Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
mit den Menschen zu sein, denen gegenüber Sie im Augenblick noch große Hemmungen haben.«
»Ja, so mag es sein«, flüstert sie leise und nachdenklich, um dann heftig hinzuzusetzen: »Aber ich bin arm und weiß nicht einmal, wer meine Eltern sind.«
»Arm – arm«, sagt er verächtlich. »Was bedeutet allein schon Geld? Eine gewisse Beruhigung und Unabhängigkeit von den anderen, aber es macht noch keinen Menschen aus, noch keinen Charakter. Diese Dinge kann man sich nicht mit Geld erkaufen. Entweder man ist ein Mensch mit Herz und Gefühl, dann hat man gleichzeitig Charakter. Mit Geld, liebes Kind, hat das meistens sehr wenig zu tun.«
Sie sieht ihn mit großen glänzenden Augen an. Eine Welle der Wärme strömt zu ihrem Herzen.
»Wenn ich Sie so sprechen höre, dann kommt es mir vor, als habe ich mir das selbst schon oft gesagt.« Sie seufzt tief auf. »Alle Menschen denken aber nicht so, das habe ich zu spüren bekommen. Hier im Hause ist es das Personal, das sich mir gegenüber feindlich verhält, und die gnädige Frau. Kennen Sie übrigens Feodora Kempen?«
Sie betrachtet ihn forschend. Wird sein Gesicht hart – oder täuscht sie sich?
»Ich kenne sie nicht«, antwortet er gleichmütig. Er erhebt sich. »Sie müssen schlafen, Viola, und ich muß zu meinen Pferden zurück.« Er nimmt ihre Hand auf und drückt sie herzlich. »Versuchen Sie, in mir einen ehrlichen, väterlichen Freund zu sehen, Viola.«
»O ja, das werde ich«, versichert sie leidenschaftlich. »Noch nie hat jemand so mit mir gesprochen. Ich mag Sie sehr gut leiden.« Dies bemerkt sie mit einem verschämten Lächeln.
Er erwidert dieses Lächeln und wiederholt: »Also morgen nachmittag. Ich hole Sie von hier ab.«
Lange liegt Viola mit weitgeöffneten Augen und denkt über das Gespräch mit Mister Harry nach. Merkwürdig! Immer mehr verstärkt sich das Gefühl in ihr, daß er seine schützende Hand über sie hält.
*
Tilo Kempen hat verärgert das Telefongespräch mit Brigitt beendet.
Auf seinem Schreibtisch häuft sich die Arbeit. Entscheidungen sind zu treffen, wichtige Telefongespräche zu führen. Konferenzen sind festgesetzt. Nebenan wartet seine Sekretärin auf sein Diktat. Und er vermag sich nicht zu konzentrieren. Mehr als ihm guttut, weilen seine Gedanken im ›Eichenwald‹.
Manchmal huscht durch seine Gedanken das Bild einer schlanken Reiterin und dann beginnt sein Herz zu klopfen. Aus Sorge natürlich, wie er sich einredet, Sorge, daß dieses seltsam schöne Geschöpf sich durch ihre Wildheit verletzen könne.
Manchmal sieht er sie auch anders vor sich. Reglos, mit im Schoß gefalteten Händen, die Blauaugen groß zu ihm aufgeschlagen. Dann hat sie etwas von der Sanftheit eines Engels an sich.
Er lächelt in sich hinein. Im Dorf nennt man sie ›schwarzer Teufel‹. Keiner hat sich die Mühe gemacht, die guten Anlagen Violas zu schätzen oder sie zu fördern.
Und wie steht es mit ihm selbst? Hat er nicht zunächst genauso wie die anderen Viola verächtlich behandelt? Und war es nicht Viola selbst, die ihn überzeugt hat, daß sie unbändigen Stolz besitzt, der es ihr nicht einmal möglich machte, sich zu verteidigen, sich zu rechtfertigen? Sie hat sich auf ihre Art geholfen, wenn ihr dieser Stolz wie eine Flamme über dem Kopf zusammenschlug.
Er weiß gar nicht, wie weich sein Lächeln ist, das gleichzeitig mit der Erinnerung an Viola verbunden ist. Und noch ein neues Gefühl gesellt sich dazu. Er hat Sehnsucht! Sehnsucht nach dem ›Eichenwald‹ und Sehnsucht nach Violas liebreizendem Anblick.
Sie ist wie ein wertvoller Diamant, der, wenn er den richtigen Schliff bekommt, zu einer Kostbarkeit wird.
Unruhe befällt ihn, daß er nicht mehr stillzusitzen vermag. Das Telefon läutet. Er stellt es mit einem Ruck ab und wandert im Zimmer umher, bis seine Sekretärin den Kopf zur Tür hereinsteckt.
