Griechische Mythologie. Ludwig Preller
der attischen Landessage den unversöhnlichen Streit rächender Dämonen und schützender Gottheiten zum ewigen Segen ihrer Lieblingsstadt schlichtete470: endlich die Beinamen ἀρχηγέτις, βασίλεια, σώτειρα, unter welchen sie neben Zeus als oberste Schutzgöttin des Staates und Landes verehrt wurde, über Götter und Menschen hoch in den Wolken herrschend471. Und so ist sie auch die oberste Obhut und Vorsteherin größerer Stammesverbindungen z. B. als Ἰτωνία die Vorsteherin der zu Koronea gefeierten Pamboeotien, als Παναχαίς zu Patrae die achaeische Bundesgöttin: überall schützend, rathend und in Geist und That fördernd.
Endlich solche Stiftungen die sich auf bestimmte Arten der Landescultur und der Kunstübung beziehen. So die Pflege des Oelbaums, den Attika sich vor allen andern Ländern von ihr empfangen zu haben rühmte, dann Rhodos, wo auf der Burg von Lindos gleichfalls heilige Olivenstämme gezeigt wurden472. Die Kunstübungen der Athena bezeichnet im Allgemeinen ihr Beiname Ἐργάνη, obgleich man dabei speciell an die weibliche Kunstarbeit des Spinnens und Webens zu denken pflegte, welche in Griechenland viel und seit alter Zeit geübt wurde und worauf sich die alten Symbole des Spinnrockens und des Peplos bezogen. Athena wurde als die weibliche Künstlerin in diesem Sinne mit und ohne den Beinamen weit und breit verehrt, in Athen Sparta Olympia Thespiae, auf der Insel Samos und an andern Orten. Auch die Ilias und Odyssee sind voll von Beziehungen auf diese ἔργα Ἀϑηναίης, die in ihrer Art immer das Höchste von weiblicher Kunstfertigkeit ausdrücken473, und die Sage wußte von manchen Prachtgewändern zu erzählen, welche Athena entweder für sich selbst oder für andere Götter und Helden, namentlich für Herakles gewebt oder gestickt oder sonst künstlich verziert hatte. In dem kunstreichen Lydien hatte sich daraus das Märchen von der Arachne gebildet, welche mit der Athena in der Kunst des bilderreichen Gewebes zu wetteifern gewagt hatte und darüber in eine Spinne verwandelt wurde474. Aber auch sonst wurde alle künstliche Schmuckarbeit, besonders der weibliche Schmuck von dieser Minerva abgeleitet (Il. 14, 178, Hesiod th. 573 ff., W. T. 72), in weiterer Ausdehnung auch die Kunstarbeit des Zimmermanns, des Goldarbeiters, des Schmiedes und Wagners, des Töpfers und des Schiffszimmermanns; ja Ovid gefällt sich darin weitläuftig auszuführen wie auch der Walker, der Färber, der Schuhmacher, also alle Handwerker und alle Künste ohne Minerva nicht zu rathen wüßten475. In Griechenland wetteiferten auch in dieser Hinsicht Athen und Rhodos. Dort wurde Athena als Künstlerin und Erfinderin neben Hephaestos und Prometheus verehrt und besonders an den Chalkeen gefeiert, A. Ergane aber auf der Burg in einem eigenen Tempel angebetet, in welchem neben ihr ein δαίμων σπουδαίων d. h. der ernsten Beschäftigungen die allgemeine Beziehung auf alle Kunst und Wissenschaft ausdrückte476. Von Rhodos sagt es Pindar (Ol. 7, 50) mit lieblichen Worten, wie Athena diese Insel mit wunderbarer Kunstfertigkeit gesegnet habe477.
