Lux und Umbra 2. Silke M. Meyer

Lux und Umbra 2 - Silke M. Meyer


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Bitte! Niemand darf wissen, dass wir hier sind.“ Eindringlich sah Sage der Frau in die Augen. Er konnte den Kampf förmlich sehen, den Marietta mit sich austrug. Ihr schweres Schlucken war selbst für einen Menschen zu hören. Doch dann seufzte sie und erklärte sich nickend einverstanden. Sage würde mit ihrem Mann reden müssen, damit sie wirklich keine Alleingänge unternahm, da war er sicher. Doch vorerst würde sie nichts unternehmen.

      „Danke!“, sagte er und meinte es ehrlich.

      Beide kehrten zu Carly zurück. Sage befreite Carlys Wunden vom Schmutz und legte lockere Verbände an. Drei der unzähligen Wunden verband er mehrfach neu. Doch dann sickerte kein frisches Blut mehr durch die Verbände und Sage atmete auf. Er strich Carly mit so zärtlicher Sanftheit über das Gesicht, dass Marietta nachgiebig lächelte und ihn mit verträumten Augen fragte: „Sie lieben sie sehr, nicht wahr?“

      Ein dicker Kloß machte sich in Sages Kehle breit, bevor er antwortete: „Sie ist mein Leben. Ohne sie wird es sinnlos und überflüssig!“ Dann nahm er Carly auf seine Arme und folgte der vorauseilenden Frau in das obere Stockwerk.

      „Antonio ist fertig. Ich hoffe, es genügt Ihnen“, sagte Marietta, als sie die Tür zum Gästezimmer aufstieß. Eine angenehme Wärme verbreitete sich im Raum und ein würziger Duft schwebte in der Luft. Antonio, der Hausherr, musste einige Kräuter auf das Feuer im Kamin geworfen haben, um es seinen Überraschungsgästen so angenehm wie möglich zu machen.

      Sage legte Carly auf das Bett und deckte sie sanft zu. Dann trat er auf den Flur hinaus. Antonio und Marietta warteten auf ihn.

      „Das Zimmer ist völlig ausreichend. Ich danke Ihnen von Herzen und werde versuchen, es wieder gut zu machen. Doch ich möchte noch einmal darum bitten, niemanden zu sagen, dass wir hier sind. Das ist der beste Schutz für meine Gemahlin und mich.“ Eindringlich sah er Marietta an. Antonio nickte sofort.

      „Das sollte kein Problem sein, mein Herr. Doch sagt mir eins: Werdet Ihr, Eure Gattin und Ihr selbst, wegen eines Verbrechens gejagt?“

      „Nein. Das kann ich Euch bei meiner Ehre versichern. Wir sind ganz unschuldig in diese Situation geraten, doch ich weiß, dass sie uns suchen werden. Zu Eurem eigenen Schutz werde ich nicht mehr erklären, Ihr müsst mir vertrauen.“ Sage legte den überzeugendsten Ton in seine Stimme, den er aufbringen konnte. Antonio und Marietta sahen sich kurz an, schienen ein stummes Übereinkommen zu treffen, dass man dem nächtlichen Besuch glauben könnte und nickten.

      „Dann gehen wir jetzt wieder schlafen, mein Herr. Scheut Euch nicht, bei uns zu klopfen, wenn Ihr Hilfe benötigt. Und versucht Euch ebenfalls auszuruhen“, sprach Antonio und zog seine Frau mit sich.

      Sage kehrte in das Zimmer zurück und betrachtete Carly. Mühsam nur hob sich ihr Brustkorb bei jedem Atemzug. Sage wusste, wenn Carly jetzt starb und sich verwandelte, würden die Gastgeber den Morgen nicht mehr erleben. Unkontrolliert und gierig auf Blut würde eine frisch gewandelte Vampirin sich kaum davon abhalten lassen, sich auf diese Menschen zu stürzen, um sie auszusaugen und anschließend das Dorf niederzumetzeln. Sie durfte einfach nicht sterben. Er erinnerte sich an seinen Besuch in der dunklen Burg, wie angeekelt sie sein Angebot verneint hatte. Sie wollte kein Vampir sein, das hatte sie mehr als deutlich gesagt und gezeigt. Sage war nicht einmal sicher, ob sie sein Blut aus dem Röhrchen getrunken hatte. Vielleicht hatte sie ihren Tod bewusst in Kauf genommen. Vielleicht wollte sie lieber sterben, als zu einem Geschöpf, wie er es war, zu werden. Aber er konnte ihren Tod nicht akzeptieren. Ganz egal, ob sie ihn danach hassen würde, aber sie würde leben. So oder so. Vorsichtig legte er sich neben Carly auf das Bett. Ihr schwacher Herzschlag dröhnte förmlich in seinen Ohren. Er würde es sofort registrieren, wenn ihr Herz zu schlagen aufhörte. Jetzt jedoch konnte Sage nur abwarten und hoffen. Hoffen darauf, dass sein Blut sie heilen würde. Langsam, aber vollständig.

