DUNKLE ZEITEN. Dane Hatchell
sich deutlich unter seinem weißen Shirt ab, und dass er einen engen Schnitt bevorzugte, um Leute einzuschüchtern oder Frauen zu imponieren, war mehr als augenscheinlich. Bei den beiden anderen an seiner Seite handelte es sich um einen dürren Kerl, der als Technikexperte bei einem Kundendienst eines Computergeschäfts durchgegangen wäre; er trug eine Brille mit dickem Gestell und eine Krawatte. Der zweite Kerl fiel nicht so sehr auf; abgesehen von einer kleinen Tribal-Tätowierung, die zum Teil unter seinem linken Ärmel zu sehen war, entsprach er ganz und gar dem klassischen Durchschnittstypen. Im Grunde genommen waren alle drei nur normale Leute – einfache Kneipengäste, die nach Feierabend entspannen und es sich gut gehen lassen wollten. Vermutlich hatten sie sich bestens unterhalten, bevor diese irren Sonderlinge ins Pop's geplatzt und über den Polizeibeamten hergefallen waren.
Dieser lag noch immer auf dem Rücken und kämpfte mit demjenigen, der auf ihm gelandet war. Wenngleich der Mann nicht unbedingt viel zu wiegen schien, machte seine Stärke dies wieder wett. Wie gelang es dem gebrechlichen Alten bloß, Rico so niederdrücken zu können?
Geschrei und Gekreische männlicher und weiblicher Stimmen hallten nun durch den Raum.
Louis sang weiter.
I hear Babys cryin', I watch them grow.
They'll learn much more than I'll ever know.
And I think to myself, what a wonderful world.
»Sag mal, Kollege, was soll der ganze Scheiß?«, fragte der stämmige kleine Mann, während er einem der Obdachlosen einen Zeigefinger gegen die Brust drückte. So imposant, wie seine Haltung war, war vermutlich auch sein Faustschlag.
Der Landstreicher trat schwankend ein Stück zurück. Obwohl … das waren garantiert keine normalen Landstreicher. Jeder im Lokal erkannte sofort, dass es sich bei ihnen nicht um irgendwelche Minderbemittelte handelte. Ihre Bewegungen wirkten vollkommen falsch – roboterhaft und unnatürlich, und was in ihren Gesichter klebte, war ganz sicher nicht der übliche Dreck. Der Gestank, den sie verströmten, ging außerdem weit über schlechten Körpergeruch hinaus. Er war versetzt mit dem Geruch von Fäulnis und Verfall; es war der Gestank des Todes. Er hielt sich derart beharrlich in der Luft, dass er förmlich in der Nase juckte und am Gaumen haften blieb.
Der vermeintliche Computerfreak hielt sich angeekelt eine Hand vor den Mund. »Gott, die stinken ja ekelhafter als Fetakäse.« Er unterdrückte ein Würgen.
»Aber ohne Scheiß!«, stimmte ihm der Mann mit der Tribal-Tätowierung zu, während er seine Zunge herausstreckte wie ein Hund, als wolle er einen schlechten Geschmack im Mund loswerden.
»Jemand soll endlich dem Polizisten helfen«, rief nun eine Frau.
Die beiden nicht ganz frischen Obdachlosen trotteten weiterhin auf das Muskelpaket, den Brillenträger und den Tätowierten zu. Rico rang gerade um sein Leben, und im Augenblick sah es so aus, als behielte sein Gegner die Oberhand.
Die Frau schrie erneut: »Tun Sie doch etwas!« Ihr dringlicher Tonfall riss die anderen Gäste endlich aus ihrer lähmenden Furcht, die sie wie angewurzelt hatte stehenbleiben lassen. Wie hieß es noch so schön? Die ganze Welt war eine Bühne, und Männer und Frauen waren bloße Schauspieler. Die Aufforderung der Frau bewirkte das Gleiche wie der »Action!« Ruf eines Regisseurs, damit man mit dem Drehen einer Szene begann und die Möchtegern-Akteure in ihre Rollen schlüpften. Dies war jedoch kein Theaterstück oder ein Drehbuch für irgendeinen dämlichen Film, es war die Realität, und das wirkliche Leben verläuft nun einmal nicht nach Skript.
Der durchtrainierte Kraftprotz stieß den stinkenden Obdachlosen, der vor ihm stand, wieder weg und schubste ihn wie zuvor. Der Mann gewann sein Gleichgewicht allerdings schnell wieder, so als gewöhne er sich langsam an sein neues Dasein, und näherte sich knurrend. Als er den Mund öffnete, sah man gelbe, faule Zähne. Um den Atem zu beschreiben, den er aushauchte, müsste man am besten Metaphern von Jauchegruben der Hölle verwenden.
