Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
– durchfährt es sie, und dann steigt es siedend heiß in ihr empor.
»Du also bist der Lump«, wirft sie ihm verächtlich entgegen. »Bist du so erbärmlich, daß du dich an einer wehrlosen Kreatur vergreifen mußt?«
»Nimm dich bloß in acht, du Teufel«, preßt er zwischen den Zähnen hervor. »Es könnte abermals ein Stein geflogen kommen.«
Er kommt Schritt um Schritt näher. Er trägt eine Forke bei sich und es hat den Anschein, als wolle er damit Dina reizen.
Da hebt Viola die Peitsche.
»Weg da – oder ich schlage zu«, sagt sie wild entschlossen.
Und merkwürdig! Gebannt von Violas blitzenden Augen, tritt er zurück in den Wald. Er hat keine Lust, noch einmal mit ihrer Peitsche Bekanntschaft zu machen. Viola hört sein häßliches Lachen, das sich weiter und weiter entfemt.
Da wendet sie und reitet dem Herrenhaus zu. In ihr empört sich alles. Nicht dem Pferd galt sein gemeiner Streich, sondern ihr Er hat ihr nicht vergessen, daß sie ihn einmal geschlagen hat.
Sie ist gewiß nicht ängstlich, aber wenn sie an ihn denkt, läuft ihr doch em Schauer über den Rücken.
Ziemlich erschöpft kommt sie auf dem Hof an.
*
Ungefähr fünfzig Kilometer vom »Eichenwald« entfernt liegt in einem weitläufigen Park das Sanatorium Professor Gutbrocks.
Er ist nicht nur ein guter Chirurg, sondern auch ein ebenso bekannter Psychiater. Schon vielen Menschen hat er die Gesundheit zurückgegeben und sein Name ist dadurch berühmt geworden.
Nicht nur er ist außerordentlich tüchtig, auch die Ärzte, die ihm zur Seite stehen, und nicht zuletzt die Schwestern, die unermüdlich in schönster Opferbereitschaft ihren Dienst an den kranken Menschen tun.
Unter ihnen ist es besonders Magdalena, die einfach aus dem Sanatorium nicht wegzudenken ist. Die alten Schwestern wissen noch, unter welchen Umständen Magdalena in dieses Haus gekommen ist. Die jüngeren dagegen verehren Schwester Magdalena wegen ihres liebreichen Wesens und ihr Sanftmut.
Nie ist sie unwillig. Nie zeigt sie Verdruß. Immer gleichbleibend freundlich, ist sie für die anderen ein leuchtendes Vorbild.
Auch der Professor hat die guten Eigenschaften Magdalenas erkannt und so ist sie nach und nach zur Oberin aufgerückt. Wenn sie in ihrem schneeweißen Anzug, die gestärkte Haube auf dem dunklen Haar, unter der ein schmales Gesicht mit leuchtend braunen Augen sichtbar ist, daherkommt, erscheint sie selbst wie eine Madonna.
Magdalena verläßt nie das Sanatorium und über ihre Person spricht sie nie Ganz einfach, weil sie nicht weiß, wer sie ist.
Als Patientin wurde sie bei dem Professor eingeliefert und als mildtätige Schwester ist sie geblieben. Alle Versuche des Professors, ihr das Gedächtnis zurückzugeben, sind fehlgeschlagen. Als er einsehen mußte, daß er mit seiner Kunst nicht weiterkam, hat er es unterlassen. Trotzdem ist sie seine interessanteste Mitarbeitein.
Ihr anfänglich verängstigtes Wesen, von tiefen Depressionen heimgesucht, legte sich mit der Zeit, bis sie zu dem hilfreichen, freundlichen Menschen geworden ist, der keine Ansprüche an das Leben stellt, wohl aber an seine Leistungen.
Man hat sie Magdalena genannt und sie hat sich an diesen Namen gewöhnt. Mit der Zeit hat man sogar vergessen, daß sie ein Schattendasein lebt, fern von dem Kreis, dem sie angehört.
Mitunter versucht der Professor noch einen Durchbruch durch die Mauer, die sich über Magdalenas Vergangenheit gelegt hat. Wenn er aber den Eindruck gewinnt, daß er sie damit quält, unterläßt er es.
Manchmal, wie auch heute, da er sich durch einen Gang durch den Park erfrischen will, hat er Magdalena an seine Seite gerufen.
»Es wird Ihnen auch gut tun, Oberin«, hat er sie aufgefordert. Und sie ist gern in seiner Gesellschaft. Es geht viel Güte und Wärme von dem Professor aus, der ihr Vater sein könnte. Er schätzt sie nicht älter als etwas über vierzig Jahre.
