Griechische Mythologie. Ludwig Preller
Göttin zu vergegenwärtigen. Wie lebendig dasselbe dem attischen Volke vorschwebte, davon giebt die bekannte Erzählung von der List, durch welche Pisistratos zur Tyrannis gelangte, ein merkwürdiges Beispiel488.
Aus solchen Elementen erhob sich die Kunst nach den Perserkriegen zu den bewunderungswürdigsten Leistungen, durch Phidias, welcher auch die ideale Bildung der Athena in den Grundzügen ein für allemal feststellte. Der große Künstler hatte die oberste Schutzgöttin seines Vaterlandes oft und für verschiedene Städte gebildet, seine berühmtesten Werke aber waren die auf der Burg von Athen, in welchen die drei wichtigsten Phasen der Göttin auf entsprechende Weise hervortraten. 1) Die chryselephantine Statue der jungfräulichen Pallas im Parthenon, ein colossales Standbild mit einem auf die Füße hinabwallenden Chiton, darüber die Aegis mit dem Gorgoneion, auf dem Haupte ein Helm welchen oben eine Sphinx, zu beiden Seiten Greife schmückten. Auf der einen Hand (wahrscheinlich der rechten) ruhte eine sechs Fuß hohe Nike, in der anderen hielt sie die Lanze und an derselben Seite unten sah man die Erichthoniosschlange und den mit Scenen aus der Amazonen- und der Gigantenschlacht verzierten Schild, welcher bei den Füßen anlehnte: Alles von Gold und Farbenglanz strahlend. Selbst die tyrrhenischen Schuhe waren mit Gruppen aus dem Kampfe der Lapithen und Kentauren geziert, und am oblongen Postamente (von welchem allein sich an Ort und Stelle einige Spuren auf dem Fußboden erhalten haben) sah man ein in vielen Götterfiguren ausgeführtes Bild von dem Ursprunge der Pandora. Das Ganze läßt sich mit Hülfe gleichartiger Statuen, attischer Votivreliefs und verschiedener Münzbilder doch nur einigermaßen wiederherstellen489. 2) Das eherne Bild der Pallas Promachos, die ins Riesige übertragene und dabei doch ganz schöne und ausdrucksvolle Ausführung der alten Idee der Palladien: die bewaffnete Schutzgöttin des attischen Volkes und seines heiligen Mittelpunktes, der Burg von Athen, wie sie sich besonders in den Perserkriegen bewährt hatte und deshalb aus der Marathonischen Siegesbeute in diesem Bilde dargestellt wurde. Es stand zwischen dem Erechtheum und Parthenon (noch sieht man die Spuren des Unterbaues), wie gewisse attische Münzen dieses Bild in freilich sehr unzulänglichen Umrissen zeigen490. Der Schild war mit Gruppen aus dem Kampfe der Lapithen und Kentauren geschmückt, die Spitze des Speeres und der Büschel des Helmes ragten so hoch empor, daß sie den Schiffern gleich wenn sie um das Vorgebirge Sunion gekommen waren sichtbar wurden. 3) Ein ehernes Bild welches man die lemnische Pallas nannte, weil es von den attischen Kleruchen auf Lemnos gestiftet war. Hier erschien die Göttin in solcher Anmuth, daß man sie die schöne zu nennen pflegte. Es war die Göttin des Friedens und der Werke des Friedens, daher der Künstler, wie eine alte Beschreibung sich ausdrückt, den Helm weggelassen und statt seiner die jungfräulich erröthende Schönheit zur Zierde des Hauptes gemacht hatte. Allen Athenabildern des Phidias aber werden jene Züge geeignet haben, welche wir an den besseren Statuen dieser Göttin noch jetzt als die vorherrschenden wiedererkennen. Eine ragende ernste Gestalt von einer körperlichen Bildung und mit einem Antlitze, welches von einer ungetrübten Herrschaft des Geistes zeugt. Eine reine Stirn, längliche feine Gesichtsbildung, sinnende Augen, strenger Mund, festes Kinn, das Haar kunstlos zurückgeschlagen. Kurz der Geist, die Festigkeit, die Klarheit in der Gestalt einer reinen göttlichen Jungfrau, die gewöhnlich bewehrt gedacht wurde.
