Dr. Brinkmeier Staffel 2 – Arztroman. Sissi Merz
wünschte Monika sich, Christian Farber niemals begegnet zu sein. Er hatte sie nicht nur unglücklich gemacht, er sorgte jeden Tag aufs Neue dafür, daß für sie und die Kinder das Leben zur Hölle wurde. Sie wußte nicht, wie sie das alles nur noch einen Tag länger aushalten sollte. Am liebsten wäre sie einfach fortgelaufen. Doch wohin? Monika hatte ja keine Verwandten mehr. Und sie mußte an die Kinder denken. Die Lage schien aussichtslos.
*
Am Samstagnachmittag sperrte Anna Stadler ihre Apotheke pünktlich zu. Sie ging lächelnd über die kessen Bemerkungen Susi Angerers über sie und »ihren« Doktor hinweg, denn sie hatte glänzende Laune. Ihre klaren Augen, die strahlten mit der Frühlingssonne um die Wette, während sie ihre fesche Wanderkluft anlegte und die Boots schnürte. Als jemand am Klingelstrang zog, warf Anna einen kurzen Blick auf die Uhr; eigentlich war es noch zu früh, Max hatte sie erst gegen drei Uhr abholen wollen. Sie seufzte leise; hoffentlich war ihm kein Notfall dazwischengekommen. Die hübsche junge Frau eilte nach unten und prallte zurück, nachdem sie die Hintertür geöffnet hatte.
»Alois, was willst denn du da? Das paßt mir jetzt aber gar net. Brauchst ein Medikament? Sonst hab ich zu nix Zeit.«
Alois Burgmüller, Großbauer, Viehhändler und seit Jahren ehrenamtlicher Ortsvorsteher von Wildenberg, zwirbelte seinen kecken Schnauz, überreichte der verdutzten jungen Frau einen duftigen Strauß Frühlingsblüher und stellte dann freundlich fest: »Ich will dich net lang aufhalten, Anna. Schaust ganz herzallerliebst aus. Schad’ nur, daß die ganze Mühe umsonst ist. Aber so ist das Leben, gelt?«
»Was soll denn das wieder heißen?«
»Verstehst mich schon. Der Brinkmeier hat eine andere lieb, das ist doch kein Geheimnis. Aber keine Angst, ich will dir deine Wandertour net vermiesen. Bin nur zufällig vorbeigekommen und wollte mich mal wieder bei dir ins Gedächtnis rufen. Das ist schon alles.« Er lächelte so harmlos, daß sie sofort etwas witterte. »Ach ja, noch eine Kleinigkeit...«
Anna lächelte schmal. »Hab ich mir fast gedacht.«
»Es geht mir um die Sitzung vom Rat nächste Woch’. Wir stimmen doch über den neuen Skilift ab. Und ich wollte gern schon mal vorfühlen, wie du zu dem Projekt
stehst. Na, was sagst?«
»Das hörst dann in der Sitzung.« Sie stellte mit Genugtuung fest, daß er sich ehrlich ärgerte. »Da, die Blumen kannst der Lisa schenken. Und noch einen schönen Gruß!«
Der Burgmüller wußte kaum, wie ihm geschah. Urplötzlich hatte er seinen schönen Strauß wieder in der Hand und stand vor verschlossener Tür. Daß die Anna ihm aber auch nicht den kleinsten Gefallen tun wollte...
»Grüß dich, Bürgermeister.« Max Brinkmeier grinste. »Was für schöne Blümerln. Sind die für mich?«
»Sackerl Zement!« Alois stopfte den Strauß in den Müllkübel und walzte beleidigt von dannen. Anna, die den kleinen Zwischenfall mitbekommen hatte, öffnete wieder die Tür und lachte herzlich.
»Wir können sofort los. Mei, Max, der hat fürs erste genug.«
»Mag schon sein. Aber ein bissel gemein war es doch, oder? Der Burgmüller verehrt dich von Herzen«, gab er zu bedenken.
»Ja, freilich. Und er denkt, mit einem Bund Tulpen kann er meine Stimme im Rat kaufen. Wenn das net romantisch ist...«
Sie tauschten einen vielsagenden Blick und mußten beide lachen. Wenig später hatten Anna und Max Wildenberg hinter sich gelassen. Sie wählten einen Rundwanderweg, der in einem weitem Bogen um das Dorf herumführte. Ein
herrlicher Tag war’s, wie gemacht für eine Wanderung durch die Natur.
Der Himmel war ganz klar und wolkenlos, eine leise milde Brise wehte von West und brachte nur ab und an ein harmloses Schönwetterwölkchen mit sich. In der würzigen Luft zwitscherten Meise und Lerche, Amsel und Fink. Die ersten Hummeln besuchten bereits die kleinen Blüten von Lerchensporn und Arnika.
