Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
und blickte, in Erwartung der Probe, andächtig auf die Bühne. Alles war genau so wie einst!
Ich ging auf die Dame des Hauses zu, – ich mußte sie doch begrüßen, – aber alle begannen plötzlich zu zischen und mit den Füßen zu stampfen, daß ich leiser auftrete. Es wurde still. Man hob den Deckel des Klaviers, eine Dame setzte sich vor das Instrument und richtete ihre kurzsichtigen Augen auf die Noten, und nun erschien meine Mascha. Sie war schön und elegant, aber von einer eigenen, ganz neuen Schönheit und glich gar nicht jener Mascha, die mich im Frühjahr auf der Mühle besuchte. Sie sang das Lied:
»Warum lieb ich dich so, du strahlende Nacht?«
Seitdem ich sie kannte, hörte ich sie heute zum erstenmal singen. Sie hatte eine schöne, kräftige, volle Stimme, und solange sie sang, hatte ich das Gefühl, als ob ich eine reife, süße, duftende Melone verzehrte. Nun war sie zu Ende, man applaudierte ihr und sie lächelte sehr zufrieden, blätterte in den Noten und nestelte an ihrem Kleid wie ein Vogel, der sich endlich aus der Gefangenschaft befreit hat und in Freiheit sein Gefieder in Ordnung bringt. Ihre Haare waren hinter die Ohren gekämmt, und ihr Gesicht hatte einen unangenehmen Ausdruck, wie wenn sie alle herausforderte oder uns wie die Pferde anschreien wollte: »He, ihr lieben!«
In diesem Augenblick sah sie wohl ihrem Großvater, dem Kutscher sehr ähnlich.
»Auch du bist hier?« fragte sie, mir die Hand reichend. »Hast du gehört, wie ich sang? Wie findest du es?« Ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Es ist sehr gut, daß du hergekommen bist. Heute nacht reise ich für kurze Zeit nach Petersburg. Willst du es mir erlauben?«
Um Mitternacht begleitete ich sie zum Bahnhof. Sie umarmte mich zärtlich, wohl aus Dank dafür, weil ich keine überflüssigen Fragen stellte, und versprach mir zu schreiben. Ich aber drückte und küßte lange ihre Hände, sagte kein Wort und hielt mit Mühe meine Tränen zurück.
Und als sie fort war, blickte ich lange den Lichtern des Zuges nach, liebkoste sie in Gedanken und wiederholte leise vor mich hin:
»Meine liebe Mascha, meine herrliche Mascha ...«
Ich übernachtete in der Vorstadt Makaricha bei der Karpowna, und überzog schon am nächsten Morgen mit Rettich die Möbel bei einem reichen Kaufmann, der seine Tochter mit einem Doktor verheiratete.
XVII
Am Sonntag Nachmittag kam meine Schwester zu mir und trank mit mir Tee.
»Jetzt lese ich sehr viel,« sagte sie, auf die Bücher zeigend, die sie sich auf dem Wege zu mir aus der Stadibibliothek geholt hatte. »Ich bin deiner Frau und Wladimir dankbar, sie haben in mir die Selbsterkenntnis geweckt. Sie haben mich gerettet und es erreicht, daß ich mich als Mensch fühle. Früher konnte ich nachts keinen Schlaf finden, weil mein Kopf voller Sorgen war: ›Ach, wir haben in dieser Woche so viel Zucker verbraucht! Ach, daß die Gurken nur nicht zu salzig werden!‹ Auch jetzt schlafe ich schlecht, aber es sind schon ganz andere Gedanken. Ich ärgere mich, daß ich die Hälfte meines Lebens so dumm, so kleinmütig vertrödelt habe. Ich verachte meine Vergangenheit, ich schäme mich ihrer, den Vater sehe ich aber als meinen Feind an. Oh, wie dankbar bin ich doch deiner Frau! Und Wladimir, was ist das für ein prächtiger Mensch! Sie haben mir die Augen geöffnet.«
»Es ist nicht gut, daß du nachts nicht schläfst,« sagte ich.
»Du glaubst wohl, ich bin krank? Keine Spur! Wladimir hat mich untersucht und gefunden, daß ich vollkommen gesund hin. Es handelt sich aber nicht um die Gesundheit, die ist nicht so wichtig ... Sage mir nur: bin ich im Recht?«
Sie, brauchte moralische Unterstützung, – das war mir klar. Mascha war verreist, Doktor Blagowo befand sich in Petersburg, und sie hatte in der ganzen Stadt niemand außer mir, der ihr sagen könnte, daß sie im Recht sei. Sie blickte mir gespannt ins Gesicht, als wollte sie meine geheimen Gedanken lesen, und wenn ich in ihrer Gegenwart nachdenklich war und schwieg, bezog sie es auf sich und wurde traurig. Ich mußte immer auf der Hut sein, und wenn sie mich fragte, ob sie recht hätte, beeilte ich mich, ihr zu sagen, daß sie im Rechte sei und daß ich sie aufrichtig achte.