Was die sonst vorhandenen zum Theil sehr schönen Büsten und Statuen, Münz- und Vasenbilder betrifft491, so läßt sich jener Gegensatz einer kriegerisch aufgeregten und einer in friedlicher Milde gesammelten Göttin auch dort an vielen Beispielen nachweisen. Wo sie kriegerisch erscheint, bald zum Kampfe eilend oder schon am Kampfe theilnehmend, ist sie immer mit dem althellenischen Chiton bekleidet und in vollem Waffenschmucke492, von dem die Aegis dem Arme zum Schilde dient oder die Brust bedeckt, ein lebendiger Schlangenpanzer, dessen Schlangen sich auf manchen Bildern wie am Kampfe theilnehmend emporbäumen: die Göttin selbst mit finsterem Ausdruck des Gesichts, mächtigen Gliederformen, kühnen Bewegungen. Dahingegen sie in anderen Bildern, welchen die siegreich waltende und herrschende Göttin vorschwebte, ruhig dastehend abgebildet ist, angethan mit einem großen Mantel, welcher die Gestalt und deren kriegerische Attribute verhüllt, aber den majestätischen Eindruck des ganzen Bildes erhöht. Noch andere heben bestimmtere Beziehungen ihres friedlichen Waltens hervor, wie die insgemein Athena Agoraea genannten Bilder, wo die Aegis lose über die Brust herabhängt, der Helm gleichfalls lose aufgesetzt ist oder ganz fehlt, dahingegen in Geberde und Miene der Ausdruck ihres im bürgerlichen Verkehre thätigen Wesens vorherrscht. Endlich die mythologischen Acte ihrer Geburt aus dem Haupte des Zeus, wie sie in dem östlichen Giebelfelde des Parthenon in Athen, und ihres Streites mit Poseidon, wie sie in dem westlichen Giebelfelde zu sehen war493, ihr Antheil an dem Gigantenkampfe und an den zahllosen Kämpfen der heroischen Vorzeit. Von keiner anderen Gottheit besitzen wir eine solche Menge vielfach wechselnder Kunstdarstellungen.
Fußnote
423 Herod. 1, 62, Eur. Herakl. 849. 1031, Hesych v. Παρϑένος, O. Müller kl. Schr. 2, 151, vgl. die von Böckh erkl. Inschr. Ber. d. Berl. Ak. 1853 S. 573. Bei Antigon. Mirab. 12 holt sich Athena aus Pallene einen Berg, um ihn zur Befestigung der Akropolis zu verwenden. Sie läßt ihn unterwegs fallen und so ist daraus der Lykabettos geworden.
424 Paus. 1, 36, 3, Steph. B. v. Σκίρον, Strabo 9, 393, Alkiphr. 3, 25 u. A., vgl. Welcker A. D. 3, 15. Daß es auch hier einen T. der A. Skiras gab, welcher von dem in Phaleron zu unterscheiden ist, beweist Poll. 6, 96 σκιραφεῖα δὲ τὰ κυβευτήρια ὠνομάσϑφ, διότι μάλιστα Ἀϑήνῃσιν ἐκύβευον ἐπὶ Σκίρῳ ἐν τῷ τῆς Σκιράδος Ἀϑηνᾶς ἱερῷ, vgl. Eust. Od. 1397, 26 ἐν τῷ τῆς Σκιράδος Ἀϑηνᾶς τῷ ἐπὶ Σκίρῳ. Vermuthlich ist das Palladion der Gephyraeer hier zu denken, s. unten.
425 Paus. 1, 1, 4; 36, 3, Plut. Thes. 17 u. A. Für den Gründer dieses H. galt gewöhnlich Skiros von Salamis, erster König der Insel, Sohn des Poseidon und Gemahl der Salamis, einer T. des Asopos, Strabo 9, 393, Hesych v. Σκιράς, eigentlich nur eine Personifikation von Salamis, σκιράς d. h. ξηρά, vgl. Danaos, Kranaos u. dgl.
426 σκίρος oder σκίρρος ist ein älteres Wort für ξηρός, vgl. ξένος aeol. σκένος, ξίφος dor. σκίφος. Hesych erklärt σκῖρα χωρία ὕλην ἔχοντα εὐϑετοῦσαν εἰς φρύγανα, vgl. O. Müller kl. Schr. 2, 150. 233, C. I. n. 5774. 5775, vol. 3 p. 705. Daher auch der Name der A. Skiras bisweilen in diesem Sinne erklärt wird, Schol. Ar. Vesp. 926 λέγεται καὶ γῆ σκιρρὰς λευκή τις ὡς γύψος καὶ Ἀϑ. Σκιρρὰς ὅτι τῇ λευκῇ χρίεται. Vgl. Suid. Phot. v. σκίρος, Schol. Paus. 1, 1,4, nach welchen Theseus nach der Rückkehr von Kreta im T. zu Phaleron ein Bild der A. Skiras von Gyps geweiht hätte.
427 Apollodor b. Schol. Soph. O. C. 56, Paus. 1, 30, 2. Ueber die Fackelläufe Böckh Staatshaush. 1, 612 ff.
428 Soph. O. C. 694–706 mit d. Schol., Arist. Nub. 1005 Schol., Suid. v. μορίαι. Paus. l. c. kennt bei der Akademie nur ein φυτὸν ἐλαίας, δεύτερον τοῦτο λεγόμενον