      *3*

      Wissen ist das Kind der Erfahrung.

      Leonardo da Vinci

      Leise schloss Sephora die Tür. „Er schläft nun endlich”, sagte sie an Benedicta gewandt.

      „Gut. Das war ein aufwühlender Tag für ihn.“

      „Ja, das war es. Trinkst du noch einen Tee mit mir, meine Liebe?“ Sanft nahm Sephora die zarte Benedicta an den Arm und zog sie hinter sich her.

      Benedicta selbst platzte beinah vor Fragen, die sich in ihr aufgestaut hatten. Doch vorerst folgte sie Sephora stumm und nahm dankbar eine heiße Tasse duftenden Kräutertee in Empfang. Eine Weile saßen sie schweigend vor dem Kamin. Schließlich unterbrach Sephora diese Stille. „Nun frag mich einfach!“ Auffordernd schaute sie Benedicta an.

      „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Ich bin so überwältigt, hier zu sein. Hier ist der mir bestimmte Platz. Ich kann es fühlen. Warum ist mir nie aufgefallen, dass dem Palast, in dem wir mit Mason wohnten, jegliche Magie fehlte? Hier spüre ich sie in jeder Ecke. Es ist, als würde sie durch die Wände fließen.“

      Lächelnd antwortete Sephora ihr: „Wie willst du das Fehlen von etwas bemerken, was du nicht kennst? Dir fällt der Unterschied jetzt auf, wo du hier bist. Du konntest es vorher nicht wissen. Mach dir keine Vorwürfe. Wir haben uns absichtlich so lange versteckt gehalten. Niemand sollte wissen, dass es uns noch gibt.“

      „Uns? Und warum?“

      „Uns, das sind meine Schwestern und ich. Ich bin ihr Oberhaupt. Du lernst die anderen morgen kennen. Wir mussten warten auf die Eine. Charlotte ist von meinem Blut und bestimmt dazu, dass durch ihre Kraft die Erde geschützt wird, dass unsere Welt nicht in Dunkelheit versinkt. Ich kann ihr helfen, doch sie muss es bewirken, sie trägt die Kraft in sich, die alles neu ordnen wird. Seit Jahrhunderten erwarten wir sie.“

      Verstehend nickte Benedicta. „Aber wo ist Carly jetzt? Weißt du es?“

      „Nein. Aber ich bin mir sicher, dass Sage sie nicht allein lässt und alles tun wird, was in seiner Macht steht, damit sie überlebt. Wie auch immer das aussehen mag.“ Nachdenklich schaute Sephora in ihre Teetasse.

      Benedicta runzelte ihre Stirn. „Wie immer das aussehen mag? Was meinst du damit? Er wird sie zum Vampir machen, oder nicht? Wie sonst soll sie das überleben?“ Wieder sah Benedicta den Anblick der Mutter ihres besten Freundes vor sich: Blutüberströmt war sie in die Arme des Vampirs gesunken. Einige Pfeile steckten noch in ihr, doch schlimmer waren die feinen, schwarzen Rauchschwaden, die Nalars Magie hinterließen und die aus Carly herausströmten, nachdem sie ihr Werk verrichtet hatten.

      Ein wissendes Lächeln umspielte Sephoras Lippen: „Wenn es sich vermeiden lässt, wird er das nicht tun. Ich glaube nicht, dass Sage Charlotte zum Vampir machen wird. Nicht, wenn sie eine andere Möglichkeit hat.“

      „Aber die schwarze Magie! Ich habe gesehen, dass der Namenlose keine Pflöcke warf. Er schoss nur diese schwarzen Blitze auf sie ab. Sie war tot. Eindeutig.“

      „Nein, das war sie nicht. Schwer verletzt, ja. Aber nicht tot. Keiner der Pfähle traf Charlotte am Herzen. Ich vermute, dass sie das Blut, welches Sage ihr gab, getrunken hat. Das wird ihr helfen, nicht sofort zu sterben. Es heilt sie. Langsam, aber es stirbt sich nicht so schnell, wenn man Vampirblut im Körper hat. Und die schwarze Magie, die konnte sie nicht verletzen. Magie kann keine Magier verletzen, die sie in gleicher Art selbst in sich tragen. Ihr Körper absorbiert es lediglich.“

      Sephora verstummte, als Benedicta aufgewühlt von ihrem Sitz hochsprang.

      „Carly trägt schwarze Magie in sich? Wie …?“

      Auch Sephora erhob sich und ging langsam zu Benedicta hinüber. „Ja, sie trägt es ihn sich. Charlotte entstammt der Blutlinie von Lux und Umbra. Die stärkste Nachfahrin, die ich je hatte. Die Magie – helle wie auch dunkle – schlummert tief in ihr, sie muss nur erweckt werden.“

      Noch immer verständnislos hakte Benedicta nach. „Aber du bist Licht. Nicht wie der Namenlose, der nur schwarze Magie versprühen kann. Carly ist deine Nachfahrin. Eine lichtdurchflutete


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