Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
ich wollte mich nicht mehr bewegen, wollte nicht denken. Ich gab meine Absicht auf und kehrte um.
Mitten auf dem Hofe stand der Ingenieur in einem Ledermantel mit Kapuze und sprach sehr laut:
»Wo sind die Möbel? Es waren wunderbare Möbel im Empirestil, es waren Bilder, Vasen, und jetzt ist alles leer! Ich habe doch das Gut mit den Möbeln gekauft, daß sie der Teufel!«
Neben ihm stand, die Mütze in der Hand, Moïssej, der Arbeiter der Generalin, ein etwa fünfundzwanzigjähriger Bursche, mager und pockennarbig, mit kleinen frechen Augen. Eine seiner Wangen war kleiner als die andere, als ob er sie sich im Schlafe eingedrückt hätte.
»Euer Hochwohlgeboren haben das Gut ohne die Möbel zu kaufen geruht,« sagte er kleinlaut. »Ich erinnere mich.«
»Halt's Maul!« schrie ihn der Ingenieur an. Er wurde blaurot und zitterte, und das Echo im Garten wiederholte sein Geschrei.
XII
Wenn ich im Garten oder im Hofe etwas machte, stand dieser Moïssej immer, die Hände im Rücken, dabei und starrte mich mit seinen frechen, kleinen Augen an. Das ärgerte mich dermaßen, daß ich dann die Arbeit aufgab und fortging.
Von Stepan hatten wir erfahren, daß Moïssej der Geliebte der Generalin war. Ich merkte, daß die Leute, die zu ihr in Geldsachen kamen, sich immer zuerst an Moïssej wandten, und einmal sah ich, wie ein schwarzer Bauer, wohl ein Köhler, sich vor ihm bis zur Erde verneigte; zuweilen tuschelte er mit den Leuten und gab das Geld aus eigener Tasche, ohne es erst der Gnädigen zu melden, woraus ich schloß, daß er bei Gelegenheit auch auf eigene Rechnung operierte.
Er schoß in unserm Garten mit dem Gewehr, stahl aus unserm Keller Lebensmittel und benutzte oft, ohne uns zu fragen, unsere Pferde. Wir empörten uns darüber und glaubten nicht mehr, daß Dubetschnja wirklich unser Eigentum sei. Mascha wurde oft ganz blaß und sagte:
»Werden wir denn mit diesen Ungeheuern noch ganze anderthalb Jahre leben müssen?«
Der Sohn der Generalin, Iwan Tscheprakow, war als Schaffner an unserer Eisenbahn angestellt. Während des Winters war er sehr mager und schwach geworden, so daß er schon von einem einzigen Glas Schnaps betrunken wurde und es ihn im Schatten fror. Die Schaffneruniform trug er mit Widerwillen und schämte sich ihrer, aber seine Stellung hielt er für recht einträglich, da er die Möglichkeit hatte, Kerzen zu stehlen und zu verkaufen. Meine neue Lage erregte in ihm ein gemischtes Gefühl von Erstaunen, Neid und einer vagen Hoffnung, daß es auch ihm ähnlich gehen könnte. Er blickte Mascha mit entzückten Augen nach, und erkundigte sich bei mir, was ich jetzt zu Mittag esse; sein mageres, unschönes Gesicht nahm dabei einen traurigen und süßlichen Ausdruck an, und er bewegte die Finger, als betastete er mein Glück.
»Hör' einmal, kleiner Nutzen,« sagte er mir unruhig, seine Zigarette jeden Augenblick von neuem anzündend; wo er stand, war der Boden immer mit abgebrannten Zündhölzern besät, von denen er für jede Zigarette Dutzende verbrauchte. »Hör' einmal, ich lebe jetzt ein gemeines Leben. Jeder Fähnrich kann mich anschreien: ›Du, Schaffner!‹ Ich habe auf der Fahrt alle möglichen Dinge gehört und weiß es jetzt: das Leben ist gemein! Meine Mutter hat mich zugrunde gerichtet. Ein Arzt hat mir einmal unterwegs gesagt: wenn die Eltern ausschweifend sind, so werden die Kinder Säufer oder Verbrecher. Ja, so ist es!«
Einmal kam er schwankend auf den Hof. Seine Augen blickten blöde, sein Atem ging schwer; er lachte, weinte und sprach wie im Fieber, und von seiner wirren Rede verstand ich nur die Worte: »Meine Mutter! Wo ist meine Mutter?« Er weinte dabei wie ein kleines Kind, das im Gedränge seine Mutter verloren hat. Ich führte ihn in unseren Garten, ließ ihn sich dort unter einem Baum niederlegen, und Mascha und ich saßen dann den ganzen Tag und die ganze Nacht abwechselnd bei ihm. Es war ihm sehr unwohl, und Mascha blickte ihm angeekelt ins blasse, feuchte Gesicht und sagte:
»Werden denn diese Ungeheuer auf unserem Hofe noch ganze anderthalb Jahre wohnen? Das ist ja entsetzlich, entsetzlich!«