Magdalena hat einen durchaus aufgeweckten Geist. Sie ist vielseitig interessiert und in ihrer Freizeit liest sie viel, wofür schon der Professor sorgt.
»Wissen Sie noch, Oberin«, beginnt der Professor das Gespräch, als sie zwischen Rosenrabatten und blühenden Büschen spazierengehen, »damals, als Sie zu uns kamen, war tiefster Winter.«
»Sie sagten es, Professor«, erwidert sie mit einer sanften, schwingenden Stimme. »Ich kann mich nicht erinnern.«
»Damals habe ich geglaubt, Sie hätten etwas zu verbergen.« Er lacht leise unterdrückt auf. »Heute empfinde ich es als Segen, daß Sie bei uns sind.«
»Ich tue nur meine Pflicht an den kranken Menschen«, weicht sie aus. Sie kann Lob nicht gut hören. Sie zieht sich dann sofort wie eine Schnecke in ihr Haus in sich selbst zurück.
»Haben Sie kein einziges Mal das Verlangen gehabt, unter die Menschen zu gehen?«
Sie sieht ihn verwirrt an und er hat wieder einmal Gelegenheit, die Klarheit dieser schönen Braunaugen zu bewundern. »Aber ich bin doch unter Menschen.«
»Aber unter kranken, Oberin. Sehen Sie doch die anderen Schwestern. Die nützen ihre Freizeit aus. Sie dagegen kennen nur das Sanatorium.«
»Was soll ich woanders anfangen? Ich kenne keinen«, sagt sie mit der ihr eigenen Sanftmut, ohne jede Bitterkeit. »Wollen Sie mir immer noch nicht glauben, daß ich mich über alle Maßen hier wohl fühle?«
»Das glaube ich schon.« Er wirft ihr einen kurzen Seitenblick zu. Ihr Antlitz ist ruhig und freundlich wie immer. »Sie sind noch verhältnismäßig jung, Oberin. Sie könnten einen Mann finden, heiraten und Kinder zur Welt bringen.«
Jetzt lacht sie leise auf. »Aber Herr Professor, es sind doch alles meine Kinder, die ich zu betreuen habe. Kann ein Mensch noch glücklicher sein?«
»AIso sind Sie es wirklich?« bohrt er weiter.
Sie wird nachdenklich. Mit der Hand fährt sie sich über die Stirn. »Ich weiß nicht, Herr Professor, manchmal ist mir, als hätte ich alles hinter mir, als sei ich uralt.«
»Vielleicht waren Sie auch verheiratet? Vielleicht hatten Sie auch Kinder?«
»Ich weiß es nicht«, kommt es hilflos von ihren Lippen, und sie läßt entmutigt die Hand sinken. »Ich möchte auch nicht mehr darüber nachgrübeln.«
»Also versuchen Sie doch, manchmal den Schleier zu zerreißen?«
»Ja – aber ich habe Angst«, flüstert sie leise. »Und doch weiß ich nicht, wovor ich mich ängstigen sollte.«
Der Professor legt ihr die Hand auf die Schulter.
»Schade, Oberin, ich hätte Sie so gern dem Leben wiedergegeben. Schon zu wissen, es gibt Menschen in der Welt, die zu einem gehören, ist doch beglückend.«
»Hier bin ich glücklich, Herr Professor, unter meinen Kranken und den Genesenden. Das ist meine Pflicht.«
Er hängt ihren Worten nach, während er seine Schritte dem Sanatorium zulenkt. Sie ist glücklich? Kann das jeder Mensch von sich behaupten? Er hat so viel Elend, Kummer und Schmerz in seinem langen Leben gesehen, daß er tatsächlich nicht recht zu sagen wüßte, was Glück eigentlich bedeutet. Für ihn als Arzt ist es zunächst doch die Gesundheit, die er so vielen Bedürftigen zurückgegeben hat. Und da war er restlos glücklich. Warum soll Magdalena es nicht auch sein?
Es soll das letzte Mal gewesen sein, daß er auf ihre Vergangenheit anspielt. Er möchte sie um alles in der Welt nicht in Verwirrung stürzen.
Im Hause trennen sie sich. Magdalena kehrt zu ihren täglichen Pflichten zurück und der Professor zieht sich in sein Arbeitszimmer zurück, um seiner Sekretärin Krankenberichte zu diktieren.
*
Alles Personal macht einen großen Bogen um Feodora Kempen, die von Zimmer zu Zimmer geht. Es liegt etwas