Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
führt. Sie kann nicht viel erkennen, trotzdem sie scharfe Augen hat. Aber zwischen Blättergewirr sieht sie doch einen Turm henvorlugen.
Brüsk macht sie kehrt und legt langsam den Weg ins Herrenhaus zurück. Auf einmal überkommt sie der Wunsch, die Pferde zu besehen, und so sucht sie den zweiten Hof mit den Stallungen auf.
Just betritt sie ihn, als Viola mit ihrer Dina angeritten kommt. Noch hat sich das Pferd nicht ganz beruhigt und auch Viola hat den Schreck noch nicht überwunden. Für sich selbst hat sie keine Furcht empfunden, aber für das edle Tier. Dina hätte sich verletzen können, wenn nicht gar weit Schlimmeres passiert wäre.
Mit verkniffenem Mund sieht Feodora der Reiterin entgegen.
Viola bemerkt zunächst die Frau nicht, der sie jetzt am allerwenigsten begegnen möchte.
Schmiegsam gleitet sie aus dem Sattel und führt Dina in ihre Box. Sie weist den Stallburschen energisch ab, als er ihr behilflich sein will.
»Ich bemühe mich selbst um Dina«, sagt sie kalt. »Ihr seid mir alle nicht zuverlässig genug.«
Sie spürt wohl den gehässigen Blick des Burschen, kümmert sich aber wenig darum.
Ihr liegt Dinas Wohl mehr am Herzen als alles andere. Für den ausgestandenen Schreck verdient Dina eine doppelte Ration Hafer.
Sie ist heilfroh, daß dem edlen Pferd nichts Ernstliches zugestoßen ist. An sich selbst denkt sie überhaupt nicht. Aber als sie Dina gut versorgt hat, abgerieben, eine warme Decke über sie geworfen und mit reichlich Futter versorgt, spürt sie einen rasenden Schmerz in ihrem Knie.
Der Verband muß sich gelöst haben und die Hose scheuert an der Wunde, so stark, daß sie meint, ohnmächtig zu werden. Aber sie hält tapfer durch. Zuerst Dina, dann sie. Sie sehnt sich nach einem Bad und dann nach Ruhe, nichts als Ruhe.
Draußen auf dem Hof, mitten im Sonnenschein, trifft sie auf Feodora Kempen. Sie ist wie gelähmt. Allen, nur ihr möchte sie gerade jetzt nicht begegnen, da ihr der Schmerz im Knie fast das klare Denken raubt.
»Wer hat dir erlaubt, Dina zu reiten?« stellt Feodora das Mädchen mit einer so scharfen Stimme, daß sie weithin schallt und die Angestellten herbeilockt.
»Herr Kempen«, erwidert sie, den Kopf ein wenig steifer in den Nacken legend. Ihre ganze Haltung ist Ablehnung.
»Herr Kempen, ich höre immer Herr Kempen«, ereifert Feodora sich. »Ich glaube du lügst, wenn du den Mund auftust. Mein Neffe hat andere Dinge im Kopf als dich und dein Vergnügen.«
Glühende Röte bedeckt Violas reizendes Gesicht und dann strömt ihr das Blut zum Herzen.
»Ich lüge nie«, stößt sie beleidigt hervor. Sie spürt, wie eine Welle des Hasses von der Frau zu ihr überströmt. Dabei hat sie der Frau nichts getan. Selbst bei aller Harmlosigkeit empfindet sie, daß sie gedemütigt werden soll. Alles empört sich in ihr. »Was wollen Sie eigentlich von mir? Herr Kempen hat mich in sein Haus genommen und hier bleibe ich auch, selbst wenn Sie mich noch so sehr zu beleidigen versuchen. Auch Dina werde ich weiter reiten, mit oder ohne Ihre Einwilligung.«
Feodora Kempen hat es nie verstanden, sich bei den Angestellten beliebt zu machen. Sie pflegt durch sie hindurchzusehen, als seien sie Luft. Bei der kleinsten Unterlassungssünde hagelt es ihrerseits Donnerwetter.
Die Umherstehenden haben jedes Wort Violas gehört. Und wohl zum ersten Male sind sie innerlich auf der Seite des jungen Mädchens, das der hochmütigen Frau die Zähne gezeigt hat.
Feodora blickt mit zusammengepreßten Lippen hinter der jugendschönen Erscheinung her. Dann wendet sie sich den Arbeitern zu. »Was steht ihr hier müßig herum? Marsch, an die Arbeit!«
Im Augenblick ist der Hof wie leergefegt. Feodora ist von einer maßlosen Wut erfüllt. Wie kann ein so junges Ding, das noch dazu aus Gnade im Herrenhaus aufgenommen wurde, so frech zu ihr sein?
