Mami Staffel 6 – Familienroman. Claudia Torwegge

Mami Staffel 6 – Familienroman - Claudia Torwegge


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      »Stimmt«, fauchte Sandra. »Ich will nämlich überhaupt keine Brille tragen. Und falls du dir einbildest, daß ich mit so einem No-Name-Produkt auf der Nase herumlaufe, dann kannst du die Sache endgültig vergessen. Ich lasse mich doch nicht von den anderen auslachen.«

      »Okay, es muß also ein Markengestell sein«, seufzte Nathalie nachgiebig. »Und was ist da bei euch in der Klasse so angesagt?«

      Sandra zuckte die Schultern und bockte.

      Sie war nicht bereit, es ihrer Mutter auch nur ein kleines bißchen leichter zu machen.

      »In Ordnung«, beschloß Nathalie. »Dann gehen wir eben weiter.«

      Ohne auf Sandras verbissene Miene zu achten, setzte Nathalie ihren Weg fort und erreichte bereits nach wenigen Metern das nächste Geschäft.

      »Ist das genehm?« erkundigte sie sich bei ihrer Tochter, die stur zu Boden starrte. »Schau mal, die haben sogar eine recht flotte Joung Collection. Eh, da sind ein paar echt witzige Modelle dabei. Jetzt guck doch mal.«

      »Mhmmm«, machte Sandra nur, ohne den Kopf oder wenigstens die Lider zu heben.

      Nathalie schluckte ihren Ärger hinunter, packte Sandra am Ärmel ihres XXL-Sweatshirts und zerrte sie in den Laden.

      Die Einrichtung und Dekoration war genau auf den Geschmack junger Leute abgestimmt. Futuristische Accessoires, Dance-, Biker-, Raver- und Hiphop-fans kamen hier voll auf ihre Kosten. Welcher Überzeugung man auch angehörte, Teens und In-Twens brauchten hier keine Angst zu haben, daß ihre Brille etwa nicht dem neuesten Stand entsprach.

      Nathalie atmete erleichtert auf, als sie sah, daß Sandras Augen doch ein wenig interessiert zu funkeln begannen, während sie sich vorsichtig in dem schicken Laden umsah. Doch Nathalie war schlau genug, Sandra nicht auf das Ambiente anzusprechen, etwa in der Form: »Na, was sagst du, das ist doch genau das, was dir gefällt?«

      Mütter wußten nie, was ihren Töchtern gefiel. Sie waren hoffnungslos altmodisch und hatten keine Ahnung. Das war eine Tatsache, die man als Erwachsener besser akzeptierte, sonst machte man sich in den Augen der Teenies hoffnungslos lächerlich.

      Statt sich also begeistert über das Interieur zu äußern, wandte Nathalie ihre Aufmerksamkeit dem Verkäufer zu, der gerade aus einem Nebenraum trat und mit einem verbindlichen Lächeln auf den Lippen zu ihnen kam. Aber das Lächeln gefror zu einer grotesken Maske auf seinem Gesicht, als er die Kundin erkannte.

      Nathalie erstarrte ebenfalls. Sie kam sich vor, als hätte ihr jemand mit einer riesigen Turbospritze das gesamte Blut mit einem einzigen Zug aus den Adern gesogen. Der Schrecken über dieses unverhoffte Wiedersehen fuhr ihr so in die Glieder, daß sie tatsächlich am ganzen Körper zitterte.

      Ihr Gegenüber erholte sich schneller von dem Schock. Seine Miene wurde abweisend.

      »Sie wünschen?« erkundigte er sich eisig.

      »Meine Mutter wünscht«, maulte Sandra, die nichts von den Spannungen spürte, die plötzlich wie Elektrizität in der Luft schwirrten. »Ich kann auf so’n Omading verzichten.«

      »Halt den Mund, Sandra!« Nathalies Stimme klang schärfer als beabsichtigt. Hastig versetzte sie ihrer Tochter einen leichten Stups in die Seite und wandte sich erneut dem Verkäufer zu.

      Das Schicksal meinte es heute wirklich nicht sonderlich gut mit ihr.

      Aber sie war nicht der Typ, der den Kopf in den Sand steckte und hoffte, daß das Unheil an ihr vorbeiging, ohne sie zu bemerken. So was tat ein mißgünstiges Schicksal nie.

      Nathalie beschloß, die ganze Sache positiv zu sehen und sich zu entschuldigen. Vielleicht war es ja genau das, was die Vorsehung von ihr wollte?

      »Es tut mir leid«, hob sie an. »Und es ist mir schrecklich peinlich. Ich habe mich wirklich unmöglich benommen.«

      Der Verkäufer betrachtete sie einen Moment voller Argwohn, dann entspannte sich seine Miene.

