Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Viola einen wütenden Blick zu, vor dem diese sich abwendet.
Immer noch weint das Kind bitterlich und seine Mutter streicht ihm tröstlich über den Kopf.
Jetzt donnert Harry die Frau förmlich an. »Mein Gott, stellen Sie sich so dumm oder haben Sie wirklich nicht gesehen, daß Sie das Leben Ihres Kindes nur dem unerschrockenen Eingreifen Violas zu verdanken haben? Wie können Sie das kleine Mädchen ohne Aufsicht auf der Straße spielen lassen?«
»Es ist wahr. Viola hat das Kind zu sich aufs Pferd gerissen. Britta wäre tot –«
Von allen Seiten dringt man auf die bis in die Lippen erblaßte Frau ein. Ihr Blick ist jetzt nicht mehr anmaßend und verächtlich, sondern scheu, den sie auf die abseits neben Dina lehnende Viola wirft.
»Tatsächlich – ich habe nur gesehen, wie Viola das Kind hochriß –« Sie verstummt jäh, weil sie jetzt von allen Seiten auf sie einreden. In wenigen Minuten weiß sie, daß das herrasende Auto ihr Kind überfahren hätte, wenn – wenn nicht Viola gewesen wäre, die sie soeben beschimpfte.
Flammende Glut schlägt ihr ins Gesicht. Ein kurzes Besinnen und dann geht sie die paar Schritte zu Viola hinüber, reicht ihr die Hand.
»Verzeih, Viola, das habe ich nicht gewußt. Ich danke dir.«
Violas Gesicht bleibt ohne Bewegung. »Sie brauchen sich nicht zu bedanken.« Und zu Jack Harry sagt sie leise: »Bitte, lassen Sie uns umkehren, bitte.«
Wortlos hilft er ihr in den Sattel. Diesmal nimmt sie seine Hilfe an. Ihre Knie sind weich und zittern, und das Herz schlägt ihr hoch bis zum Halse herauf. Ohne noch einen Blick auf die Umstehenden, die eifrig debattieren, zu werfen, jagt Viola den Weg zurück. Harry ahnt, was in ihr vorgeht. Er mag sie jetzt auch nicht zwingen, mit ihm den vorgesehenen Besuch zu machen.
Im Wald fällt sie in Trab und dann drängt sie ihr Pferd dicht an Harry heran.
»Wollen wir uns hier ein wenig ausruhen?«
Er nickt, und nachdem sie ihre Pferde in Sicherheit gebracht haben, lassen sie sich auf den warmen Waldboden nieder.
»Nun?« forscht er nach längerem Schweigen, nach ihrer Hand im Lederhandschuh tastend. »Ein bißchen ruhiger geworden?« Und als sie nur zu nicken vermag, fährt er fort: »Das war ein Stückchen echte Reiterkunst. Man traut Ihnen diese Kraft wirklich nicht zu, Viola. Und wie schnell Sie reagiert haben. Mir hat fast das Herz ausgesetzt.«
Sie macht eine kleine beschwichtigende Handbewegung. »Das war nicht weiter schlimm.« Ihre Augen sind dunkel vor Erregung und ihre dichten Wimpern flattern. »Mir hat das Verhalten der Frau weher getan als der Ruck im Arm.«
Er hält die kleine schmale Hand fest umschlossen. »Sie haben Ihr Leben eingesetzt. Hoffentlich verstehen das diese törichten Menschen.«
»Sind Sie mir sehr böse, daß wir unseren Besuch nicht gemacht haben?« lenkt sie von sich ab. Sie mag kein Lob über ihre Handlung hören. In ihren Augen ist das eine Selbstverständlichkeit.
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wenn es Ihnen Freude macht, würde ich Sie morgen gern auf dem Gestüt sehen.«
Sofort ist alles vergessen. Sie strahlt ihn an.
»Und ob es mir Freude macht. Gleich morgen früh, zeitig, bin ich da. Was macht Satan?«
»Er scheint Sie zu suchen«, erwidert er lächelnd. »Das ist ein tolles Pferd. Ich kann Ihre Vorliebe für ihn sehr gut verstehen.«
»Zweifeln Sie immer noch daran, daß ich Satan zähmen werde?«
»Ich habe schon beim ersten Mal nicht daran gezweifelt.«
Darüber errötet sie vor lauter Freude. Dies klingt wie ein Lob aus seinem Munde und macht sie glücklich.
Überhaupt hat sie immer weniger Hemmungen ihm gegenüber. Manchmal kommt es ihr vor, als würde er ihre Gedanken erraten. Sie weiß, seitdem er da ist, ist manches schöner für sie geworden.
