Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Großindustriellen sehr gut, von Gesellschaften her, von Stadtratssitzungen, von allen möglichen Veranstaltungen. Er hat ihn stets geschätzt und geachtet. Und nun liegt dieser vitale, kräftige Mann vor ihm. Ein hilfloser, kranker Mensch, blaß, mit fremden Zügen.
Und noch weiß er nicht, der Professor, ob er den Mann ganz gesund machen kann. Wie, wenn Komplikationen eintreten, Komplikationen, mit denen niemand rechnet und gegen die sogar die tüchtigsten Ärzte machtlos sind?
Er blickt auf die Uhr. Gleich elf. Jetzt wird die junge Frau Gellert kommen. Schade, daß er damals zu einem Kongreß in Karlsruhe war, als die Einladung Gellerts und seiner Gattin in sein Haus geflattert kam. Er hätte sich diebisch über die verblüfften, sicher auch sehr enttäuschten Gesichter der Mütter mit ihren heiratsfähigen Töchtern gefreut.
Punkt elf Uhr klopft die Oberschwester leise an die Tür, steckt den Kopf herein und flüstert:
»Frau Gellert ist im Besuchszimmer.«
»Ich komme, nehmen Sie inzwischen hier Platz und melden sie mir sofort jede Veränderung im Befinden des Patienten. Ich bin im Besuchszimmer.«
»Jawohl, Herr Professor.«
Er muß ehrlich zugeben, während er über den Flur geht, um das Besuchszimmer aufzusuchen, daß er nicht frei von Neugierde ist. Im Augenblick ist er gespannt auf den Menschen, auf die Frau, die es wert ist, die Frau eines Albert Gellert zu sein. Erst in zweiter Linie denkt er daran, daß er ihr Trost zusprechen muß, da sie doch die Frau eines Patienten ist.
Vor der Tür zögert er. Dann drückt er entschlossen die Klinke nieder.
Marina steht am Fenster und wendet sich schnell um. Sie geht dem Professor entgegen.
Beide Hände streckt sie ihm hin, und er drückt sie warm.
»Gnädige Frau, schön, daß Sie gekommen sind.«
»Herr Professor.« Ihre Lippen zittern. »Was macht mein Mann? Wie geht es ihm? Darf ich zu ihm?«
Er führt sie zurück ans Fenster und zwingt sie mit sanfter Gewalt in den dort stehenden Sessel. Er will das Gesicht der jungen Frau studieren.
Jetzt fehlen ihm einfach die Worte. So viel Schönheit und Liebreiz, dazu das zarte Oval des berückend schönen Antlitzes. Die feingezeichneten Brauen über den dunklen Augenwimpern, die vor Erregung flackern. Sie sind das Schönste – die wundersam klaren blauen Augen mit den grünlichen Lichtern. Ein sanftes Gesicht, ein edles Gesicht, beherrscht von den übergroßen, ängstlichen Augen.
Noch etwas hat sein ärztlich geschultes Auge gesehen. Die Frau ist in gesegneten Umständen. Also Vorsicht, mahnt es in ihm.
»Warum geben Sie mir keine Antwort?« Ihre Stimme erstickt. Sein Schweigen zerrt an ihren Nerven. Die Blässe ihres Antlitzes ist unnatürlich.
»Verzeihen Sie, gnädige Frau«, er lächelt wohlwollend. »Ich glaube, man sollte Sie auch ins Bett packen. Sie haben sich sicher mächtig erschrocken. Keine Sorge, wir kriegen ihn bestimmt wieder hin.«
»Wirklich?« In ihre wie erloschen wirkenden Augen kommt etwas Leben. »Gibt es wirklich Hoffnung für ihn? Wollen Sie mich nicht nur trösten? Glauben Sie mir, Herr Professor, ich kann die Wahrheit vertragen. Lassen Sie sich nicht von meinem augenblicklichen Aussehen täuschen. Ich habe seit Ihrer Benachrichtigung kein Auge schließen können. Sonst bin ich tapfer.«
Wieder dieses gewinnende Lächeln, das ihr sofort Vertrauen einflößt.
»Sie können mir glauben, wir kriegen ihn schon wieder auf die Beine. Und daß Sie tapfer sind, bezweifle ich keine Minute«, setzt er hinzu.
»Darf ich ihn sehen?«
Er zögert kurz. Entschlossen erhebt er sich. »Gut, Sie sollen Ihren Gatten sehen. Nur sprechen dürfen Sie vorläufig nicht mit ihm. Gehirnerschütterung«, setzt er knapp hinzu.