»Was haben diese Typen denn bloß für ein Problem?«, fragte der Muskulöse, während er seine Arme zum Zuschlagen ausstreckte.
Der Computerfreak öffnete ebenfalls seinen Mund, als wolle er etwas sagen, stieß dann aber nur Luft aus, so als gebe er sein Letztes.
Sein Seufzer lenkte den kräftigen Mann so sehr ab, dass der Obdachlose, den er sich bisher vom Leib gehalten hatte, einen Satz vorwärtsmachen und ihm in eine Hand beißen konnte. Blut spritzte aus der schwieligen Innenfläche, als die Kreatur ihre Kiefer zusammendrückte und den Kopf wild hin und her bewegte. Der Verletzte brüllte so laut, dass es Rico in den Ohren wehtat. Der Lärm beunruhigte auch die anderen Umstehenden, sodass eine erneute Panikwelle über das Lokal hereinbrach. Blut tropfte auf den Boden und besprengte eine Seite von Ricos Gesicht.
Das Ungeheuer zog sich nun mit einem Mundvoll Menschenfleisch zurück. Seine Zähne waren rot verschmiert und in den Zwischenräumen klemmten Gewebefetzen.
Wie nach einem Zaubertrick des großen Houdinis fehlten dem stämmigen Mann jetzt plötzlich drei Finger. Blut floss in Strömen aus den Wunden an seinem Arm hinunter. Er hielt sich die Hand vor das Gesicht, starrte sie fassungslos an und ließ nun jegliche Vernunft fahren.
»Was zum Teufel …?«, wisperte der Tätowierte, während er den zweiten Kerl anstarrte, der gerade schleppend auf ihn und den Brillenträger zukam.
Der Zombie – so würde man sie allerdings erst später nennen – kaute vorübergehend zufrieden auf einem Stück Finger herum.
»Raus aus meinem Lokal!« Pop trat plötzlich mit erhobenem Schläger hinter dem Tresen hervor.
Yes, I think to myself, what a wonderful world.
Oh yeah!
***
Rico, der immer noch unter den unangenehmen Nebenwirkungen des Alkohols litt, hielt sich den Angreifer weiterhin von der Pelle, indem er ihm einen Arm gegen seine Kehle drückte. Die Kreatur auf ihm schnappte regelmäßig zu und war fest entschlossen, ihre Zähne in jedes Körperteil zu treiben, das hinzuhalten der Polizist dumm genug war.
Während der wenigen Momente, die vergangen waren, seit er auf dem Rücken lag, hatte er sich mit einem unglaublichen Gedanken angefreundet. Die Obdachlosen mochten zwar Menschen sein, aber sie lebten nicht mehr. Das hatte nichts damit zu tun, dass ihm der Alkohol eventuell den Kopf verdrehte … diese Dinger waren tot … sie waren Zombies. Wie sie sich allerdings weiterhin bewegen konnten, überstieg seine Auffassungsgabe. Gott oder Satan waren dafür verantwortlich, oder die Wissenschaft konnte es erklären. So oder so, sie alle waren nun komplett am Ende.
Rico nahm all seine Kraft zusammen und verpasste seinem Angreifer einen heftigen Ruck, in der Hoffnung, sich von ihm befreien zu können. Es genügte jedoch nicht, denn die Kreatur hielt mit ihren knochigen Armen dagegen und zog jetzt mit einer Hand an seiner Krawatte, während die andere ebenfalls nicht lockerließ. Der Beamte stöhnte und dachte ganz kurz, dass er gleich die Hose vollfette. Seine Muskeln zuckten, während er sich darauf gefasst machte, es erneut mit geballter Kraft zu probieren. Ein zweiter Ruck … und er spürte mit seliger Erleichterung, dass das tote Ding endlich von ihm abließ. Er hatte es geschafft, es mit seinem linken Knie aus der Balance zu bringen und neben sich auf den Boden zu wälzen.
Ricos Körper tat mittlerweile überall weh und eine leichte Benommenheit erschwerte ihm das Aufstehen, denn er kippte fast vornüber. Nach ein paar Sekunden nahm er die Umgebung endlich nicht mehr verwackelt wahr und erkannte, dass die Eingangstür immer noch weit offenstand. Ein Blick hinaus sagte ihm: Dieser Kampf hatte gerade erst begonnen. Eine ganze Schar wiederbelebter Toter torkelte träge von der Straße auf die Kneipe zu. Rico hob eine Hand, schlug die Tür zu und schob sofort den Riegel vor, alles in einer fließenden Bewegung. Dies geschah offenbar gerade noch rechtzeitig, denn gleich darauf reihten sich die Toten bereits vor den Fenstern auf. Schmierige Hände schlugen dagegen und kratzten daran. Wie lange würde das Glas wohl halten, bis es in tausend Splitter zerbrach?
Sie