Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
Trauung ansah, begriff ich, daß es für sie auf der Welt nichts Höheres gab als die Liebe, die irdische Liebe, und daß sie heimlich, scheu, doch unaufhörlich und leidenschaftlich von ihr träumte. Sie umarmte und küßte Mascha, sie wußte gar nicht, wie ihrem Entzücken Ausdruck zu geben, und sagte immer wieder von mir:
»Er ist gut! Er ist so gut!«
Vor ihrer Abfahrt zog sie sich um und führte mich in den Garten, um mit mir unter vier Augen zu sprechen.
»Der Vater ist sehr betrübt, daß du ihm nichts geschrieben hast,« sagte sie. »Du hättest ihn um seinen Segen bitten sollen. Aber im Grunde genommen, ist er sehr zufrieden. Er sagt, daß diese Heirat dich in den Augen der ganzen Gesellschaft heben wird und daß du unter dem Einflusse Maria Viktorownas lernen wirft, das Leben ernsthafter zu betrachten. Abends sprechen wir jetzt oft von dir, und gestern sagte er sogar: ›Unser Missail ‹. Das freute mich sehr. Anscheinend hat er irgend etwas vor, und ich glaube, daß er dir ein Beispiel von Großmut geben und den ersten Schritt zur Versöhnung machen will. Es ist sehr möglich, daß er dieser Tage zu euch herauskommt.«
Sie bekreuzigte mich einige Male und sagte:
»Nun, Gott mit dir, sei glücklich. Anjuta Blagowo ist ein kluges Mädchen, und sie meinte anläßlich deiner Heirat, daß Gott dir eine neue Prüfung geschickt hat. Gewiß. Im Eheleben gibt es natürlich nicht nur Freuden, es gibt auch Leiden. Ohne Leiden geht es eben nicht.«
Mascha und ich begleiteten sie drei Werst zu Fuß; dann gingen wir langsam und schweigend, gleichsam ausruhend zurück. Mascha hielt mich bei der Hand, mir war es so leicht ums Herz, und ich hatte nicht mehr das Bedürfnis, von der Liebe zu sprechen; nach der Trauung fühlten wir uns noch enger aneinander gebunden und glaubten, daß nichts in der Welt uns trennen könnte.
»Deine Schwester ist ein sympathisches Mädchen,« sagte Mascha, »aber sie macht den Eindruck, als hätte man sie lange gequält. Dein Vater ist wohl ein schrecklicher Mensch.«
Ich begann ihr zu erzählen, wie man mich und meine Schwester erzogen hatte und wie qualvoll unsere Kindheit gewesen war. Als sie hörte, daß mein Vater mich vor nicht langer Zeit zu schlagen pflegte, fuhr sie zusammen und schmiegte sich an mich.
»Sprich nicht mehr davon,« sagte sie. »Es ist so entsetzlich.«
Jetzt verließ sie mich nicht mehr. Wir bewohnten im großen Hause drei Zimmer und sperrten jeden Abend die Türe, die zu dem leeren Teile des Hauses führte, fest ab, als ob dort jemand wohnte, den wir nicht kannten aber fürchteten. Ich stand jeden Morgen mit der Sonne auf und machte mich sofort an irgendeine Arbeit. Ich reparierte die Wagen, legte im Garten Wege und Beete an und strich das Dach auf dem Hause. Als die Zeit der Hafersaat kam, versuchte ich zu ackern, zu eggen, zu säen und machte alles gewissenhaft, ohne hinter dem Knecht zurückzubleiben; ich überanstrengte mich, vom Regen und vom schneidenden kalten Wind schmerzten mir Gesicht und Füße, und in der Nacht träumte ich vom geackerten Feld. Die Feldarbeit aber reizte mich wenig. Ich verstand nichts von der Landwirtschaft und liebte sie nicht; vielleicht aus dem Grunde, weil meine Ahnen keine Ackerbauer gewesen waren und in meinen Adern reines Städterblut floß. Für die Natur hatte ich eine zärtliche Liebe, ich liebte die Felder, die Wiesen und die Gärten, aber der Bauer, der mit dem Pfluge die Erde umwendet, sein unglückliches Pferd antreibt, der zerlumpte, schweißtriefende Bauer mit dem gereckten Hals war für mich immer der Ausdruck einer rohen, wilden, häßlichen Kraft, und wenn ich seinen plumpen Bewegungen zusah, mußte ich jedesmal an die längst vergangenen, legendären Zeiten denken, als die Menschen noch nicht den Gebrauch des Feuers kannten. Der mürrische Stier, der mit der Herde mitging, die Pferde, die, mit den Hufen schlagend, durch das Dorf rannten, machten mir Angst, und alles, was irgendwie groß, stark und böse war, der Schafbock mit seinen Hörnern, der Gänserich oder der Kettenhund erschienen mir als der Ausdruck der gleichen rohen, wilden Kraft. Dieses Vorurteil war in mir bei schlechtem Wetter ganz besonders stark, wenn über dem schwarzen Acker schwere Wolken hingen. Wenn ich aber pflügte oder säte, und zwei oder drei Menschen dabeistanden und zusahen, wie ich es machte, hatte ich nicht die Ueberzeugung, daß diese Arbeit unvermeidlich und obligatorisch sei, und sie erschien mir als ein Spiel. Darum zog ich es vor, irgend etwas im Hofe zu machen, und nichts gefiel mir so sehr, als das Dach anzustreichen.
