Quer durch Afrika. Gerhard Rohlfs
und Propheten) anstimmend. Dazwischen wehklagten Abschied nehmende arabische Weiber oder stießen ein gellendes »Yu, Yu!« aus. Das letzte Gepäck wurde auf die Kamele verteilt und befestigt, der Zug vollends geordnet, und um halb acht Uhr bewegte er sich, das Mittelmeer im Rücken, gemessenen Schrittes landeinwärts.
ZWEITES KAPITEL
Von Tripolis nach Rhadames
Während am Tag zuvor ein starker Gebli (Südwind) die Temperatur schon zehn Uhr vormittags auf + 40 Grad Celsius gesteigert hatte, wehte jetzt ein angenehmes Meerlüftchen, das bald zum kräftigen Behari (Nordwind) heranwuchs. »Der Wind bläst günstig!«, konnte ich wie der den Hafen verlassende Schiffer ausrufen. Unter lebhaftem Plaudern erreichten wir den östlichen Saum des Palmenwaldes, den Anfang der Sanddünen. Man hat hier in nächster Nähe von Tripolis ein echtes afrikanisches Bild vor sich: schlanke immergrüne Palmen, Orangen- und Olivenbäume mit saftigem Blätterschmuck, unmittelbar daneben aber die öde Sanddüne, und alles überwölbt von einem trübblauen Himmel. In Nordafrika ist der Himmel beständig in graue Schleier gehüllt; der klare und tiefblaue Himmel des europäischen Südens zeigt sich erst wieder in der Region der Haufenwolken, d. h. in Zentralafrika während der Regenzeit.
Beim Bir (Brunnen) Bu-Meliana am Rand der Dünen machte der Zug halt. Während die Wasserschläuche gefüllt wurden, leerte ich mit den Herren aus der Stadt noch ein Glas Wein, dankte für ihre freundliche Begleitung und stieß auf ein glückliches Wiedersehen an. Dann bestieg ich mein Kamel; noch ein Händedruck, ein Gruß – und damit hatte ich für lange Zeit der Zivilisation Lebewohl gesagt.
Meine Karawane bestand außer mir aus sechs Leuten und ebenso vielen Kamelen. Nur ich und meine drei Diener waren bewaffnet, jeder von uns hatte immer eine Ladung für zwölf Schuss in Bereitschaft. Zuerst ging es in gerader südlicher Richtung hin; bergauf, bergab mussten sich unsere Tiere mühsam über und durch die weißen Sanddünen fortarbeiten. Nach einer Stunde kamen wir an den Bir Sbala, der wie der folgende, anderthalb Stunden davon entfernte Bir Huilet von einer kleinen krautreichen Einsenkung umfasst ist. Bei Letzterem fanden wir schon Araber mit einer weidenden Ziegenherde; der eigentliche Areg (die Sandzone) endet aber erst beim Bir Kicher, wo fruchtbares Ackerland beginnt. Hier teilt sich der Weg in zwei Arme. Man hatte uns gesagt, der westliche, der eine Richtung von 160 Grad hat, sei der nähere; wir verfolgten ihn und schlugen um halb vier Uhr nachmittags bei einem kleinen Duar (Zeltdorf) unser Lager auf. Da gab es nun noch viel zu ordnen und zu verbessern: Hier war eine Kiste zu schwer, dort ein Sack zu leicht; das Schuhzeug, d. h. die Sandalen der Leute, wurde neu und zweckmäßiger eingerichtet, kurz, die Zeit bis zur einbrechenden Nacht wurde zu allerhand Vorbereitungen für die Weiterreise benutzt.
Am anderen Morgen um sechs Uhr, nachdem ein zudringlicher Kerl, der sich für besonders heilig ausgab, mir seinen Segen, natürlich für Geld, erteilt hatte, zogen wir wieder ab, schlugen aber die südöstliche Richtung ein, da die Duar-Bewohner uns den östlichen Weg als den näheren bezeichneten.
Das Wetter war an diesem Tag ebenso günstig wie am vorhergehenden. Das Land fand ich zumeist gut angebaut, dennoch waren die Bewohner und ihre kleinen Zelte überaus ärmlich. Kaum kann man diese Behausungen noch Zelte nennen, und viele Familien besaßen nicht einmal solche, sondern noch elendere Hütten. Die Wirkung der das Volk aussaugenden türkischen Pascha-Wirtschaft macht sich eben auf Schritt und Tritt bemerkbar.
Südlich von uns und südöstlich zur Seite hatten wir jetzt das Gebirge. Um zwei Uhr erreichten wir die ersten Vorberge, deren östlicher, Djebel Batas, eine relative Höhe von fünfhundert Fuß haben mag. Wir begegneten hier einer Karawane, die mit Sklaven und Sklavinnen von Mursuk kam und mir von Neuem bewies, dass der Menschenhandel in den türkischen Provinzen noch immer nicht aufgehört hat, obwohl die Pforte den europäischen Mächten fortwährend das Gegenteil versichert. Ich werde später Gelegenheit nehmen, auf dieses Thema eingehend zurückzukommen; hier sei nur bemerkt, dass in Tripolis zu der Zeit – und es dürfte seitdem kaum anders geworden sein – gerade die Regierung selbst den Sklavenhandel in jeder Weise begünstigte.