Wieviel Kummer bereiteten uns aber die Bauern! Wieviel schwere Enttäuschungen erlebten wir schon in den ersten Frühlingsmonaten, wo wir so glücklich sein wollten! Meine Frau baute eine Schule. Ich entwarf den Plan zu einer Schule für sechzig Knaben, und das Landamt bestätigte ihn, empfahl aber, die Schule im Kirchdorf Kurilowka zu bauen, das nur drei Werst von uns entfernt lag; die dortige Schule, in der die Kinder aus vier Dörfern, darunter auch aus unserem Dubetschnja, unterrichtet wurden, war zudem alt und eng, und der durchfaulte Fußboden war einfach lebensgefährlich. Ende März wurde Mascha auf ihren Wunsch zur Protektorin der Schule von Kurilowka ernannt, und Anfang April versammelten wir die Bauern dreimal zu einer Beratung und suchten sie zu überzeugen, daß die alte Schule eng und alt sei und daß man eine neue bauen müsse. Auch ein Vertreter des Landamtes und der Kreisschulinspektor kamen gefahren und wollten sie auch davon überzeugen. Die Bauern umringten uns nach jeder Versammlung und bettelten um einen Eimer Schnaps. Es war uns heiß im Gedränge, wir ermüdeten schnell und kehrten unzufrieden und verwirrt nach Hause zurück. Endlich gaben die Bauern den Platz für die Schule her und verpflichteten sich, das Baumaterial aus der Stadt mit ihren Pferden herbeizuschaffen. Sobald sie mit der Sommersaat fertig waren, gingen am ersten Sonntag aus Kurilowka und Dubetschnja Fuhren in die Stadt, um Ziegelsteine für das Fundament zu bringen. Sie fuhren beim ersten Morgengrauen fort und kamen spät abends zurück; die Bauern waren alle betrunken und sagten, sie hätten sich müde gehetzt.
Wie zum Trotz hielten die Regengüsse und die Kälte den ganzen Mai an. Die Wege wurden unfahrbar. Die aus der Stadt zurückkommenden Fuhren kehrten meistens auf unserem Hofe ein, und das war entsetzlich! Im Tore zeigt sich ein dickbäuchiges Pferd mit gespreizten Vorderbeinen; bevor es in den Hof einfährt, verbeugt es sich; dann kommt ein nasser, glitschiger Balken von zwölf Ellen Länge herein; neben ihm schreitet, ohne auf die Pfützen zu achten, ein Bauer, den Mantelschoß in den Gürtel gesteckt. Dann zeigt sich eine zweite Fuhre mit Brettern, dann eine dritte wieder mit Balken, eine vierte ... und der Platz vor unserem Hause füllt sich allmählich mit Pferden, Balken und Brettern. Die Bauern und ihre Weiber mit umwickelten Köpfen und aufgesteckten Röcken schauen mit Haß auf unsere Fenster, lärmen, schreien und verlangen, daß die Gnädige zu ihnen herauskomme; auch grobe Schimpfworte fallen ab und zu. Abseits steht aber Moïssej und scheint sich an unserer Schande zu ergötzen.
»Wir werden nicht mehr fahren!« schreien die Bauern: »Wir haben uns zu Tode gequält! Sie soll doch einmal selbst fahren!«
Mascha ist ganz blaß und bestürzt, und da sie glaubt, sie würden jeden Augenblick das Haus überfallen, schickt sie ihnen Geld für einen halben Eimer hinaus; es wird still, und die langen Balken verschwinden einer nach dem anderen wieder.
Als ich zum Bau wollte, wurde meine Frau unruhig und sagte: »Die Bauern sind erbost. Daß sie dir nur nichts tun. Nein, wart, ich komme mit.«
Wir fuhren zusammen nach Kurilowka, und die Zimmerleute bettelten um Trinkgeld. Das Balkengehäuse war schon fertig, es war Zeit, das Fundament zu legen, aber die Maurer kamen nicht, die Arbeit stockte, und die Zimmerleute schimpften. Und als endlich die Maurer kamen, zeigte es sich, daß kein Sand da war: man hatte ganz vergessen, daß zum Bau auch Sand gehört. Die Bauern machten sich die schwierige Lage zunutze und verlangten dreißig Kopeken für die Fuhre, obwohl vom Bau bis zum Fluß, von wo sie Sand holten, kein viertel Werst war und mehr als fünfhundert Fuhren gebraucht wurden. Alle die Mißverständnisse, Streitigkeiten und Betteleien wollten kein Ende nehmen, meine Frau empört sich, und der Maurermeister Tit Petrow, ein siebzigjähriger Greis, nahm sie bei der Hand und sagte:
»Schau nur her! Schau nur her! Bring du mir nur Sand, dann stelle ich gleich zehn Arbeiter hin, und in zwei Tagen ist alles fertig! Schau nur her!«
Endlich brachte man den Sand, es vergingen zwei, und vier, und acht Tage, aber an Stelle des Fundaments gähnte noch immer ein Loch.
»So kann man wirklich verrückt werden!« regte sich meine Frau auf. »Was ist das für ein Volk! Was ist das für ein Volk!«
Während