Marina geht hinter- ihm her, von innerem Aufruhr erfüllt, den sie tapfer niederzuringen versucht. Nur nicht zeigen, daß ihr Herz wie ein Hammer in der Brust schlägt, daß sie Angst vor dem Kommenden hat und daß sie keineswegs so tapfer ist, wie sie eben gesagt hat.
»Bitte!« Weit öffnet der Professor die Tür zu Gellerts Zimmer.
Unheimliche Stille schlägt Marina entgegen. In dem Bett am Fenster ruht ihr Mann, der die Geschäftigkeit in Person ist, um den stündlich, täglich pulsendes Leben war, der sich mit souveräner Ruhe in diesem wimmelnden Ameisenhaufen zurechtgefunden hat, und alles wie ein Feldherr lenkte.
Dieser Mann liegt mit bleichen Wangen, eingesunkenen Augen, die dunkelumschattet sind, in den weißen Kissen, die die Blässe seines Gesichtes noch unterstreichen.
»Albert«, flüstert Marina und umfaßt haltsuchend das Gitter des Bettes. Sofort schiebt der Professor einen Stuhl hinter sie. Sie sieht aus tränengefüllten Augen zu ihm auf, und sofort wendet sie sich dem Gatten wieder zu.
»Albert!« Es ist nur ein Hauch, und doch dringt es zu den Ohren des Professors.
Donnerwetter, schießt es dem Arzt durch den Kopf, die kleine Frau weiß sich zu beherrschen. Er hat schon sehr häßliche Szenen von hysterischen Frauen an Sterbebetten erlebt. Und zwei Tage später zankten sie sich mit der Verwandtschaft um das Erbe. Auch solche Szenen waren keine Seltenheit.
Diese bezaubernde, junge Frau kommt ihm vor, wie ein Sonnenstrahl, der das geheimnisvolle Dunkel eines Krankenhauses durchdringt, wo in jeder Ecke der Tod zu lauern scheint.
Marinas Schultern zucken vom lautlosen Weinen. Sie preßt ihr Taschentuch gegen den Mund.
»Ich glaube, es ist genug für Sie, gnädige Frau. Wenn es Ihnen Beruhigung gibt, dürfen Sie wiederkommen. Sagen wir morgen um dieselbe Zeit.«
Die Stimme des Arztes dringt nur halb in ihr Bewußtsein. Der Kranke nimmt ihre ganze Aufmerksamkeit, ihr Denken ein. Gehorsam läßt sie sich vom Professor aufhelfen. Sie geht leise an das Bett, streicht einmal sanft über die reglos auf der Decke liegende Hand, diese edelgeformte Hand, die so kräftig zuzupacken versteht.
Der Professor begleitet sie den langen Flur entlang, vorbei an den hohen weißen Türen, hinter denen Schmerz, Trauer und neue Lebensfreude so dicht nebeneinander wohnen.
»Und morgen werde ich mit ihm sprechen können?« fragt sie immer noch blaß wie der Tod, und reicht ihm die Hand.
»Das hoffe ich zuversichtlich, gnädige Frau.«
»Und sonst – sonst rufen Sie mich an?« Flehend sieht sie in seine blauen Augen, die einem Menschen bis auf den Grund seiner Seele zu blicken scheinen.
Zweifel liest sie in seinen Zügen. Sie packt seinen Arm.
»Ich bin tapfer. Ich sagte es Ihnen schon einmal. Nehmen Sie auf meinen Zustand keine Rücksicht. Nicht wahr, das war es, was Sie zögern ließ?«
»Ja, ich gebe es zu. Aber Sie scheinen wirklich tapfer zu sein und haben auch sehr viel Willenskraft.« Er schiebt sie sanft dem Ausgang zu. »Also auf jeden Fall bis morgen.«
Marina geht langsam davon.
Sie sieht Felix, den Chauffeur, rauchend vor dem großen Wagen auf und ab gehen, den Eingang nicht aus den Augen lassend.
Er wirft die Zigarette in weitem Bogen von sich und rennt herbei, um ihr die Tür zu öffnen. Ehrerbietig geht er neben ihr her und hilft ihr fürsorglich in den Wagen.
»Danke«, haucht sie. Bedrückendes Schweigen. Ohne jede Farbe, tief in Gedanken versunken lehnt Marina mit geschlossenen Augen im Fond. Nein! Die junge Gnädige ist gar nicht in der Lage, mit ihm zu sprechen.
Also schnell heim!
Marina schreckt aus ihrer Versunkenheit auf, als sie vor dem Portal ihres Hauses halten.
»Danke, Felix. Halten Sie sich für morgen um dieselbe Zeit bereit.«
»Jawohl, gnädige Frau.« Er braucht ihr nicht die Eingangstür zu öffnen. Frau von Reimar, die den Wagen hat vorfahren hören, kommt ihrer jungen Herrin