DUNKLE ZEITEN. Dane Hatchell

DUNKLE ZEITEN - Dane Hatchell


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verzog keine Miene, während er einfach durch den klein gewachsenen, rothaarigen Betreiber hindurchsah. Vor ihm auf dem Tresen standen sauber aufgereiht vier leere Schnapsgläser, wobei er sich gerade an dem Letzten festhielt, das er ungefähr fünf Minuten zuvor ausgetrunken hatte. Das leere Glas erinnerte ihn daran, wie er sich fühlte, während er es fest mit einer Hand umschloss.

      »Rico … Hey, großer Junge. Was auch immer dir momentan die Laune verhagelt: Lass es einfach los.«

      Keine Reaktion.

      Rico wandte seinen Blick von James ab und starrte weiter ins Nichts.

      »Du sitzt hier in deiner Polizeiuniform und besäufst dich. Was, wenn dein Vorgesetzter Wind davon bekommt? Du willst doch deinen Job wohl nicht aufs Spiel setzen.«

      Der Officer blähte seine Backen auf wie ein Ochsenfrosch, sodass sein Mund immer breiter wurde, als ihm der Whiskey im Magen aufstieß und in seinem Rachen brannte. »Ich bin aber nicht im Dienst, also gib mir noch einen.«

      »Du hast innerhalb der letzten Stunde fünf Stück getrunken. Ich kann dir nicht mehr geben. Als Wirt stehe ich gesetzlich in der Pflicht, einem Gast den Ausschank zu verweigern, wenn ich ihn für zu betrunken halte.«

      »Scheiß auf das Gesetz.«

      »Das kann ich nicht, Kumpel. Denn wir reden hier zufällig über meine Existenzgrundlage. Ich darf dich nicht so sehr abfüllen, dass du von hier losfährst und jemandem im Straßenverkehr verletzt. Würde das passieren, könnte ich hart zur Kasse gebeten werden und den Laden anschließend dichtmachen.«

      Rico schloss seine Augen und schwebte sofort wie mit einem Raumschiff in anderen Sphären. Die Gespräche und die Musik im Lokal verstummten und wurden zu einer unheimlichen Stille. Er war zwar schon zuvor in seinem Leben allein gewesen, hatte sich aber noch nie derart verlassen gefühlt. Mit jeder Sekunde, die verging, schwand sein Lebenswille ein Stück mehr. Der Whiskey wog einfach nicht auf, was er verloren hatte, obwohl er es gehofft hatte. Sein vertrauter Freund, der seinen Schmerz linderte, hatte ihn letzten Endes im Stich gelassen. Er nahm das Glas in seine andere Hand und tippte dann beiläufig mit einem Finger dagegen.

      »Sie ist nicht zu Hause«, antwortete er schließlich.

      »Wer? Ach, deine Frau?«

      »Sie ist nicht daheim; sie hat gesagt, sie kann nicht mehr mit mir zusammenleben. Schuld daran sei meine Trinkerei.« Rico richtete seinen Blick nun zum ersten Mal, seit er Platz genommen hatte, wieder auf Pop. In letzter Zeit tat er sich schwer damit, seinen Mitmenschen in die Augen zu schauen … er glaubte, sie würden ihn vielleicht nicht bemerken, wenn er sich ihnen nicht direkt widmete. Erkannte ihn nämlich jemand als das, was er tatsächlich war, würde er sich gezwungen sehen, das Problem anerkennen zu müssen. Pops irisches Grinsen löste bittere Emotionen in ihm aus. »Ich führe die Trinkerei nur auf meine Arbeit zurück. Scheiß auf den Job, scheiß aufs Gesetz; scheiß aufs Leben!«

      Der alte Mann nickte stumm. Seine grünen Augen funkelten unter Lidern, an denen die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen war. »Du bist nicht der erste Bulle, der an meiner Theke sitzt und versucht, sein Leid zu ertränken. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass dieser Job nicht leicht ist. Jeden Tag mit dem Schlimmsten zu tun zu haben, was die Gesellschaft bietet; Überstunden bei niedrigem Gehalt, ohne zu wissen, ob der Nächste, den du herauswinkst, weil er gerade bei Rot eine Ampel überfahren hat, eine Knarre zieht und dir die Rübe wegschießt. Du klingst in meinen Ohren so, als hättest du gerade vergessen, worauf es dir wirklich ankommt.«

      »Worauf es mir ankommt?«

      »Genau, erinnere dich doch mal daran, warum du überhaupt bei der Polizei angefangen hast vor … Wie lange ist es noch gleich her?«

      »Ich habe die Akademie mit zweiundzwanzig abgeschlossen. Das war vor acht Jahren. Hmm.« Rico verzog sein Gesicht. »Acht Jahre klingen nach einer Ewigkeit, aber ich habe das Gefühl, es sei erst gestern gewesen. Das wünschte ich mir auch, denn dann hätte ich manches bestimmt ganz anders gemacht.«