»Verzeihung«, stammelt sie, als sie den Chef vor sich sieht, und errötet. »Ich glaubte, das Telefon sei nicht in Ordnung.«
»Doch, das ist in Ordnung. Ich möchte in der nächsten Stunde nicht gestört werden.«
Das ältliche, sehr tüchtige Mädchen zieht sich zurück.
Kempen kehrt um und läßt sich vor seinem Schreibtisch wieder nieder.
Eine Zeitlang spielt er mit dem goldenen Füller, gedankenvoll und noch unschlüssig. Er denkt an die verarmte Hertha Springer, die bei einer seiner Kusinen ein Schattendasein führt. Er hat sich bei jeder Gelegenheit gern mit ihr unterhalten und sie als eine warmherzige und gescheite Frau schätzen gelernt, die sich taktvoll im Hintergrund hält.
Sie wäre die geeignete Person, sich mit Viola zu beschäftigen. Kurz streift er auch den Gedanken, sie irgendwohin zu geben, aber den verwirft er sofort wieder. Viola würde todunglücklich werden, wenn sie von den Pferden vom ›Eichenwald‹ wegmüßte. Noch ist ihm der Entsetzensblick in Erinnerung, den ein Schock in ihr auslöste, als er damals erwägte, sie fortzuschik-
ken.
Ist es wirklich nur, um Violas Frieden nicht zu stören? Oder kann er den Gedanken, sie entfernt von ihm und nicht sofort erreichbar für ihn zu wissen, nicht ertragen?
Er kennt sich in sich selbst nicht mehr aus. Das sind wie geheime, unsichtbare Fäden, die zwischen ihm und Viola hin und her laufen.
Schließlich hat er sich überwunden und läßt sich mit Hertha Springer verbinden. Sie ist sofort am Apparat. Er erkennt ihre dunkle Stimme, die freudig bewegt klingt, als er sich meldet.
»Hören Sie, Hertha. Darf ich Sie in etwa zehn Minuten aufsuchen? Ich hätte gern eine für mich etwas eigenartige Situation mit Ihnen besprochen. Ja? Danke schön. In zehn Minuten.«
Mit einem Blick streift er den Stapel Post, fährt sich nervös durch das dichte Haar und verläßt sein Zimmer.
»Ich muß dringend weg«, sagt er draußen zu der aufhorchenden Sekretärin. Als er deren ratloses Gesicht sieht, setzt er tröstend hinzu. »Halten Sie die Herren inzwischen zurück. Sie verstehen das großartig. Wiedersehen!«
Ehe sie noch antworten kann, hat er ihr Zimnner verlassen.
Vor dem Portal steht sein Wagen, den er wenig später in den Verkehrsstrom lenkt und pünktlich vor der tief im Garten gelegenen weißen Villa seiner Base parkt.
Er legt den Weg über die kiesbestreute Auffahrt zu Fuß zurück und wird in der kleinen Diele, die in die Halle führt, von Hertha Sprmger herzlich begrüßt.
Sie trägt ein hellgraues Sportkleid und wirkt darin vornehm. Sie macht einen besseren Eindruck als seine Base Margit, die zudem noch zwei Jahre jünger ist als Her-tha.
Ruhe und Sicherheit gehen von Hertha aus. Sie ist nicht ausgesprochen hübsch, dazu sind ihre Züge zu unregelmäßig. Aber frauliche Wärme strömt sie aus und ihre aufmerksamen grauen Augen verraten, daß sie auch Humor besitzt, da es oft schalkhaft in ihnen aufblitzt.
»Was darf ich Ihnen als Erfrischung mixen?« fragt sie ihn. »Margit ist unterwegs, so daß ich sie als Hausfrau vertreten muß.«
»Bitte eine Zitronenlimonade«, erwidert er. »Ich bin diesmal zu Ihnen gekommen, Hertha. Ich sagte es Ihnen schon am Telefon.«
»Stimmt!« Über den Fruchtbecher hinweg sieht sie ihn prüfend an. »Gibt es wirklich eine Situation für Sie, der Sie nicht gewachsen sind, Tilo?«
»Die gibt es auch für mich, wie Sie gleich sehen werden«, nimmt er den Faden auf, den sie ihm geschickt zugeworfen hat. »Würden Sie Ihre Tätigkeit bei meiner Base mit einer anderen tauschen?«
Sie läßt die Hände sinken. »Ich verstehe nicht.«
Er erzählt ihr von Viola, von ihrem Wesen, wie sie bisher gelebt hat, und spricht auch von seinen Bedenken, Viola mit seiner Tante Feodora allein zu lassen. Aufmerksam hört sie ihm zu. Als er geendet hat, stellt sie die Erfrischung auf den Tisch zwischen ihnen nieder.
»Und