Lux und Umbra 2. Silke M. Meyer

Lux und Umbra 2 - Silke M. Meyer


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nicht noch einmal mehr als zehn Jahre warten, um einen neuen Sohn zu zeugen. Ich will IHN!“ Die letzten Worte schrie Mason seinem Vater ins Gesicht.

      Nalars Miene verdüsterte sich zu einer drohenden Maske. Er überlegte, bevor er sprach: „Du kannst ihn noch immer gewinnen. Ja, er ist ihr Blut und sie ist lichtdurchflutet gewesen, doch jetzt wandelt sie lange Zeit in der Finsternis. Mathis ist ohne sie. Er wird ohne ihren Schutz auskommen müssen und das für eine lange Zeit. Auch deine Mutter war lichterfüllt, wie alle Frauen der Lux und Umbra-Linie. Doch ich war, genau wie du, durchdrungen von der Finsternis, und mein Blut hat in dir gewonnen. Auch in Mathis stecken beide Seiten. Noch ist er nicht für uns verloren. Und was die Prophezeiung angeht – mein Instinkt sagt mir, dass das noch nicht alles war.“

      Mason spürte, wie sein Kopf wieder klar wurde, wie kühle Überlegung zu ihm zurückkehrte. Er begriff, dass sein Vater Recht hatte. Dass er noch immer eine Chance hatte, seinen Sohn zu sich zu holen. Langsam drehte er sich um und sah in die fassungslosen Gesichter der Schwestern. Die meisten von ihnen hatten keine Ahnung gehabt, dass er der eigentliche und echte Prinz der Finsternis war. Dass Sage, der Vampir, dem Licht näher war als jeder andere Hüter vor ihm. Nur wenige von ihnen waren eingeweiht worden und hatten sich Mason aus freien Stücken angeschlossen. Die anderen wurden nun von seinem Gefolge festgehalten. Langsam ging er auf sie zu und sah jeder Einzelnen ins Gesicht. Bei Rose, die ihm am vertrautesten war, blieb er stehen. Es galt ihren Willen zu brechen, das wusste er, dann hatte er eine Chance, dass auch die anderen ihm folgen würden.

      Rose spuckte ihm vor die Füße und mit fester Stimme sprach sie: „Du bist also ein Wesen der Finsternis. Ich hätte es merken müssen. Doch glaube nicht, dass ich mich dem Licht jemals abwenden werde.“

      Mit einer fließenden Handbewegung schlug Mason ihr mitten ins Gesicht.

      Rose ging augenblicklich zu Boden. Aber ihr Kampfgeist war nicht gebrochen. Verächtlich spuckte sie Mason vor die Füße. Das Blut, dass sie dabei ausspie, verteilte sich im Schnee.

      „Legt sie in Ketten und bringt sie alle auf die Burg!“, befahl Mason.

      Froh, dass niemand von ihnen den Tod finden musste, befolgten die Masama seinen Befehl sofort.

      *

      Wild trommelte Mathis auf Sephora ein und schrie: „Warum hast du nicht sie gerettet? SIE ist es, auf die es alle abgesehen haben. SIE hättest du retten müssen, nicht mich!“ Tränen der Verzweiflung rannen ihm über das Gesicht.

      „Weil sie das nicht wollte. Es war ihre Entscheidung, dass ich dich mitnehme.“ Sanft zog Sephora den schluchzenden Mathis in ihre Arme. „Und hab keine Angst. Du wirst sie wiedersehen. Deine Mutter ist nicht tot, zumindest glaube ich das.“

      Mathis kämpfte sich frei und schaute auf. „Sie ist nicht tot? Aber du hast sie doch gesehen. All diese Pfähle! Sie haben sie überall getroffen – das ganze Blut. Und gegen die Magie des dunklen Königs hatte sie keine Chance.“ Wieder wurde er von einem Weinkrampf geschüttelt und schien sich nicht beruhigen zu wollen.

      Erst als Benedicta ihre Hände sanft auf seine Schultern legte und Mathis zu sich umdrehte, war er bereit, zuzuhören. „Ich glaube nicht, dass Sage sie einfach so sterben ließ. Er liebt sie, Mathis, und ich bin sicher, dass deine Mutter am Leben ist, wenn auch anders als bisher. Auch sie selbst trägt Magie in sich. Das wird ihr helfen, also hör auf, dir so viele Sorgen zu machen. Irgendwie wird sie schon damit klarkommen.“

      Sephora nickte. „Deine Mutter wird ihre Zeit brauchen und vielleicht eine Weile in der Dunkelheit wandeln. Während dieser Zeit wird sie nicht sie selbst sein und sich nicht unter Kontrolle haben, aber Sage wird ihr helfen. Und sobald sie sich beherrschen kann, werden wir beide zu uns holen und sehen, wie es weitergeht. Solange bleibt ihr bei mir. Hier seid ihr sicher!“

      Ungläubig schaute Mathis auf. „Wie es weitergeht? Es ist noch nicht vorbei?“ Sephora und Benedicta schüttelten gleichzeitig den Kopf.