Anna atmete tief durch und lächelte zufrieden. »Wunderbar ist es heut, gelt? Da haben wir uns den richtigen Tag für einen Ausflug ausgesucht.«
»Allerdings. Der Frühling liegt schon in der Luft.«
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. »Aber ganz froh und zufrieden bist net, oder?«
»Du hast wie immer recht. Mir geht so viel im Kopf herum.«
»Wegen der Julia? Stimmt was net?«
»Na ja, eigentlich ist alles wie immer zwischen uns. Aber eben das ist ja das Problem. Weißt, Anna, als ich Ruanda verlassen hab, da hätte ich mir niemals vorstellen können, daß wir uns so lange nimmer sehen. Ich dachte, es wird ein paar Wochen dauern, dann kommt die Julia nach. Weil ich mir eingebildet hab, daß sie es ohne mich net aushält. Leider habe ich mich geirrt. Ich kann sie ja in gewisser Weise verstehen, schließlich hab ich auch an der Arbeit dort unten gehangen. Aber seit dieser Kennedy da ist, werde ich das Gefühl nicht los, daß es auch an ihm liegt. Daß sie nicht geht, weil er dort ist...«
»Aber, Max, das ist doch Unsinn.« Anna lächelte ihm ein wenig zu. »Und du weißt es auch. Die Julia hat dich lieb.«
»Daß du das sagst...«
»Na ja, leicht fällt mir das bestimmt nicht. Ich bin schließlich kein Engerl. Aber ich weiß auch, daß es wenig Sinn hat, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Und ich finde, wegen der Julia mußt dir keine Sorgen machen.«
»Wahrscheinlich hast recht.« Er drückte ihre Hand leicht und erwiderte ihr Lächeln. »Danke für dein Verständnis, das tut mir gut. Aber das war nicht alles, was mir im Kopf herumgeht. Ich muß die ganze Zeit über die Farbers nachdenken.«
»Hast noch was erfahren können? Wegen der Verletzungen vom Paul, meine ich.«
»Ich war noch mal bei den Leuten, hab mich auch mit dem Vater unterhalten. Er ist mir nicht sehr sympathisch. Und es scheint ganz offensichtlich, daß er etwas zu verbergen hat. Ist gleich ausfallend geworden, als ich ein bissel nachgebohrt habe.«
»Die Sache ist schlimm«, urteilte Anna mitfühlend. »Die Kinder haben sehr zu leiden. Aber glaub nur net, daß es der Monika bessergeht. Sie schweigt vermutlich aus Angst. Keine Mutter gibt es schließlich ohne Not zu, daß ihr Kind leidet.«
»Nicht jeder denkt da so wie du.«
»Vielleicht. Aber die Monika schon, so gut kenne ich sie. Die hat ihre beiden sehr lieb. Wenn sie könnte, würde sie etwas gegen ihren Mann unternehmen, davon bin ich überzeugt. Aber sie ist wahrscheinlich ebenso ein Opfer wie die Kinder.«
Max nickte langsam. »Eine schwierige Situation. Aber ich werde nicht locker lassen. Auch wenn ich mich in die Nesseln setzte.«
»Hätte ich auch net anders erwartet.« Sie schenkte ihm ein Lächeln, das er gerne erwiderte.
Auf dem Rückweg nach Wildenberg kamen die beiden Wanderer am Brinkmeierhof vorbei und legten dort eine kurze Rast ein. Lukas zeigte sich erstaunt, aber auch erfreut, seinen Bruder in so netter Begleitung zu sehen. Er wies seine Hauserin an, ihnen eine Brotzeit zu richten und ließ Max wissen: »Die Tina kommt später auch noch. Vielleicht unternehmen wir mal zu viert was. Oder habt ihr zwei heut abend schon was vor?«
»Leider hab ich Bereitschaft. Aber ein andermal gerne«, erwiderte der Landarzt. »Ihr seht euch also wieder regelmäßig?«
»Ja, schon. Die Tina fühlt sich bereits recht daheim bei mir auf dem Hof. Ich hoffe, sie kann sich bald dazu durchringen, einen Termin festzulegen.« Lukas lächelte ein wenig verlegen. »Jetzt bin ich so lange einschichtig gewesen und kann es mit einem Mal nimmer erwarten, endlich eine Bäuerin heimzuführen. Narrisch, gelt?«
»Finde ich nicht«, stellte Anna Stadler fest. »Wenn man den richtigen Menschen gefunden hat, um glücklich zu sein, warum soll man dann noch warten? Das hätte freilich keinen Sinn.«
»Ganz deine Meinung, Anna.« Der Bauer warf seinem Bruder einen vielsagenden Blick zu. »Du denkst da wohl anders, gelt?«
»Net