Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Albert Gellert, in die Hütte zu treten. Die unheimliche Stille, die hinter der schweren Holztür herrscht, macht ihm die Knie weich.
Er zündet die Laterne an und tritt ein. Der Lichtstrahl huscht durch das dunkle Wohnzimmer. Mit ein paar Schritten steht er im angrenzenden Schlafzimmer.
Marina ruht in den Kissen, und auf dem Boden liegt Günther. Beide sind ohnmächtig. Er beugt sich über Marina und sieht im Schein der Lampe das fieberrote, geliebte Gesicht. Ihr Atem geht stoßweise.
Er winkt den Leuten zu, und sie helfen zunächst Günther, schieben ihm eine Decke unter den Kopf und flößen ihm starken Schnaps ein. Es währt eine Weile, ehe er die Augen aufschlägt und sich erstaunt umsieht.
Er erkennt seinen Vater, und ein Lächeln der Erlösung geht über sein eingefallenes Gesicht.
»Vater!«
»Ja, mein Junge.«
»Kümmere dich um Marina«, flüstert er. »Sie ist sehr krank. Ich konnte nichts für sie tun, alles liegt im Schuppen, die Lawinen haben mich überrascht.«
»Red nicht so viel, Günther.« Er setzt ihm noch einmal die Flasche an den Mund, und Günther trinkt begierig. Er spürt, wie es ihm warm durch die Glieder strömt.
Inzwischen hat man die fiebernde Marina eingewickelt und auf die Trage gebettet. Sie weiß nicht, was mit ihr geschieht, sie weiß nicht, daß in letzter Minute die Rettung gekommen ist.
Es ist längst dunkel geworden, als der traurige Zug in dem Bergdorf ankommt. Marina wird sofort ins Gasthaus gebracht, und Albert Gellert ruft selbst den Arzt herbei.
»Lungenentzündung«, stellt er kurz fest. »Die junge Dame muß schnellstens ins Krankenhaus und in gute Pflege.«
Dann geht der Arzt zu Günther.
»Sie haben Glück, mein Junge«, meint er nach einer gründlichen Untersuchung. Er kennt die Familie Gellert sei Jahren und kann sich einen vertraulichen Ton erlauben. »Acht Tage gründliche Ruhe, gutes Essen, dann sind Sie wieder auf der Höhe.« Er schüttelt den Kopf. »Ein Wunder überhaupt, daß Sie so davongekommen sind. Die junge Dame hat es bedeutend härter gepackt.«
»Deshalb müssen Sie alles tun, damit sie schnell wieder gesund wird«, erwidert Günther voller Sorgen. Dann versinkt er in Grübelei. Merkwürdig ist das gewesen. Er hat das große, be-rauschende Glück in Marinas Armen kennengelernt, obwohl er den Tod bereits hinter sich spürte. Aber er hat sie nicht geholt, ihn nicht und Marina nicht, obwohl Marina sehr krank ist.
Er weiß, daß sie genesen wird. Und dann holt er sie zu sich als seine junge Frau.
*
Wochen sind vergangen, und Marina geht der Genesung entgegen. Sie darf schon stundenweise das Bett verlassen. Annemarie kommt täglich. Täglich werden für Marina die schönsten Blumen abgegeben. Auch Günther war schon mehrmals bei ihr. Was sie nicht weiß, ist, daß Albert Gellert sie täglich durch den Türspalt gesehen hat, solange sie noch im Fieber lag.
Jetzt, da sie Besuch empfangen kann, hat er sich zurückgezogen. Er arbeitet wieder, als hätte es keine Schreckensnächte gegeben. Auch Günther hat seinen Arbeitsplatz wieder eingenommen.
Er hat sich sehr zu seinem Vorteil verändert, scheint reifer und männlicher geworden. Das sorglose, manchmal leichtsinnig wirkende Lachen ist verschwunden. Sein Vater kann auch in geschäftlicher Beziehung mit ihm zufrieden sein, und so zieht er ihn zu größeren Aufgaben heran, was Günther nur begrüßt. Albert Gellert ahnt, daß diese günstige Verwandlung seines Sohnes nur dem Einfluß Marinas zu verdanken ist.
Marina! Jetzt hat er sie für immer verloren. Da Günther Marina liebt, muß er, der ältere, zurücktreten, und wenn es noch so sehr schmerzt.
Er war immer ein liebevoller, verständnisvoller Vater, also darf er auch jetzt nicht versagen. Ja, er hält es für seine Pflicht, Günther zu seinem Glück zu verhelfen. Vor allem wird er ihm die Möglichkeit zu weiterer Entfaltung geben. Und das soll sofort geschehen; Er ruft seinen Sohn telefonisch zu sich.