Unser Marsch endete auch an diesem Tag schon um drei Uhr nachmittags. Die Treiber und Besitzer der Kamele, die ich zu meinen eigenen für die Reise gemietet hatte, weigerten sich nämlich weiterzugehen, und da ich selbst darauf bedacht sein musste, die Kräfte meiner Leute wie die der Kamele möglichst zu schonen, gab ich nicht ungern nach.
Am 22. Mai befanden wir uns bereits beim Ausmarsch zwischen den Vorbergen des Djebel Ghorian. Die Hitze hatte etwas zugenommen, belästigte uns jedoch wenig, weil wir jetzt in höhere Luftregionen eintraten. Wir kreuzten mehrere Male den Uadi Madjar und gelangten um neun Uhr an den Fuß des eigentlichen Gebirges. Die uns zugekehrte Seite seines Abhangs ist fast gar nicht bewachsen, aber die Formen der Berge bieten einen malerischen Anblick. Und während ihre Rücken meist kahl sind, strotzen die Schluchten und Täler vor herrlichstem Grün; Palmen-, Orangen-, Oliven- und Feigenwälder gewähren da eine erquickende Augenweide, umso erquickender, je monotoner die Ebene ist, die man eben durchzogen hat.
Aber wie hinaufkommen auf diese Bergwand? In der Tat hatten wir kein eigentliches Gebirge vor uns, sondern die zerklüftete Wand eines sehr hohen, ehedem wahrscheinlich die Grenze des nordafrikanischen Kontinents bildenden Ufers, das von Weitem allerdings täuschend wie eine zusammenhängende Gebirgskette aussieht. Wie wird es möglich sein, dachte ich, die Kamele da hinaufzutreiben! Aber es ging besser, als ich geglaubt hatte. Der Weg zieht sich in einer engen Schlucht aufwärts, und zwar mühsam, doch ohne erheblichen Unfall wurde er von unseren Kamelen zurückgelegt. Überhaupt ist dieser ganze Weg einer der schwierigsten, was örtliche Hindernisse anbetrifft, bedeutend gefährlicher als der über Sintan. Manchmal schauderte mich, wenn mein Kamel dicht an einem tiefen Abgrund hinschritt; aber die Kamele haben einen mindestens ebenso sicheren Gang wie die Maultiere, fast nie geschieht es, dass ein »Höcker« zu Fall kommt. Die Araber nennen ein Kamel auch schlechtweg »Daher«, d. h. Höcker oder Buckel. Allerdings ist beim Bergabreiten die äußerste Vorsicht nötig; denn sich selbst überlassen, geraten die Tiere ins Rennen und halten nicht eher im Lauf ein, als bis sie wieder ebenen Boden unter den Beinen haben. Und wer je auf einem bergab reitenden Kamel gesessen hat, der kennt das Gefährliche dieser Situation. Unerträglich sind die Stöße und Püffe, die der Reiter empfängt; er muss sich sobald wie möglich von seinem Sitz herabgleiten lassen, sonst riskiert er, an einen Stein oder in die Tiefe eines Abgrunds geschleudert zu werden. Auch die Ladung, durch die heftigen Bewegungen des Tieres aus dem Gleichgewicht gebracht, löst sich los und fällt stückweise hinten und von den Seiten herab. Am schlimmsten aber ist es, wenn die zusammengebundenen Kisten oder Säcke dem Tier auf den Hals rutschen. Dann wird es wütend, rennt mit verdoppelter Schnelligkeit und prallt entweder gegen einen Felsen oder bricht sich, da es auf die Hindernisse des Weges nicht achtet, die Beine. Beim Passieren steiler Abhänge hemmt, oder um mich eines Schiffsausdrucks zu bedienen, stoppt man daher den Lauf des Kamels, indem der Treiber, bisweilen auch zwei, den Schwanz des Tieres erfasst und mit aller Macht festhaltend sich von ihm nachschleifen lässt.
Nach einer Stunde hatten wir glücklich die Höhe erstiegen und gönnten uns und den Tieren im Schatten uralter Ölbäume eine kurze Rast. Dann folgten wir dem Bett eines in südlicher Richtung ziehenden Uadi bis dahin, wo es nach Osten umbog, während wir, immer unter Oliven- und Feigenbäumen, unseren Weg gegen Süden fortsetzten.
Um halb zwei Uhr hielten wir vor dem Kasr Ghorian, einer kleinen, mit hundert bis hundertzwanzig Mann besetzten Bergfestung, zugleich Residenz des Kaids von Ghorian. In einiger Entfernung von dem Ort ließ ich mein Zelt aufschlagen. Selbstverständlich kam bald eine Menge Neugieriger, Offiziere und Soldaten, heraus, um zu fragen, woher ich komme, wohin ich gehe, wer ich sei usw. Statt einer Antwort zeigte ich ihnen meinen Bu-Djeruldi, den mir vom Generalgouverneur von Tripolitanien in arabischer Sprache ausgestellten Schutz- und Empfehlungsbrief. Mit diesem sandte ich dann Hammed zum Pascha und ließ ihn um eine Wache für die Nacht ersuchen. Nicht lange, so erschien ein Offizier der Garnison, der mir die Meldung machte, der Pascha werde nicht nur eine Wache schicken, sondern mich auch mit Lebensmitteln für mich und meine Diener sowie mit Futter für die Kamele versehen; auch lasse er fragen, wann er mich besuchen dürfe. Wohl wissend, wie ungern Türken und Araber sich von ihrem Ruhesitz erheben, trug ich dem Offizier auf, für