Sofort nennt sie sich in Gedanken undankbar. Das erste wahre Erlebnis war Kempens Güte. Sie verehrt ihn grenzenlos, aber doch ganz anders, ganz anders als Mister Harry.
Mit Tilo Kempen ist etwas in ihr Leben getreten, was sie verwirrt und unruhig macht. Selbst wenn er sie zornig anfährt und sie ihm trotzig antwortet, weil sie nicht anders kann, gefällt er ihr.
Gefallen? Ob es wohl noch mehr ist? Viel mehr als ein oberflächliches Gefallen? Viola, an das Einsamsein gewöhnt, ist auch gewöhnt, ihre Gefühle zu überwachen. Etwas hat Tilo Kempen in ihr in Aufruhr gebracht.
Harry muß immer wieder in dieses entrückte Gesichtchen sehen. Was sie wohl denken mag?
Die letzten Strahlen der sich zum Untergehen neigenden Sonne treffen ihr schwarzes Haar und lassen es blauschwarz schimmern mit kleinen rötlichen Tupfen. Es ist ein seltsames Farbenspiel.
Unwillkürlich stellt er sich Viola in großer Toilette vor. Sie muß wunderschön aussehen. Bisher kennt er sie im Reitanzug und ein einziges Mal erst hat er sie in einem einfachen Kleid gesehen, das trotzdem ihre Jugend und Schönheit betonte.
Ärgerlich über sich selbst, wendet er rasch den Kopf zur Seite.
»Wollen wir aufbrechen? Mich erwartet noch einige Arbeit.«
Gehorsam erhebt Viola sich. Anmutig und flink, ohne daß er ihr zu helfen braucht.
Er bringt sie bis vor die Stalltür. Er bemerkt wohl von allen Seiten neugierige Blicke. Aber das kümmert ihn nicht. Viel weniger Viola. Sie ist das Anstarren gewöhnt, seitdem sie im ›Eichenwald‹ ist. Aber ganz so mit Feindseligkeit scheinen sie nicht mehr geladen zu sein. Vor ihrer Reitkunst jedenfalls hat man Respekt.
Langsam ist es auch durchgesickert, daß sie niemals einen von ihnen verpetzt hat. Es gibt keiner recht zu, doch stillschweigend erkennen sie es an.
»Bis auf morgen, Viola«, sagt Harry zu ihr und drückt ihr die Hand. Er wartet, bis sie mit Dina in der Stalltür verschwunden ist, dann verläßt er im Galopp den Hof.
*
Der nächste Tag ist der Samstag. Er verspricht ebenso schön und heiß wie die vorangegangenen zu werden.
Viola kann vor Ungeduld nur ein paar Schlucke Kaffee zu sich nehmen, dann verläßt sie das Haus.
»Wann ich zurückkomme, ist unbestimmt, Brigitt«, tröstet sie Brigitt, die ganz traurig dreinblickt. Sie hat so wenig von Viola. Hat sie zuerst das Mädchen abgelehnt, um so lieber ist es ihr jetzt geworden. Von dem jüngsten Erlebnis hat Brigitt noch nichts erfahren. Viola hat darüber geschwiegen. Warum Brigitt hinterher noch aufregen?
»Was soll ich denn Herrn Kempen sagen«, jammert Brigitt. »Er kommt heute heraus.«
Viola bleibt wie angewurzelt stehen. »Er kommt – heute schon?« Ihre Lippen pressen sich zusammen, um den Freudenlaut zu unterdrücken. Sie fühlt sich beobachtet und so heuchelt sie nach außen hin Gleichmut.
»Da bin ich längst zurück, Brigitt.« Und weg ist sie.
Brigitt seufzt und kehrt in ihr Reich zurück. Sie überwacht das Frühstück, das Feodora Kempen zeitig bestellt hat, unterhält sich ein paar Minuten mit der Köchin, um das Mittagsmahl zu besprechen.
Dann steigt sie die Treppen empor, wo die beiden Stubenmädchen bereits beim Säubern der Zimmer sind. Sie wählt von den Fremdenzimmern im ersten Stock ein Wohnzimmer mit anschließendem Schlafraum und Badezimmer aus, gibt Auftrag, diese Räume auch in Ordnung zu bringen.
»Blumen hole ich selbst. Herr Kempen bringt Besuch mit.«
Sie freut sich auf Hertha Springer, deren Mitkommen ihr der Hausherr am Telefon mitgeteilt hat. Sie war schon mehrmals Gast im ›Eichenwald‹. Sie haben sich ausgezeichnet verstanden. Was wird die Gnädige dazu sagen? Soviel sie bemerkt hat, wurde Hertha Springer von ihr sehr von oben herab behandelt, wie sie das mit allen Menschen tut, denen eine gütige Fee nicht gleich Millionen in die Wiege gelegt hat.
Mit