      »Also gut«, gab er nach. »Jeder hat mal einen schlechten Tag.«

      »Das kann man wohl sagen«, entfuhr es Nathalie erleichtert. »Mich hat’s heute besonders schlimm erwischt. Deshalb war ich auch so ungehalten.« Sie musterte ihn einen Moment, suchte nach Spuren ihres Zusammenstoßes. »Hat es sehr wehgetan?«

      »Was?« fragte der Mann zurück, ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen. »Meinen Sie die Finger, die Sie mir in der Tür gequetscht haben, das Brustbein, das Sie mir eingerannt haben, oder die Ohrfeige, die ich auch noch einstecken mußte?«

      Sandra belauschte die Unterhaltung mit offenem Mund.

      »Wovon redet ihr?« erkundigte sie sich erstaunt.

      »Halt den Mund«, beschied Nathalie ihr kurz und wandte sich wieder ihrem Opfer zu. »War ich wirklich so rabiat?« fragte sie entsetzt.

      »Nun ja, sanft waren Sie jedenfalls nicht«, erwiderte der Verkäufer lächelnd. »Ich dachte, mich überfährt ein Bus. Aber ich hab’s überlebt, und die Finger sind auch schon wieder abgeschwollen. In dem Café würde ich mich an Ihrer Stelle aber nicht so schnell sehen lassen. Die fanden Sie äußerst unsympathisch.«

      »Kein Wunder.« Jetzt war Nathalie tatsächlich zerknirscht. »O Gott, wie kann ich das bloß wiedergutmachen?«

      »Kaufen Sie eine Brille bei mir, und alles ist vergessen.« Der Mann schien wenigstens Humor zu besitzen. »Ich verrechne es als Gefahrenzulage.«

      Nathalie starrte beschämt zu Boden, aber dann raffte sie sich auf.

      »Eine Brille brauchen wir tatsächlich«, ging sie auf den lockeren Ton des Verkäufers ein. »Meine Tochter kann kaum die eigene Hand vor den Augen sehen. Sie will es zwar nicht wahrhaben, aber der Augenarzt wollte ihr schon einen Blindenhund mitgeben. Meinen Sie, daß Sie etwas Passendes haben, was einem sehr modebewußten Teenager gefallen könnte?«

      »Bloß nichts, was meiner Mutter gefällt«, kam es protestierend aus Sandras Mund. »Sie hat einen unmöglichen Geschmack.«

      Der Verkäufer behielt sein geduldiges Lächeln, während er an die futuristisch gestylten Regale trat, in denen sich eine Kollektion wirklich rasanter Brillengestelle befand.

      »Schau dich doch mal in aller Ruhe um«, schlug er mit einer einladenden Handbewegung vor. »Was dir gefällt, nimmst du heraus und probierst es an. Da drüben haben wir eine Kamera. Da kannst du dich direkt auf dem Fernsehschirm ansehen.«

      »Ehrlich?« Sandras Augen begannen interessiert zu leuchten. »So’ne richtige Videoanlage?«

      »Genau das.« Der Verkäufer trat an einen Fernseher und schaltete ihn ein. »Da, schau es dir an. Und dann setz’ mal eine der Brillen auf. Du wirst staunen, wie sehr man damit seinen Typ verändern kann.«

      Jetzt war Sandra nicht mehr zu halten. Begeistert trat sie an die Regale und begann, die Modelle eingehend zu studieren.

      »So, für die nächsten Stunden wäre die Madame beschäftigt«, meinte Nathalie, als sie sah, daß Sandra bereits die erste Auswahl traf. »Ich gebe Ihnen inzwischen schon mal das Rezept.«

      Während Sandra in aller Ruhe aussuchte und anprobierte, besprachen die Erwachsenen schon einmal, wie die Gläser gearbeitet sein sollten. Später mußten sie dann die verschiedenen Modelle begutachten, die Sandra zusammengetragen hatte.

      Bewundernd sah Nathalie zu, wie geschickt es der Verkäufer verstand, seine junge Kundin für eine randlose Brille zu begeistern, die eher schlicht wirkte und bei der Nathalie ihren Sonntagshut verwettet hätte, daß Sandra sie niemals nehmen würde.

      Aber sie mußte dem Mann recht geben. Das Exemplar stand Sandra hervorragend.

      »Damit sind Sie unabhängig«, erklärte der Mann, während er die Videokamera einrichtete. »Sehen Sie, Sie können jede Haarfarbe und jedes Outfit dazu tragen. Vor allem aber verändert es Ihren Typ nicht. Es betont Ihr Gesicht, ohne aufzufallen. Passen Sie auf, einige Ihrer Klassenkameraden werden zuerst gar nicht merken, daß Sie eine


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