Lux und Umbra 2. Silke M. Meyer

Lux und Umbra 2 - Silke M. Meyer


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Magie immer zwei Seiten hat. Die lichte Seite wird niemals ohne die dunkle Seite bestehen, so wenig wie die dunkle Magie ohne die helle. Auch ich könnte schwarze Magie ausüben, wenn ich wollte. Je nachdem, wie sich der Einzelne entscheidet, gewinnt das eine oder das andere Oberhand. Charlotte wird nun durch alle Bereiche der Magie gehen müssen und dann eine Entscheidung treffen. Ich bin sicher, dass die Lichtseite siegen wird, aber vorher muss sie durch die Dunkelheit. Anders geht es nicht. Sage wird ihr helfen. Er ist ein Schattenwesen und trotzdem siegte seine Lichtseite. Du hast auch seine Aura gesehen. Er wird sie begleiten durch die Dunkelheit. Das wird auch ihn nach unten reißen, aber er hat es schon einmal geschafft, sich dem zu entziehen. Er kann es auch ein zweites Mal schaffen. Wir müssen vertrauen und können vorerst nur abwarten. Charlotte und Sage sind miteinander verbunden seit ihrer frühesten Kindheit, doch sie haben es vergessen. Schon damals wusste ich, dass sie zusammen Großes vollbringen werden.“

      Sephora zog die fassungslose Benedicta in ihre Arme. „Mason hatte auch eine Wahl?“, schluchzte diese auf.

      „Ja. Die hatte er. Aber Mason ist schon sehr lange unter dem Einfluss des Namenlosen. Er kennt es kaum anders. Die Liebe zu Mathis, seinem leiblichen Sohn, könnte das ändern. Ich glaube wirklich, dass er ihn liebt. Es geht nicht nur um Macht. Das sind echte Gefühle.“

      „Nein. Das glaube ich nicht. Du hast ihn nicht erlebt, Sephora. Als er Sage im Palast gefangen hielt, hörte er Mathis nicht einmal richtig zu. Er war so grob zu ihm. Er liebt ihn nicht.“ Wütend spie Benedicta die Worte heraus.

      Sephora strich der jungen Schwester über die wilden Locken und seufzte. „Mit den Augen eines Kindes, egal wie alt diese Kinderaugen auch sind, wirkt die Welt oft so einfach. Aber es gibt mehr als schwarz und weiß. Die vielen Grautöne dazwischen sind es, die das Leben erst lebenswert machen. Du musst lernen, auch sie zu sehen. Du kamst viel zu früh in diese Welt, hast keine Chance gehabt, erst erwachsen zu werden. Und so schlau du inzwischen auch geworden bist, deine Seele ist noch immer die eines Mädchens.“ Sephoras Hand glitt an Benedictas Wange herab. „Wir sollten schlafen gehen. Der morgige Tag wird anstrengender werden. Wir müssen Mathis einiges erklären und ihm den Rücken stärken. Er wird seine Mutter suchen wollen, aber genau das geht nicht. Komm, ich zeige dir dein Zimmer.“ Behutsam schob Sephora Benedicta zur Tür.

      „Kann ich nicht bei Mathis schlafen? Wir haben die letzten Wochen im Palast in einem Zimmer gewohnt. Es ist in Ordnung und ich glaube, es wäre besser, wenn jemand bei ihm ist, wenn er aufwacht.“

      „Das glaube ich auch. Dann schlaf gut!“ Sephora verabschiedete sich vor Mathis ´Zimmertür.

      Benedicta schlich in den Raum, schloss leise die Tür und legte sich neben Mathis.

      *4*

      Du musst Dunkelheit spüren, um das Licht zu lieben.

      Argyris Eftaliotis

      Mason wies die Masama an, die gefangenen Schwestern in die Verliese zu sperren. Diejenigen, welche die Seiten bereits gewechselt hatten, folgten Nalar. Selbstgefällig schritt der dunkle König voran.

      Masons Zorn verstärkte sich, als er den halbwegs zufriedenen Gesichtsausdruck auf Nalars Gesicht sah. Wut kochte in ihm hoch. Nicht nur, dass es ihnen missglückt war, sich diesen Vampir vom Hals zu schaffen. Mason hatte zuschauen müssen, wie auch sein Sohn spurlos verschwand. Zornig betrat er die Räume, die bisher Sage bei seinen Besuchen in der dunklen Burg genutzt und als sein Eigen betrachtet hatte. Erbittert trat er gegen den Pfosten seines Bettes, bevor er sich darauf warf. Während er blicklos in die Luft starrte, kam ihm immer wieder Mathis in den Sinn. Wo war Sephora auf einmal hergekommen? Seit Jahrhunderten hatte niemand sie mehr gesehen. Und dann hatte sie dagestanden, in all ihrer leuchtenden Pracht. Mathis wurde weggezerrt von einer Macht, die Mason längst für erloschen hielt. Aber Sephora war da. In vollem Glanz, mächtig wie nie zuvor. Und sie hatte Mathis in ihren Fängen. Mason sah keine Chance mehr, seinen Sohn für sich zu gewinnen.