Sie geht rasch ins Herrenhaus und läßt sich Brigitt kommen. Feodoras Geduld wird auf eine harte Probe gestellt, denn Brigitt ist bei Viola; jammernd und gleichzeitig das blasse Mädchengesicht mit Besorgnis betrachtend, verbindet sie das schmerzende Knie.
»Du bist unverbesserlich«, schimpft sie und doch liegt nur Sorge in ihren Worten. »Mit einer solchen Wunde kann man nicht durch die Gegend reiten. Jetzt bleibst du in deinem Bett, verstanden? Oder soll ich dich einschließen?«
Viola ist wie benommen von dem Erlebnis mit dem hinterhältigen Jochen und dem Zusammenstoß mit Feodora Kempen. Sie möchte wirklich nichts als ruhen.
»Ich verspreche es dir«, wispert sie und läßt sich Brigitts liebevolle Behandlung gefallen. Sie lehnt sich nicht mehr gegen deren Fürsorge auf, weil sie völlig erschöpft ist und ihre Gedanken wirr durcheinanderhuschen.
Atemlos kommt das Stubenmädchen Inge angelaufen. »Sie möchten sofort zu der gnädigen Frau kommen. Ich habe Sie schon überall gesucht.«
»Um deren Bosheiten anzuhören, komme ich immer noch zurecht«, brummt Brigitt, wirft noch einen zärtlichen Blick auf Violas blasses Gesicht und läuft hinter Inge her.
Im Salon erwartet Feodora die Haushälterin.
»Dieses junge Mädchen muß aus dem Hause«, überfällt sie förmlich Brigitt, »und zwar sofort. Ich kann es nicht mehr sehen. Sorgen Sie dafür, Brigitt, daß es sobald wie möglich verschwindet. Es soll dahin gehen, woher es gekommen ist.«
Brigitt ist noch ganz atemlos vom schnellen Laufen. Sie starrt die schlanke Frau mit den harten Augen fassungslos an.
»Aber – aber das geht doch nicht. Viola muß hierbleiben.«
»Bestimmen Sie das etwa?« fragt Feodora scharf.
Brigitt richtet sich unwillkürlich etwas auf. Sie ist sich ganz der Aufgabe bewußt, die sie übernommen hat.
»Ich nicht«, erwidert sie auch dementsprechend fest. »Aber Herr Kempen. Er hat Viola unter meinem Schutz zurückgelassen und keiner darf sie aus dem Haus vertreiben.«
»Schöne Zustände herrschen hier!« Feodora gibt sich noch nicht geschlagen. Sie rafft all ihren Hochmut zusammen. »Jetzt jedenfalls bin ich hier und bestimme ich. Soll ich noch deutlicher werden?«
»Wie Sie wünschen, gnädige Frau.« Brigitt dreht sich brüsk um und verläßt den Salon. Sie geht sofort an den Fernsprecher und läßt sich mit der Stadtvilla verbinden und von da aus mit dem Werk. Wenige Sekunden später hat sie Tilo Kempen am Apparat, und jetzt teilt sie ihm hastig und in erregten Worten mit, was Feodora Kempen von ihr verlangt.
»Das ist doch unmöglich, Herr Kempen«, schließt sie und ist den Tränen nahe. »Viola ist zudem noch gestürzt und hat eine Wunde am Knie. Ich müßte eigentlich einen Arzt holen. «
»Viola bleibt, Brigitt.« Brigitt atmet unendlich erleichtert auf. »Mit meiner Tante werde ich selbst sprechen.«
»Danke«, erwidert sie beglückt, und dann hört sie wieder Kempens Stimme.
»Hallo, Brigitt, hast du viel Ärger mit Viola?«
»Aber nein«, widerspricht sie hastig. »Viola tut nichts, um Ärger zu bereiten. Man soll das Mädel in Ruhe lassen. Sie greift keinen an, sie wehrt sich nur, und das ist wohl ihr gutes Recht.«
»Allerdings!« Eine kleine Pause, und dann spricht er weiter. »Also, ich spreche mit meiner Tante. Das Mädel bleibt, wo es ist. Paß gut auf Viola auf. Wiedersehen zum Wochenend, Brigitt.«
»Wiedersehen! «
Langsam legt sie den Hörer auf und fährt leicht zusammen, als sie die schlanke, drahtige Gestalt mit dem schlohweißen Haar erblickt.
»Sie sind es, Mister Harry«, sagt sie verwirrt, denn sie hat ihn nicht kommen hören.
»Verzeihen Sie«, sagt er lächelnd. »Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu erschrecken. Auch lauschen wollte ich nicht. Wie geht es Fräulein Viola?«
»Da muß ich mich selbst erst überzeugen.«