      „Und was ist mit Mason? Wieso ist er auf den Vampir losgegangen? Ich weiß, dass er ihn nicht mag, aber warum warf er die Pflöcke, wenn er doch sehen musste, dass er meine Mutter treffen würde?“

      Benedicta und Sephora schauten sich an. Der Blick, den sie austauschten, verriet Mathis, dass sie ihm noch längst nicht alles gesagt hatten.

      „Mathis“, sprach Sephora. „Wir werden dir einiges erklären müssen, aber nicht jetzt! Lass uns erst einmal hineingehen.“

      Mathis schluckte seine Fragen herunter und schaute sich zum ersten Mal seit seiner Ankunft an diesem Ort richtig um. Er saß auf der Kuppe eines Hügels, die ihm einen guten Blick auf eine gigantische Anlage freigab. Eine dicke Mauer, von einem Graben mit schimmerndem Wasser gesäumt, zog sich sternförmig um ein Schloss, dessen Schönheit er nur erahnen konnte. Es wirkte ziemlich wehrhaft. Aus der Mauer ragten Zähne aus Metall, die sich kreuzten und ein Überklettern unmöglich machten. In regelmäßigen Abständen blitzten dazwischen eiserne Speerspitzen auf. Mathis vermutete, dass dort Wachen zusätzlich Patrouille liefen. „Komm! Wir sollten hier nicht länger ungeschützt herumsitzen“, forderte Sephora Mathis auf.

      Benedicta benötigte keine Aufforderung, sie wartete bereits ungeduldig.

      Als Mathis neben Sephora den Berg hinunterlief, fasste Benedicta seine Hand. Mathis bemerkte es kaum, zu sehr faszinierte ihn die Wehranlage, der sie näherkamen. Wachen liefen ihnen entgegen und verbeugten sich tief vor Sephora.

      „Schon gut!“ Mit einer Handbewegung hieß sie ihre Untertanen, weiterzugehen und sich wieder ihren Pflichten zu widmen.

      Als sie über die Zugbrücke gegangen waren, hievten vier Männer sie sofort nach oben. Mathis sah, dass sich Sephoras Schultern entspannten. Der harte Zug um ihre Lippen wich einem Lächeln.

      Jetzt musste er seine Neugier nicht länger zügeln. Mathis ließ Benedictas Hand los und lief voraus. Das kleine Stück Wiese, dass sich zwischen Mauer und Wassergraben befand, würde kaum Platz für mehr als zwanzig Männer bieten, aber das war auch nicht nötig, denn dahinter wartete die mächtige Mauer. Deren Gittertor war hochgezogen. Als Mathis die Mauer durchschritt, zählte er zehn Schritte, bevor er wieder ins Freie trat. Er drehte sich nicht um, denn das Quietschen des herabsinkenden Gitters sagte ihm, dass die anderen ihm gefolgt waren. Stattdessen sah er staunend nach oben. Mathis stand zwischen zwei Mauern – es gab eine äußere und eine innere dicke Wand. Steile Treppen führten von dem schmalen Zwischenstreifen auf die äußere Mauer, auf der, wie er vermutet hatte, Wachen patrouillierten. Sanft schob Sephora ihn nun durch das weit geöffnete Tor der zweiten Mauer in den Innenhof. Vor ihm lag eine Burg, die heller strahlte, als alles, was er jemals gesehen hatte. Mathis hob den Arm und legte ihn schützend über die Augen, um die blendende Helligkeit ein wenig abzuschwächen. Die Wände glitzerten im schwachen Licht der untergehenden Wintersonne, als wären sie mit Diamanten besetzt. Auf dem Dach türmten sich Schneemassen. Bodentiefe Fenster zierten die gesamte vordere Ansicht. Für den Moment hatte Mathis seinen Kummer vollständig vergessen. Er betrachtete mit offenstehendem Mund das lichterfüllte Gelände. Bewegungen auf dem Weg über den Innenhof, auf dem mehrere kleine Häuser standen, zogen seine Aufmerksamkeit an. Alle Dächer trugen eine dicke Schneedecke und zu den Eingangstüren führten nur schmale Pfade, links und rechts von Schneebergen gesäumt. Und trotzdem, waren viele Gestalten dort unterwegs, leuchteten unzählige kleine Lichter unter dem Schnee hervor. Aus überdachten Pferchen blökten ihm Schafe entgegen, suhlten sich Schweine im Schneematsch und aus den angrenzenden Ställen erklang das Trampeln von Pferdehufen. Die allgegenwärtigen Liwanaganer, die Mathis sofort an ihrem kleinen Körperwuchs erkannte, lächelten ihn freundlich an, verbeugten sich tief vor Sephora und betrachteten Benedicta mit erstaunten Gesichtern, als sie auf einem der schmalen Pfade zum Palast gingen.

      Als sich das Eingangsportal zum Palast knarrend geöffnet hatte, hörte Mathis Sephora sagen: „Willkommen im echten Palast des Lichtes!“

      *2*

      In Armut und sonstiger Not aber

      gilt der Freund


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