»Weißt du, man hat mir bei den Aschogins eine Rolle gegeben,« fuhr sie fort. »Ich will auf der Bühne spielen. Ich will leben, mit einem Wort, ich will auch einmal aus vollem Kelche trinken. Ich habe gar kein Talent, und die Rolle besteht nur aus zehn Worten, und doch ist es unermeßlich erhabener und edler, als fünfmal am Tage Tee einzuschenken und aufzupassen, ob die Köchin nicht ein Stück zu viel gegessen hat. Vor allen Dingen soll aber der Vater endlich sehen, daß auch ich zu einem Protest fähig bin.«
Nach dem Tee legte sie sich auf mein Bett und lag eine Zeitlang mit geschlossenen Augen. Sie war sehr blaß.
»Diese Schwäche!« sagte sie, als sie nach einer Weile wieder aufstand. »Wladimir behauptet, daß alle Frauen und Mädchen in der Stadt vor lauter Müßiggang blutarm sind. Wie klug ist doch Wladimir! Er hat recht, er hat tausendmal recht. Man muß arbeiten!«
Nach zwei Tagen kam sie mit ihrer Rolle zu den Aschogins zur Probe. Sie trug ein schwarzes Kleid, eine Korallenkette um den Hals, eine Brosche, die aus der Ferne wie ein Blätterteigkuchen aussah, und große Ohrringe mit je einem Brillanten. Als ich sie ansah, mußte ich mich genieren, ihre Geschmacklosigkeit machte mich bestürzt. Die Brillantohrringe waren so unpassend; auch die anderen bemerkten, wie sonderbar sie gekleidet war; ich sah die Leute lächeln und hörte sogar jemand sagen:
»Die ägyptische Kleopatra!«
Sie bemühte sich, ungezwungen, ruhig und mondän zu erscheinen und erschien darum manieriert und sehr sonderbar. Ihre frühere Einfachheit und Anmut hatten sie verlassen.
»Als ich eben dem Vater erklärte, daß ich zur Probe gehe,« sagte sie, auf mich zugehend, »schrie er mich an und erklärte, daß er mir seinen Segen entziehe; beinahe hätte er mich geschlagen. Denke dir nur, ich kann meine Rolle nicht,« sagte sie, in ihr Heft blickend. »Ich werde mich ganz bestimmt blamieren. Die Würfel sind gefallen,« fuhr sie in höchster Erregung fort. »Die Würfel sind gefallen....«
Sie glaubte, daß alle auf sie sehen und über den bedeutungsvollen Schritt, zu dem sie sich entschlossen hatte, staunen; sie glaubte, daß alle von ihr etwas Ungewöhnliches erwarteten, und es war mir ganz unmöglich, sie davon zu überzeugen, daß niemand sich um solche kleine und uninteressante Menschen, wie wir beide, kümmerte.
Bis zum dritten Akt hatte sie nichts zu tun, und ihre Rolle einer Provinztante bestand nur darin, daß sie vor der Tür horchen und dann einen kurzen Monolog zu sprechen hatte. Bis die Reihe an sie kam, also mindestens anderthalb Stunden, während die andern Darsteller auf der Bühne herumgingen, lasen, Tee tranken und stritten, wich sie nicht von meiner Seite, murmelte in einem fort ihre Rolle und zerknüllte nervös ihr Heft. In der Meinung, daß alle sie ansähen und auf ihr Auftreten warteten, nestelte sie mit zitternder Hand an ihren Haaren und sagte zu mir:
»Ich werde mich ganz bestimmt blamieren ... Wenn du nur wüßtest, wie schwer es mir ums Herz ist. Ich habe solche Angst, als ob man mich gleich zum Schafott führen würde.«
Endlich kam sie an die Reihe.
»Kleopatra Alexejewna, jetzt!« sagte der Regisseur.
Unschön und linkisch trat sie auf die Mitte der Bühne mit dem Ausdruck von Entsetzen im Gesicht und stand eine halbe Minute unbeweglich wie im Starrkrampfe da; nur die beiden großen Ohrringe bewegten sich.
»Das erstemal können Sie die Rolle auch ablesen.« sagte jemand.
Es war mir klar, daß sie vor Angst weder sprechen, noch das Heft aufmachen konnte; ich sah, daß sie am wenigsten an ihre Rolle dachte. Ich wollte schon auf sie zugehen und ihr etwas sagen, als sie plötzlich mitten auf der Bühne niederkniete und laut schluchzte.
Alles kam in Bewegung, alle lärmten, nur ich allein stand an die Kulisse gelehnt, von dem Vorgefallenen erdrückt, und wußte nicht, was anzufangen. Ich