Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
So verhaßt ist ihr seine Gegenwart! Wie weit ist er noch von seinem Ziel entfernt, ihre Liebe zu gewinnen! Hat er sich auch mit allen Kräften darum bemüht? stellt er sich die Frage. Läßt er sie nicht viel zu oft allein? Hatte er sich nicht vorgenommen, sich nicht in die Arbeit zu verstricken, sondern in Zukunft ein Privatleben zu führen?
»Oder wollen wir eine Gesellschaft geben?«
Sie sieht ganz verstört aus. »Ich – ich habe Angst, unter Menschen zu gehen.«
»Aber Marina«, sagt er nachsichtig, ohne Vorwurf in der Stimme. Sie sieht wie ein kleines Mädchen aus, überlegt er, und wieder einmal packt ihn die Sehnsucht mit aller Macht. Warum kann er sie nicht einfach in die Arme nehmen und trösten? Warum sind sie sich heute immer noch fremd? Er ist überzeugt, daß er die Schuld daran trägt. Er hat sie von Anfang an im Glauben gelassen, daß er sie nur wegen des Kindes geheiratet hat. Nur so hat er sie gewinnen können. Daß er sie leidenschaftlich liebt und er vor der Tiefe seines Gefühls manchmal selbst erschrickt, kann sie ja nicht wissen.
Da er so lange schweigt, blickt sie ihn scheu von der Seite an.
»Bist du mir böse?«
Er legt seine Hand auf die ihre.
»Auf gar keinen Fall, Marina. Nur, ich weiß nicht, ob ich es richtig mache, dich von allem fernzuhalten. Du mußt endlich als meine Frau vorgestellt werden.«
»Muß das sein?«
»Ich meine – doch!«
Sie seufzt auf, und er muß lächeln.
»So schwer fällt es dir?«
Sie weicht seinem forschenden Blick aus. Etwas liegt in seiner Stimme, was sie erzittern läßt, so hat er selten mit ihr gesprochen. Was veranlaßt ihn, so nachsichtig zu sein?
Im nächsten Augenblick schämt sie sich ihrer Gedanken. War er das nicht immer gegen sie? Sie ist bis obenan mit Mißtrauen erfüllt. Das muß sie ehrlich zugeben. Und sie weicht ihm auch immer aus.
»Wenn du es wünschst, werde ich meine Angst bezwingen«, sagt sie aus diesen Erwägungen heraus.
»Nur weil ich es wünsche?« Sie meint, er sei plötzlich wie verwandelt. »Ich dachte, es würde dir Freude machen. Ich möchte dich zu nichts zwingen, was dir unangenehm wäre.« Er gibt ihre Hand frei. Seine Züge sind verschlossen.
Sie ist den Tränen nahe. Immer reden sie aneinander vorbei, und sie kann nicht die richtigen Worte finden. Krampfhaft sucht sie nach einem Ausweg, um ihn wieder zu versöhnen. Jetzt ist sie überzeugt, daß sie ihn verletzt hat.
»Verzeih mir, bitte, so habe ich es nicht gemeint.« Sie errötet. Ihre Hand zittert, und sie verbirgt sie in den Falten ihres Kleides. »Belügen möchte ich dich nicht. Ich sehe ein, daß du es gut mit mir meinst.« Sie versucht ein Lächeln. Es sieht recht unglücklich aus. »Dann werde ich dir diese Freude machen. Du kannst die entsprechenden Anordnungen geben.«
Ihre Nachgiebigkeit rührt ihn. Daß sie ehrlich ist, freut ihn außerdem noch. Sie nimmt in keiner Beziehung die Vorteile wahr, die ihr ihre Stellung als seine Frau bieten. Kann ein Menschenskind noch bescheidener sein?
Seine hellen Augen umschließen ihr schmalgewordenes Gesicht mit einem zärtlichen Blick, den sie jedoch nicht bemerkt, weil sie die Augen gesenkt hält.
»Schön, Marina. Es soll ein großer Tag für dich werden, so wie du es verdienst.«
Sie sieht ihn dankbar an. Er ist doch der feinfühligste Mensch, als den sie ihn eingeschätzt hat. Und jetzt freut sie sich wirklich auf den Tag, der, wie er ihr versichert hat, zu ihrem Tag werden soll.
Sie unterhält sich noch eine halbe Stunde mit ihm. Sie sprechen wie zwei gute Freunde miteinander. Beide haben sich tadellos in der Gewalt. Ein Außenstehender könnte nicht auf den Gedanken kommen, daß zwischen den beiden Menschen die Liebe spielt, zu der sich keiner bekennen will.