      Er war nicht in der Lage zu schlafen und sprang auf. Leise verließ er sein Zimmer und trat in den dunklen Thronsaal hinaus. Am Fenster nahm er den dunklen Schatten seines Vaters wahr. „Komm her, mein Sohn, und sieh es dir an. Seit Jahrhunderten habe ich das nicht gesehen.“

      Mason trat zu seinem Vater ans Fenster und folgte seinem Blick über die glitzernde Schneelandschaft, die die rauen Felsen in ein viel zu freundliches Kleid steckte. Am Horizont strahlte eine Lichtsäule in den tiefschwarzen Himmel.

      „Was ist das?“

      „Das“, antwortete Nalar, „ist der Glanz des Lichtpalastes. Er schickt sein Leuchten in den Nachthimmel, und alle im Land wissen nun Bescheid. Sephora ist wieder da. Und sie ruft sie zu sich. All die Wesen, die auch nur annähernd ihr zugewandt sind, werden zum Lichtpalast pilgern. Auch aus unserem Teil des Landes werden die Zweifler sich zu ihr ziehen lassen. Das war schon immer so. Nicht einmal die Himmelsgestirne können dem widerstehen. Schau!“ Nalar zeigte nach oben. Die Monde der Welt hatten sich geteilt. Mason starrte gebannt in den Himmel.

      „Ich wusste nicht, dass sowas möglich ist“, sagte Mason. Pula und Puti standen über dem Schein, den der Lichtpalast von sich gab. Im Widerschein leuchtend, fest beieinander, vereint und standhaft. Itim jedoch, die kleine graue Kugel mit dem finsteren Gesicht, wanderte ziellos über ihre eigene Burg hinweg, unruhig von einer Seite des Himmels zur anderen, wie ein Wolf in einem viel zu kleinen Gehege.

      „Was bedeutet das, Vater?“ Mason war unbändig neugierig und verfluchte die genießende Ruhe, die sein Vater ausstrahlte.

      „Das ist der Beginn. Es wird einen Krieg geben und es ist offen, welche Seite dieses Mal siegt. Du kennst die Geschichte, Sohn.“

      „Ja, aber beim letzten Mal gab es nicht mal einen Krieg. Nur ihr beide habt eure Kräfte gemessen. Keine Seite hat gesiegt. Sephora verschwand einfach. Und wir waren zum Warten verdammt. Wir sollten besser nicht zögern und sofort unsere Truppen zusammenstellen. Lass uns zum Palast ziehen. Sieh dir doch ihren Hochmut an. Leuchtet wie eine Fackel und weist uns den Weg. Worauf warten wir?“

      „Benimm dich nicht wie ein Kind. Es wäre unnütz, wenn wir dorthin ziehen. Wir kämen ohnehin nicht durch. Sephora hat ihr Reich geschützt mit lichter Magie. Wir können sie nicht brechen. Lass ihnen Zeit für die Vorbereitungen und genieße die Vorfreude einer großen Schlacht. Wir warten ab, bis sie zum Kampf bereit sind, und dann zerschlagen wir sie ein für alle Mal.“

      Nalar trat vom Fenster zurück und verließ den Raum. Mason blieb allein zurück und beobachtete weiterhin den Nachthimmel.

      *5*

      Hoffnung und Erinnerung sind zwei liebliche Schwestern.

      Erstere ist wie Morgenrot; sie lächelt lange vorher,

      ehe die Sonne erscheint.

      Letztere umspielt uns wie Abendröte,

      wenn auch die Sonne schon längst untergegangen ist.

      Heinrich Martin

      „Es beginnt.“ Enndlin stand in den Baumwipfeln und ihre Augen schimmerten in einem zarten Grün. Beinah durchsichtig. Ana stand einige Äste unter ihr und schaute zu den erwartungsvoll nach oben blickenden Frauen, die es sich auf den unteren Ästen bequem gemacht hatten. „Sie hat den Blick. Sie sieht es. Sephora ist zurück!“

      Bewegung kam in die Massen unter ihr. Brida schlug erfreut die Hände gegeneinander. Yrmel umarmte Agth und die alte runzlige Kwne sah mit glänzenden Augen ihre Enkelin Affra an, die auf ihrem Schoss saß.

      „Dann ist die Eine geboren und auf dem Weg zu uns.“ Geschickt sprang die siebzehnjährige Ana von einem Ast zum nächsten, bis sie unten ankam. Aufgeregt prasselten ihre Fragen auf die anderen ein.

      „Was meint ihr? Wann wird sie hier sein? Wie ist sie? Kommt sie allein? Wird sie Hilfe haben? Ob sie uns überhaupt findet?“

      Kwne


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