      »Du bist in den Gesetzesvollzug eingetreten, weil du wusstest, dass der amerikanische Traum nicht ohne Männer und Frauen wie dich weiter bestehen kann. Um dich herum sind die Leute älter geworden – deine Eltern zum Beispiel – und du wolltest einfach, dass sie ein sicheres und glückliches Leben führen können. Deine Kinder sollen in einer Umgebung aufwachsen, wo sie draußen spielen, zur Schule gehen und etwas aus sich machen können.« Pop zeigte auf den Namensschriftzug des Beamten. »Sergeant Rico J. Cruz. Du bist bestimmt nicht zum Sergeant aufgestiegen, weil du die ganze Zeit Donuts gegessen und den Verkehr geregelt hast, sondern du musstest dich nach oben kämpfen und viel durchhalten. Du hast bewiesen, dass du zu den Besten überhaupt zählst. Die Leidenschaft, mit der du dich zum Sergeant hochgearbeitet hast, ist immer noch in dir vorhanden. Natürlich geht dir der Job an die Nieren, aber ich mache meinen schon lange genug, um zu wissen, dass Leute ihr Heil nicht einzig und allein wegen ihrer Arbeit in der Flasche suchen.«

      Pop beugte sich zu Rico. Sein Blick war stechend wie der eines Priesters, der jemanden zur Beichte bat.

      Rico verzog sein Gesicht erneut, während er das Schnapsglas fest umklammerte. Er errötete unter der schwachen, gelben Beleuchtung über dem Tresen. Weinen – das hatte er sich versprochen – würde er wegen dieser Sache ganz bestimmt nicht; um Gottes willen, immerhin war er ein erwachsener Mann. Tränen würden ein entschiedenes Zeichen dafür sein, dass er versagt hatte; sie wären die endgültige Demütigung. Indem er tief Luft holte, fasste er wieder Mut zur Entschlossenheit.

      »Ich begann erst mit dem Trinken, als … Mary Ettas Interesse an mir nachgelassen hat. Wir waren ziemlich jung, als wir geheiratet haben, eigentlich noch halbe Kinder, aber ganz schwer ineinander verliebt.« Seine Züge nahmen nun einen sanfteren Ausdruck an, während er das Schnapsglas auf den Tresen stellte. »Zunächst war alles eitel Sonnenschein. Wir wohnten während der ersten beiden Jahre in einem Appartement. Das war die beste Zeit überhaupt. Dann kauften wir uns ein Haus, und sie ging ebenfalls arbeiten. Damit fing praktisch alles an. Denn sie hatte viele Kolleginnen in ihrem Alter, die nicht verheiratet waren, und ging manchmal mit ihnen aus, in Bars oder Klubs – du weißt schon, immer dann, wenn ich Nachtschicht schob.«

      Rico hob seinen Kopf und schaute Pop mit feuchten Augen an. »Irgendwann wurde ihr dann natürlich die besondere Aufmerksamkeit anderer Männer zuteil.« Seine Stimme brach, und er biss die Zähne zusammen, damit er seine wütende Beklemmung nicht offen zur Schau trug.

      Pop streckte eine Hand aus und legte sie auf Ricos Schulter. »Das ist wirklich schade. Ich würde gern sagen, dass so etwas nicht oft passiert, doch das wäre gelogen. Solche Geschichten höre ich in meinem Metier leider so oft, dass ich glaube, es wird langsam zur Norm. Manchmal finde ich, Heiratsurkunden sollten nur drei Jahre gelten. Denn die Gesellschaft hat sich einfach in diese spezielle Richtung entwickelt. Du stehst an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt, mein Freund. Keine Bange, dort draußen gibt es viele tolle Frauen, die in der gleichen Situation stecken wie du. Es wird zwar eine Weile dauern, aber du kommst darüber hinweg.« James zog seine Augenbrauen hoch. »Allerdings musst du dieses Problem beim Schopf packen. Du hast etwas Besseres verdient. Nimm es einfach als das hin, was es ist, und zieh weiter. Du hast schließlich noch ein langes Leben vor dir.«

      Obwohl Rico aussah, als sei er mit seinen Gedanken ganz weit weg, nahm er jedes Wort ganz genau wahr. Pop war ein herzlicher Mensch, obwohl er auch zu denjenigen zählte, die man lieber nicht zum Narren hielt. Im Augenblick kam er ihm allerdings eher wie sein bester Freund vor, ach was, vielleicht sogar so, wie sein eigener Vater damals in seiner Kindheit gewesen war – vor dem Tod seiner Schwester Jennifer.

      Rico seufzte und sagte dann: »Ich habe eine Zeit lang versucht, mich davon zu überzeugen, weiterziehen zu müssen. Wie das gehen soll, wusste ich aber damals nicht, und es ist mir auch nach wie vor schleierhaft. Trotzdem, Pop. Meine Rede, und ich genau weiß, was du meinst. Danke dafür, dass du mir Hoffnung geben willst.«

      »Du musst einfach die Gedankenfalle in deinem Kopf umgehen und dich wieder in den Sattel schwingen. Nicht, dass ich das Trinken verdammen würde, ganz bestimmt nicht – aber lass die Finger trotzdem erst einmal von der Flasche. Komm zur Ruhe. Kauf dir ein paar neue Klamotten und leg dir vielleicht


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