Quer durch Afrika. Gerhard Rohlfs
der Dattelpalmen in den vier Orten zusammen dürfte sich auf ungefähr dreihunderttausend Stück belaufen. Was die sonstige Produktion betrifft, so unterscheidet sich die Oase Derdj nicht von den anderen Oasen der Hammada. Sie hat – außer dem Zehnten von allen Früchten – 1182 Mahbub an Abgaben zu entrichten.
Mein Unwohlsein steigerte sich in bedenklicher Weise. Der Mudir des Ortes riet mir, Lakbi dagegen zu nehmen, und ich nahm in der Tat einen Topf voll dieses abscheulichen Getränks zu mir. Anfangs verschlimmerte sich die Diarrhö danach, aber gegen Abend des zweiten Tags spürte ich Besserung, sodass ich mich imstande fühlte, den kurzen Marsch nach Rhadames zurückzulegen, wo ich auf bessere Verpflegung und längere Ruhe hoffen durfte. Da meine Kameltreiber aus Misda dorthin zurückgekehrt waren, mietete ich in Matres andere, und nachdem ich noch, soweit ich es vermochte, alle Bettler in Derdj befriedigt hatte, brachen wir am 15. Juni morgens um halb acht Uhr auf.
In Richtung 275 Grad längs dem Uadi Milha hinziehend, erreichten wir nach drei Stunden Matres und ›gielten‹ daselbst im Schatten einiger Palmen. Der kleine Ort hat nur circa hundert Einwohner, die sich hauptsächlich vom Vermieten ihrer Kamele ernähren, denn Palmen gibt es dort nicht viele, und die meisten davon sind Eigentum der Rhadameser.
Der Weg von hier nach Rhadames soll nicht allzu sicher sein. Mehrere Leute von Derdj, von Matres und einige vom Stamm der Uled Mahmud baten daher, sich mir anschließen zu dürfen, und da sie alle mit Flinten bewaffnet waren, sah ich diese Verstärkung meiner Karawane nicht ungern, obschon ich neue Angriffe auf meine Mundvorräte von ihnen gewärtigen musste, eine Voraussicht, die sich dann auch in vollem Maße bestätigte.
Um fünf Uhr nachmittags zogen wir in Richtung 265 Grad weiter. Ich hatte die Absicht, den Marsch bis Mitternacht fortzusetzen, um von der Kühle der Nacht zu profitieren. Aber kaum war eine halbe Stunde im langsamen und gleichmäßigen Kamelschritt zurückgelegt, als an der Spitze der Karawane sich ein großer Lärm erhob, in dem ich sofort das klagende Gebrüll eines Kamels unterschied. Ich ritt in der Regel am Ende des Zuges, um etwaige Unordnungen leichter wahrnehmen und abstellen, auch die Leute besser überwachen zu können. Schnell trieb ich mein Kamel an; die ganze Karawane machte inzwischen halt, und so ließ sich mit einem Blick das angerichtete Unglück überschauen. Mein Neger Cheir hatte aus Versehen mit seinem Stock dem Tier das rechte Auge aus dem Kopf geschlagen, das nun blutig am Boden lag. Bekanntlich haben die Kamele sehr stark hervortretende Augen. Während das verletzte Tier noch immer sein klägliches Gebrüll ausstieß, lärmte und tobte der Eigentümer desselben, ein Bewohner von Matres, und drohte sogar handgreiflich zu werden. Was war zu tun? Er sprach vom Kadhi, von Schadenersatz oder Umtausch gegen eines meiner Kamele, und ich selbst konnte ihm nicht unrecht geben, denn sein Kamel war ein junges und starkes Tier. Am liebsten hätte er es gesehen, wenn die ganze Karawane nach Derdj zurückgekehrt und der Fall dem dortigen Kadhi zur Entscheidung übergeben worden wäre. Darauf ging ich jedoch nicht ein, sondern sagte ihm, falls er die Sache vor den Richter bringen wolle, könne er dies in Rhadames ebenso gut tun. Indessen hoffte ich, bis dahin mich gütlich mit ihm zu einigen. Nachdem er noch eine kurze Strecke parlamentierend neben mir hergegangen war, erbot er sich schließlich, ein anderes Kamel aus Matres zu holen und mir dann zum Kadhi von Rhadames zu folgen. Er machte sich auf den Weg, und wir lagerten um sechs Uhr, um seine Rückkunft zu erwarten. Wirklich erschien er nach einigen Stunden wieder, aber statt eines Kamels seinen Bruder mitbringend. Auch dieser verlangte, dass ich mit ihnen umkehren oder wenigstens den Täter, meinen Neger Cheir, an den Kadhi von Derdj zur Aburteilung entsenden solle. Als sie aber sahen, dass ich fest auf dem Weitermarsch beharrte, schlugen sie zuletzt vor, ich möge selbst als Bei (sowohl in meinem Firman wie in dem Bu-Djeruldi war mir der Titel Bei verliehen) das Urteil in der Sache fällen – ein sehr schlauer Vorschlag, denn sie appellierten damit zugleich an meine Gerechtigkeit und an meine Großmut. Ich gestand ihnen denn auch, wie von Anfang an, bereitwilligst zu, dass sie Anspruch auf Schadenersatz hätten, gab ihnen aber zu bedenken, wie ungerechtfertigt ihre Forderung wäre, den vollen Wert des verletzten Tieres bezahlt zu erhalten, da ein Kamel doch kein Luxustier sei und der Verlust eines Auges seine Tragfähigkeit nicht beeinträchtige; selbst der fünfte Teil des Wertes würde daher ein noch viel zu hoher Ersatz sein. Sodann fragte ich sie, ob nach dortigem Gebrauch der Herr für jeden Schaden, den sein Diener angerichtet, unbedingt aufkommen müsse. »Cheir«, lautete die Antwort, »ist kein Diener, sondern dein Sklave.