Nur ein paar Minuten sind vergangen, als Günther sein Zimmer betritt.
»Setz dich, Günther«, fordert Gellert seinen Sohn auf. »Ich möchte etwas Geschäftliches mit dir besprechen. Du hast dich in letzter Zeit so sehr um das Geschäft bemüht, daß ich dich auserwählt habe, einen besonders wichtigen Auftrag auszuführen.«
»Handelt es sich um das persische Geschäft?« fragt Günther interessiert.
»Sehr richtig.« Albert Gellert schiebt seinem Sohn die Unterlagen zu. »Du kennst den Vorgang. Von allen Firmen haben wir das Rennen gemacht. Du mußt morgen nach Teheran fliegen, um das Geschäft zum Abschluß zu bringen.«
Günthers Gesicht umschattet sich. Morgen soll er die Stadt verlassen? Aber morgen wird Marina entlassen, und er hat ihr versprochen, sie abzuholen. Außerdem möchte er das entscheidende Wort mit ihr sprechen. Bisher gab es keine Gelegenheit dazu. Sie war ziemlich förmlich. Nichts in ihrem Wesen erinnerte an die Stunden in der Hütte.
»Warum zögerst du?« bringt Albert Gellert sich in Erinnerung. »Meinst du, es gäbe Schwierigkeiten?«
Günther faßt sich. »Ich freue mich, Vater, daß du ausgerechnet mich für die Aufgabe auserwählt hast. Natürlich fliege ich morgen. Ich dachte an eine rein private Angelegenheit.«
Marina, denkt Albert Gellert, natürlich handelt es sich um Marina. Es tut weh, und schnell blickt er auf die Post, die vor ihm liegt. Jeder Gedanke an Marina tut weh.
Mit gesenktem Blick sagt er:
»Wenn morgen Fräulein Braun entlassen wird, werde ich sie abholen und in ihre Wohnung fahren.«
»Vielen Dank, Vater«, erwidert Günther rasch und von Sorge erlöst. »Gerade darüber habe ich nachgedacht, da ich die Absicht hatte, sie selbst abzuholen. Dann werde ich heute zu ihr fahren und mich von ihr verabschieden.«
Albert Gellert nickt nur, und Günther geht aus dem Zimmer.
Eigentlich hat der Chefarzt Marina Braun noch nicht entlassen wollen. Auf ihr Drängen hin, und als Annemarie Kolber ihm versicherte, es würde Marina nicht an aufmerksamer Pflege fehlen, hat er zugestimmt.
Sehr blaß und schmal, rührend hilflos, sitzt Marina im Ohrensessel, den ihr die Schwester an das breite Fenster gerückt hat, und sieht verträumt in den parkähnlichen Garten.
Es ist ein zauberhaftes Winterbild, schneeverhangen sind die Bäume, und die Sonne malt bunte Kringel auf die unberührte Schneedecke. Marina schließt die Augen und schlägt die Decke fester um sich. Noch hat sie den Schock nicht ganz überwunden, und beim Anblick des winterlichen Gartens muß sie immerzu daran denken, daß eine solche weiße Decke ihr beinahe zum Grab geworden wäre. Ihr und Günther Gellert, der sich als guter Kamerad benommen hat, der fror, damit sie Wärme bekam. Bis zu dem Augenblick, da sie in Fieberschauer fiel, kann sie sich entsinnen, dann klafft eine Lücke in ihrem Gedächtnis.
Sie wirft einen Blick ins Zimmer. Blumen, Blumen, überall stehen Blumen. Es ist eine Pracht. Flieder, Rosen und Veilchen sind darunter. Günther Gellert hat sehr viel Geld ausgegeben, nur um ihr eine Freude zu machen.
Nachdem sie Besuche empfangen durfte, hat er mit keinem Wort auf die Vorgänge in der Hütte angespielt. Morgen will er sie abholen, und sie hat es ihm erlaubt. Annemarie war ein wenig beleidigt, doch dann schnell wieder versöhnt. So könnte sie Marinas Heimkehr recht festlich gestalten.
Ach, Annemarie, denkt Marina dankbar, wenn ich dich nicht gehabt hätte. Immer tauchte sie zusammen mit Günther Gellert auf, und Marina weiß nicht, warum ihr ein Alleinsein mit Günther unangenehm ist.
Kaum hat sie es gedacht, steckt Günther Gellert den Kopf zur Tür herein.
»Tag, Marina!« Langsam kommt er näher, legt die Blumen auf den Nachttisch und nimmt Marinas Hände, die er andächtig küßt. »Endlich sind wir einmal allein. Ich habe es mir so sehr gewünscht.«
»Holen Sie sich einen Stuhl herbei, Günther«,