Als Marina Anzeichen von Müdigkeit zeigt, erhebt er sich sofort und begleitet sie bis zur Tür ihrer Räume. Er küßt ihr die Hand, wünscht ihr eine angenehme Nacht und sucht seine Zimmer auf.
In dieser Nacht findet Marina wenig Schlaf. Alles, was sie mit Albert besprochen hat, geht ihr durch den Kopf. Jedes Wort ruft sie sich in Erinnerung zurück. Die Liebe zu ihm läßt ihr Herz nicht zur Ruhe kommen. Sie preßt ihr Gesicht in das Kissen und weint bitterlich. Noch nie war ihr Leben so sorglos, aber auch noch nie war sie so unglücklich.
Eine Bombe hätte nicht größere Wirkung haben können als die Einladung Generaldirektor Gellerts. Auf welchen Schreibtisch, in welches Haus sie auch flatterte, man vermochte die Tatsache nicht so schnell zu begreifen.
»Generaldirektor Gellert und Frau Marina laden für den 11. Juni zu einer Abendgesellschaft ein…«
Das Wort »Frau Marina« war alarmierend. Von Barbara Markwart, die auf Marinas Wunsch auch eine Einladung bekommen hatte, bis zum jüngsten Direktor waren alle fassungslos erstaunt.
Die Einladung an sich war nicht ungewöhnlich, da Generaldirektor Gellert jedes Jahr seine Mitarbeiter und Bekannten zu einer solchen Gesellschaft einlud. Keiner aber hatte geahnt, daß Gellert geheiratet hatte. Man bestürmte Barbara, da man annahm, sie als Sekretärin und Vertraute des Generaldirektors müsse davon gewußt haben.
»Aber nein, Sie sehen mich genauso überrascht wie Sie«, beteuerte sie immer wieder. Man nahm es mit einem schiefen Lächeln zur Kenntnis und – glaubte ihr nicht.
Was aber das Merkwürdigste dabei war, keiner brachte Marina Braun mit der Frau des Generaldirektors in Verbindung. Und das sollte die größte Überraschung für diejenigen werden, die Marina aus dem Illermann-Konzern kannten.
Man wunderte sich nicht, daß diese Einladung trotz des Todes Günther Gellerts gekommen war. Schließlich war das Fest mehr eine geschäftliche Angelegenheit.
Und dann erhält Barbara das Telefongespräch, das von der Zentrale in das Vorzimmer gelegt worden war. Sie steht vor ihrem Schreibtisch und nimmt gleichmütig den Hörer auf.
»Tag, Barbara«, hört sie eine bekannte Stimme, die ihr einen freudigen Schreck durch die Glieder jagt. »Kommst du zu unserem Fest? Ich hoffe, du hast unsere Einladung erhalten.«
»Marina!« schreit Barbara los. »Du – du bist…? Moment mal, Marina, ich muß mich hinsetzen.«
»Also du kommst, Barbara.« Sie hört ein unterdrücktes, warmes Lachen, und dann ist die Verbindung unterbrochen. Barbara hat sich zu ihrem Sessel hingetastet. Ihre Knie zittern vor Schreck. Es ist ein freudiger Schreck, und sie hat im Augenblick begriffen. Langsam faßt sie sich wieder und schmunzelt.
Und ob sie diese Einladung annimmt! Aber keiner wird von ihr erfahren, wer die Frau Generaldirektor ist. Schon jetzt freut sie sich auf die verblüfften Gesichter.
Und dann ist der 11. Juni gekommen.
Tage vorher stand Gellerts Haus im Zeichen des nahenden Festes. Marina hat sich um alles selbst gekümmert. Die Speisenfolge mit der Köchin zusammengestellt, den Blumenschmuck für die Tafel ausgewählt, Tischkarten geschrieben und die hohen Vasen mit Blumen geschmückt.
Sie hat sich in keiner Weise geschont, und Albert Gellert dringt darauf, daß sie vor Beginn des Festes ruht. Er selbst begleitet sie in ihr Zimmer, das er höchst selten betritt, bettet sie auf die Couch und legt eine Decke über sie.
Er nimmt ihre Hand und drückt einen dankbaren Kuß auf ihren Handrücken.
»Habe ich es richtig gemacht?« fragt sie mit einem scheuen Lächeln.
»Sehr gut, Marina, ich danke dir für deine Mühe.« Er küßt noch einmal ihre Hand und legt sie auf die Decke. »Und nun ruhe dich aus, damit du heute abend frisch und ausgeruht bist.«
Von der Tür her wirft er noch einen Blick zurück. Marina hat den Kopf zur Seite gedreht. Er sieht nur das volle, glänzende Haar. Geräuschlos zieht er die Tür hinter sich ins Schloß. Er gibt Auftrag, seine Frau unter keinen Umständen zu stören.