« Wäre dies richtig gewesen, so hätte ich allerdings die Verpflichtung gehabt, vollen Ersatz zu leisten, denn wie alles, was der Sklave verdient, nach mohammedanischem Recht seinem Herrn gehört, ist auch der Schaden, der durch einen Sklaven angerichtet wird, von seinem Herrn zu tragen. Ich schwor, dass Cheir nicht mein Sklave, sondern ein gemieteter Diener sei, und meine übrigen Diener beschworen dasselbe mit den kräftigsten Eiden. Der Mohammedaner liebt es bekanntlich, bei jeder Gelegenheit zu schwören, und erwartet auch von anderen die Beteuerung der geringfügigsten Aussage durch einen feierlichen Schwur. Dass von Cheir selbst, der seit Kurzem erst in meinen Diensten stand, folglich keine Schätze besaß, nichts zu erpressen war, leuchtete den beiden Brüdern ein. So fügten sie sich denn vorläufig in ihr Missgeschick, zumal sie keinen Augenblick zweifelten, die Medizin, Charpie mit Wachssalbe bestrichen, die ich dem armen Tier zur Linderung der Schmerzen in die leere Augenhöhle gedrückt, werde demselben ein neues Auge verschaffen, und als am anderen Morgen die Karawane aufbrach, waren wir vollkommen gute Freunde.
Für einen Hochzeitszug herausgeputztes Kamel
Endlich, am 17. Juni, sollte der letzte Tagesmarsch zurückgelegt werden. Um vier Uhr morgens verließen wir unseren Lagerplatz und erreichten, westlich vorrückend, um sechs Uhr den Fuß des relativ etwa fünfhundert Fuß hohen Berges Krab; nach zehn Minuten war die Höhe erstiegen, und ohne Aufenthalt ging es den weniger steilen westlichen Abhang hinunter. Westlich von Djebel Krab hört alle Vegetation auf; in der Umgebung von Rhadames ist kein Strauch, kein Halm mehr zu erblicken. Ich ließ um neun Uhr morgens ›gielen‹ und sandte meinen Burschen Hammed in Begleitung einiger anderer meiner Leute mit dem Bu-Djeruldi voraus. Kurz vor Sonnenuntergang langte die ganze Karawane vor Rhadames an.
Die Stadt hat an der Nordwestseite drei Tore. Beim ersten, glaubte ich, würde uns Hammed erwarten; er war aber nicht dort, auch beim zweiten und dritten trafen wir ihn nicht an. Wir kehrten daher zum ersten, dem Haupttor, zurück und hielten durch dieses unseren Einzug, gefolgt von einem Schwarm Kinder der Tuareg, welche außerhalb der westlichen Ringmauer der Stadt zu lagern pflegen. Auch eine Menge Rhadameser hatte sich mittlerweile dem Zug angeschlossen, doch schien die allgemeine Aufmerksamkeit weniger auf mich und mein Gefolge als auf meinen Hund Mursuk gerichtet zu sein. Wohl noch nie zuvor war den meisten Bewohnern von Rhadames ein Hund zu Gesicht gekommen, denn die Slugi (Windhunde), die die Tuareg mit sich führen, werden von den Rhadamesern nicht zum Hundegeschlecht gerechnet.
Es war bereits das zweite Mal, dass ich in Rhadames einzog; ein Jahr vorher hatte ich auf dem Weg von Rharb (Marokko), für einen frommen Mohammedaner geltend, die Stadt betreten. Im Vorüberziehen hörte ich, wie die einen behaupteten, ich sei Christ, wogegen andere schworen, ich sei Türke, und noch andere mir »Willkommen, Konsul!« zuriefen. Vor der Wohnung des Kaimakams, des türkischen Gouverneurs von Rhadames, ließ ich den Zug halten.
Ehe ich aber in der Erzählung meiner Reiseerlebnisse fortfahre, will ich versuchen, den Leser etwas näher mit dieser merkwürdigen Stadt bekannt zu machen.
DRITTES KAPITEL
Die Stadt Rhadames und ihre Bewohner
Fast überall, wo ein mächtiges Felsplateau mittels steiler Wände auf die Ebene drückt, springen, selbst in der Sahara, Quellen aus der Erde hervor, die den Boden bewässern und in der Wüste dann Oasen entstehen lassen. Einer solchen Quelle verdankt auch die Oase Rhadames ihre Entstehung.
Unzweifelhaft waren die Umgebungen dieser Quelle, die naturgemäß eine dichte Palmenvegetation erzeugte, schon in grauer Vorzeit von Ansiedlern bewohnt. Davon zeugen die zum Teil noch aufrecht stehenden Ruinen runder und viereckiger Türme aus roh bearbeitetem Stein, von den Eingeborenen »Esnamen« (die Götzenbilder) genannt. In jedem Turm befindet sich zur ebenen Erde eine meist gut erhaltene, oben spitz