Andere Erfindungen sind musikalischer und orchestischer Art. So galt bekanntlich Athena für die Erfinderin der Flöte, nach der gewöhnlichen Sage hatte sie das Zischen und Wehklagen der Gorgonen daraufgebracht, als Perseus unter ihrer Anleitung die Medusa in Lybien enthauptete478; während andere Sagen nach Lydien als dem Vaterlande der Flötenmusik wiesen. Diese wurde aber auch in Griechenland früh und allgemein gepflegt, am meisten in Boeotien, wo man deshalb diese Athena und zwar unter dem Namen Βομβυλία eifrig verehrte479, aber auch sonst zu heiligen und zu kriegerischen Zwecken, zu diesen z. B. in Sparta. Mit der Zeit artete diese Kunstfertigkeit indessen aus und dieses und die Eifersucht auf Boeotien mag in Athen die Veranlassung zu der bekannten, oft in bildlichen Kunstwerken und auf der komischen Bühne behandelten Fabel gegeben haben daß Minerva zwar die Flöte erfunden, aber weil ihr Gesicht dadurch entstellt wurde sie weggeworfen und den Silen Marsyas, der sie wieder aufhob und ihrer Töne pflegte, dafür gezüchtigt habe480. Ferner galt sie für die Erfinderin der kriegerischen Trompete, deren Heimath Lydien und Tyrrhenien war481, endlich für die der Pyrrhiche, des kriegerischen Waffentanzes, den sie selbst zur Feier des Sieges über die Giganten zuerst getanzt hatte (S. 62, [Anmerkung 106]) und welcher deshalb ihr zu Ehren an den Panathenaeen mit bedeutender mimisch-orchestischer Ausstattung aufgeführt wurde. Ja sie galt als die schlechthin erfinderische auch für die Urheberin einer besonderen Art von künstlicher Divination, nehmlich der nicht selten erwähnten durch Würfel, wie es scheint besonders in dem Culte der Athena Skiras bei Athen, auf deren Bedeutung für diese Art von Divination die Wörter σκιρομάντεις und σκιράφιον, dieses für den Ort wo man zum Würfeln zusammenkam, und verschiedene Vasenbilder hinweisen482.
Endlich ist Athena als Göttin der himmlischen Klarheit und als jungfräulich reines Wesen zugleich die Macht der geistigen Klarheit und Besonnenheit, die sich in gleichgearteten Menschen und Erfindungen offenbart, und zwar nach einem alten und ursprünglichen Gedankenzusammenhange. In der Odyssee ist sie deshalb die Schutzgöttin des ihr geistig verwandten, weil stets besonnenen und erfinderischen Odysseus483, in der Ilias erscheint sie beim Streite des Achill und Agamemnon dem ersteren wie die personificirte Besonnenheit484, in Arkadien wurde sie eben deshalb als μηχανῖτις verehrt485, und in dem etrurischen und römischen Culte deutet der Name Menerva Minerva auf dasselbe geistige und sinnende Wesen der Göttin, an welchem sich die Philosophen und alle Jünger der Kunst und Wissenschaft von jeher erbaut haben. Daß in Athen diese Seite der Göttin vorzüglich hervorgehoben wurde ist um so begreiflicher, weil gerade die reinere attische Luft, wie Euripides und die Lobredner Athens dieses gerne rühmen, auch der Nahrung und Pflege des Geistes mehr als irgendwo zuträglich war. Und wo hätte sich eine Gottheit als das innerste Wesen, als die Seele eines Landes großartiger bewährt, erhebender von sich gezeugt, als in dieser unvergleichlichen Stadt, wo der Reisende noch jetzt den Spuren der alten Schutzgöttin auf der durch sie für ewig geweihten Burg mit tiefergriffenem Gemüthe nachgeht.
Die bildliche Darstellung der Göttin hielt sich lange an die altherkömmlichen Muster der Cultusbilder, deren es sitzende und stehende gab, jedes nach seiner besonderen Bedeutung durch Speer und Schild, die Aegis mit dem Gorgoneion, den Spinnrocken oder andere Attribute characterisirt. Die stehenden mit der gezückten Lanze und dem geschwungenen Schilde nannte man speciell Palladien, unter denen das troische Palladion vor allen übrigen berühmt war, wie die meisten alten Schutzbilder angeblich vom Himmel gefallen (διοπετές), sein Besitz eine Bürgschaft für die Sicherheit der Stadt, daher Diomedes es unter dem Beistande des Odysseus entwendet. Eine Veranlassung von vielen Sagen, die bald die außerordentliche Heiligkeit des Bildes bald das Wunder seines Ursprungs hervorheben, bald von den Wegen und Abenteuern berichten durch welche es dahin gekommen wo man sich seines Besitzes rühmte, wie in Argos, in Athen, in Unteritalien, endlich in Lavinium und Rom486. Anderer alter Bilder rühmte sich Athen, darunter das heiligste das im Erechtheum bewahrte der Athena Polias war, wahrscheinlich ein sitzendes mit Peplos, Aegis und dem Kopfschmucke des Polos, des rundlichen Sinnbildes des gewölbten Himmels487. Daneben gab es indessen auch alte kriegsgerüstete Bilder der Promachos, sammt anderen die sich auf Sieg und auf Fruchtbarkeit und sonstige Eigenthümlichkeiten des Cultus bezogen,