußt ist; daher die Sage sie gern mit der Aphrodite, der weiblichen und ganz weibischen Gottheit (ἄναλκις Il. 5, 331) contrastirte, aber auch mit Ares, dem berserkerartig wüthenden, von der Athena immer besiegten. Und sie ist zugleich die personificirte Νίκη, da sie ohne Sieg und Preis gar nicht zu denken war458 und in Athen als Ἀϑηνᾶ Νίκη in einem besondern Tempel verehrt wurde, gleich rechts von den Propylaeen und weithin sichtbar, wo dieses Gebäude noch jetzt zu den schönsten Zierden des durch so viele Erinnerungen und durch eine großartige Natur geweiheten Ortes gehört459. Auch pflegte Athena in größeren Tempelstatuen als νικηφόρος d. h. wie Zeus mit der Nike auf der ausgestreckten Hand abgebildet zu werden.
Eine nahe Beziehung hatte Athena ferner zu den Stiftungen der ritterlichen Uebung und der Seefahrt, weshalb sie oft neben dem Poseidon verehrt wurde, z. B. in Attika auf einem Hügel bei Kolonos als ἱππία und als eine Göttin der Stürme und Wogen auf dem Vorgebirge Sunion und andern Vorgebirgen460. In Athen hatte sie den Erichthonios zu der Anschirrung der Rosse vor dem Wagen angeleitet461, in Korinth den Bellerophon zur Zähmung des Pegasos, daher sie hier als χαλινῖτις verehrt wurde. Außerdem rühmten sich besonders die Kyrenaeer und Barkaeer die Zucht und die Bändigung der Rosse unmittelbar von Poseidon und Athena gelernt zu haben462. Daß sie aber auch als anleitende und schützende Gottheit der Seefahrt gedacht wurde lehren die Sagen von Danaos und der lindische Athenadienst auf Rhodos, so wie die von der Argonautenfahrt. Dort wurde sie als die Göttin verehrt welche den Danaos zur Erbauung des ersten Fünfzigruderers, auf welchem er mit seinen Töchtern aus Aegypten floh, angeleitet habe463, in dieser galt sie für die Erfinderin der allbesungenen Argo464, und auch auf Bildwerken ist der Schiffbau der Athena nichts Ungewöhnliches. Wer denkt dabei nicht an das hölzerne Pferd durch welches Troja erobert wurde, auch dieses eine Erfindung der Athena? Der ideelle Zusammenhang dieser Uebertragungen wird durch die korinthische Sage vom Pegasos angedeutet. Von dem geflügelten Wolkenpferde und den Stürmen der Himmelsgöttin eilte die Vorstellung weiter zu Wogen und zu Rossen und segelnden Schilfen, wie im Dienste des Poseidon und bei anderen Gelegenheiten die Anschauung der Wellen und Wogen zu derselben Vorstellung hinübergeleitet hat.
Nicht weniger anbetungswürdig war Athena wegen vieler und großer Werke und Stiftungen des Friedens, womit sie ihr Land und alle ihre Verehrer beglückte. Zunächst zeigt sich dieses durch die leibliche Pflege die sie den Einwohnern ihres Landes angedeihen läßt; wie namentlich Erichthonios, der Pflegling der A. Polias von Athen, ein Bild ist zugleich von dem Segen der Vegetation und dem der Landesjugend, welche die Griechen überhaupt in vielen zarten und sinnigen Bildern und Ausdrücken als eine und dieselbe göttliche Wirkung zusammenzufassen pflegten. Athena ist deshalb κουροτρόφος so gut wie irgend eine andere Gottheit des natürlichen Segens. Ein Besuch ihrer Priesterin mit der Aegis der A. Polias galt für eine Förderung der Ehe465; den neugebornen Kindern wurden aus Gold getriebene Schlangen angelegt und ihren Wiegen die Gestalt von Schlangen gegeben, in Erinnerung der wunderbaren Geschichte des Erichthonios (Eurip. Ion 25. 1427); Athena selbst pflegt der Kinder, wie sie auf mehreren schönen Vasengemälden den kleinen Erichthonios mit untergebreiteter Aegis und mütterlicher Sorgfalt von der Gaea entgegennimmt um seiner zu warten und zu pflegen466. Die elischen Frauen verehrten sie deshalb unter dem Beinamen der Mutter (Paus. 5, 3, 3) und in der delischen Sage erschien sie wie bemerkt als Hülfe bei der Entbindung der Leto. Als Göttin des reinen Himmels und der gesunden Luft ist sie aber auch eine Göttin der Gesundheit, daher sie in Athen auf der Burg und sonst hie und da im attischen Lande und in Griechenland als Athena Ὑγίεια oder in verwandter Bedeutung verehrt wurde467. In anderen Beziehungen der Art nannte man sie ἀλεξίκακος, böse Krankheiten abwehrend, oder man verehrte sie neben ihrem Vater Zeus als φρατρία oder ἀπατρουρία468, denn auch die Fürsorge für den Zuwachs der Geschlechter und die sich bei der Apaturienfeier stets von neuem verjüngenden Phratrien gehört in diese Gedankenreihe. Und wie alles Staatsleben der Griechen von der Familie auszugehen und sich daraus zu immer weiteren und höheren Ordnungen zusammenzusetzen und aufzubauen pflegt, so mag uns auch hier die Göttin von dem Segen des Hauses zu dem des Staates hinüberführen, dessen Obhut sie gleichfalls neben dem Zeus in allen wichtigen und wesentlichen Beziehungen führte. So war sie Πολιάς oder Πολιοῦχος d. h. die Schutzgöttin der Stadt und des Staates nicht allein in Athen, sondern auch in Troezen, in Sparta (als χαλκίοικος, weil sie in einem altertümlichen, mit ehernen Platten ausgeschlagenen Tempel auf der Burg verehrt wurde Paus. 3, 17, 3), in Chios, auf Kreta, zu Lindos auf Rhodos, zu Priene, zu Massalia und an andern Orten469. Eben dahin gehören die Epithete βουλαία, bei welcher und dem Zeus βουλαῖος die attischen Buleuten schwuren