Durch den Garten und den Heuschlag ging ich nach unserer Mühle. Ein Bauer aus Kurilowka, namens Stepan, hatte sie in Pacht. Es war ein hübscher sonnenverbrannter Kerl von athletischem Aussehen mit dichtem schwarzem Bart. Die Müllerarbeit liebte er nicht und hielt sie für langweilig und wenig einträglich; auf der Mühle wohnte er aber, nur um nicht zu Hause zu wohnen. Er war Sattler und roch stets angenehm nach Pech und Leder. Er unterhielt sich nicht gern, war träge und unbeweglich und sang immerzu, am Ufer oder an der Schwelle sitzend. Manchmal kamen seine Frau und seine Schwiegermutter aus Kurilowka zu ihm herüber; beide hatten weiße Gesichter und waren sanft und zärtlich; sie verbeugten sich vor ihm und titulierten ihn mit »Sie« und »Stepan Petrowitsch«. Er aber erwiderte ihre Verbeugung weder mit einem Wort noch mit einer Bewegung, sondern setzte sich abseits ans Ufer und sang weiter. Eine ganze Stunde, oder auch zwei Stunden vergingen im Schweigen. Die Schwiegermutter und die Frau tuschelten erst leise miteinander, standen auf, blickten ihn einige Zeit an, und warteten, ob er sich nicht umsehen würde; dann verneigten sie sich tief und sagten mit süßen singenden Stimmen:
»Leben Sie wohl, Stepan Petrowitsch!«
Und sie gingen heim. Wenn sie fort waren, hob Stepan das Bündel mit den Brezeln über dem Hemd, das sie zurückgelassen hatten, auf und sagte, mit den Augen in die Richtung weisend, in der sie gegangen waren:
»Ja, die Frauenzimmer!«
Die Mühle hatte zwei Gänge und arbeitete Tag und Nacht. Ich half Stepan bei seiner Arbeit, die mir gut gefiel, und wenn er mal fort ginq, blieb ich gerne an seiner Statt auf der Mühle.
XI
Nach dem warmen, heiteren Wetter kam eine trübe, naßkalte Zeit, und die Wege wurden unpassierbar; den ganzen Mai hindurch war es kalt und regnete. Das Klappern der Mühle und das Rauschen des Regens stimmten zum Nichtstun und Schlafen. Der Fußboden zitterte, es roch nach Mehl und auch das schläferte ein. Meine Frau kam in einem kurzen Schafspelz, in hohen Männergaloschen zweimal am Tage auf die Mühle und sagte immer dasselbe:
»Und das nennt sich Sommer! Das ist ja schlimmer als im Oktober!«
Wir tranken zusammen Tee, kochten Brei, oder saßen stundenlang schweigend da und warteten, ob der Regen nicht aufhören würde. Einmal, als Stepan auf einen Jahrmarkt gegangen war, blieb Mascha die Nacht über auf der Mühle. Als wir aufstanden, konnten wir unmöglich feststellen, wie spät es war, denn die Regenwolken verdunkelten den ganzen Himmel; wir hörten nur die schläfrigen Hähne in Dubetschnja krähen und die Wachteln auf der Wiese schnarren; es war noch sehr früh ... Wir gingen zum Teich und zogen das Netz heraus, das Stepan am Abend in unserem Beisein aufgestellt hatte. Darin zappelten ein großer Barsch und ein Krebs.
»Laß sie heraus,« sagte Mascha. »Sollen sie auch glücklich sein.«
Weil wir sehr früh aufgestanden waren und nachher nichts getan hatten, kam mir dieser Tag sehr lang vor, wohl als der längste meines Lebens. Gegen Abend kehrte Stepan zurück, und ich ging nach Hause.
»Heute war dein Vater hier,« sagte mir Mascha.
»Wo ist er denn?« fragte ich.
»Er ist wieder fort, ich habe ihn nicht empfangen.«
Da sie sah, daß ich schweigend stehenblieb und daß mir mein Vater leid tat, sagte sie:
»Man muß konsequent sein. Ich habe ihn nicht empfangen und ihm sagen lassen, daß er sich nicht mehr herbemühen möchte.«
Nach einer Minute war ich schon draußen auf dem Wege zur Stadt, um mich mit meinem Vater auszusprechen. Es war schmutzig, naß und kalt. Zum erstenmal nach meiner Hochzeit war mir traurig zumute, und durch mein Gehirn, das von diesem langen, grauen Tage