Lux und Umbra 2. Silke M. Meyer

Lux und Umbra 2 - Silke M. Meyer


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die reglos in seinen Armen lag. Sie zeigte keinerlei Anzeichen, dass sie erwachen würde. Mehrfach hatte er sie durchsucht in der Hoffnung, das leere Röhrchen zu finden, doch sie hatte es nicht bei sich. Noch schlug ihr Herz schwach, doch Sage fürchtete den Moment, an dem es aufhören würde. Hatte sie sein Blut getrunken? Würde sie zurückkommen, ganz egal wie? Je länger er darüber nachdachte, desto unsicherer wurde Sage. Er kannte ihre Entscheidung nicht, doch er wusste eins ganz sicher: Lieber würde er mit einer lebendigen, ihn hassenden Carly leben als ohne sie.

      Er biss sich selbst und flößte Carly sein Blut ein. Sollte sie sich bewusst dagegen entschieden haben, sein Blut zu trinken, würde sie ihm das unter Umständen niemals verzeihen. Aber es war ihm egal.

      Vorsichtig stand er auf und hob Carly auf seine Arme. Einen erneuten Sprung würde sie in diesem Zustand nicht verkraften und Sage hatte auch keine Ahnung, welche Verstecke sein Vater wirklich nicht kannte. Offensichtlich wusste er mehr, als Sage lieb war. Er brauchte also dringend einen Unterschlupf für sie beide – hier, in dieser Zeit, die er nicht festgelegt hatte. Sein einziger Gedanke beim Sprung war gewesen, ein sicheres Versteck zu finden. Sie waren hier gelandet, mitten im Wald. Noch wusste Sage weder wo, noch wann er angekommen war. Er musste es schnellstens herausfinden, denn Carly würde sehr lange Zeit benötigen, um zu genesen. Oder mit dem Umstand, ein Vampir zu sein, klarzukommen. Doch den letzten Gedanken verdrängte Sage. Er würde alles tun, um sie davor zu bewahren. Nur als letzte Möglichkeit, um sie nicht für immer zu verlieren, zog er dieses Dasein für Carly in Betracht.

      Vorsichtig lief er los. Sein Instinkt lenkte ihn. Als die Bäume ihm endlich den Blick freigaben, sah Sage, dass er sich auf der Kuppe eines Berges befand. Tief im Tal spiegelte sich das Mondlicht in einem See, eingebettet zwischen massiven Felsen, auf denen nur versprengt einige Lichter zu sehen waren, die auf Dörfer hinweisen.

      Sage versuchte, so behutsam wie möglich aufzutreten, damit Carly nicht durchgeschüttelt wurde. Trotzdem wimmerte sie leise. Sein Herz schlug, im Gegensatz zu ihrem, laut und hart gegen seine Brust, eine imitierte menschliche Eigenschaft, die er so verinnerlicht hatte, dass er sie nicht ablegen konnte.

      Vor ihm tauchten die ersten kleinen Hütten eines schlafenden Dorfes auf. Alles war friedlich, niemand schien mehr wach zu sein. Sage hoffte, dass man ihm dort helfen konnte. Vielleicht würde ja sogar eine Hütte leer stehen. Er ging geradewegs zum größten der Häuser – ein zweistöckiges Gutshaus in einem großen Hof. Dort würde vermutlich einer der Dorfältesten wohnen. Ungestüm klopfte er an die Tür. Sage wagte nicht, Carly auch nur einen Moment abzulegen, also benutzte er seinen Fuß. Dann wartete er ungeduldig. Nichts. Noch einmal trat er gegen die Tür, so fest, dass sie beinah aus den Angeln flog. Endlich nahm er den Lichtschein einer Kerze im Haus wahr und beobachtete, wie der Träger selbiger sich langsam und vorsichtig durch das obere Stockwerk bewegte. Mit seinen Vampirsinnen hörte er die zaghaften Schritte auf der Treppe, bis die Person vor der Tür verharrte. Sage war sofort klar, dass er sich am Anfang des 18. Jahrhunderts befand. Es gab kein elektrisches Licht und auch die Öllampe war offenbar noch unbekannt.

      „Wer ist dort?“ Eine kräftige Männerstimme.

      Sage war am Rande seiner Beherrschung. Carlys Herzschlag war kaum noch wahrzunehmen. Doch er konnte es sich nicht leisten, jetzt kämpfen zu müssen. Also entschied er, im höflichen Ton sein Anliegen vorzutragen.

      „Jemand, der dringend Hilfe benötigt. Bitte öffnen Sie, mein Herr! Meine Gemahlin ist schwer verletzt. Sie wird sterben, wenn wir nicht eintreten dürfen.“ Sage musste sich weder verstellen noch anstrengen, um seiner Stimme die nötige Dringlichkeit zu verleihen.

      Augenblicklich wurde die Pforte einen Spalt weit geöffnet. Sage sah als erstes einen grauen Vollbart, der die Lippen des Mannes fast versteckte. Mit misstrauischem Blick prüfte der Hausherr den Besucher. Als er Carly in Sages Armen entdeckte, öffnete er sofort weit seine Tür. „Herr im Himmel, was ist ihr passiert?“ Er trat einige Schritte zurück, so dass Sage eintreten konnte.

      „Marietta!“, rief der Hausherr nach oben. „Komm schnell herunter. Wir brauchen deine Hilfe!“

      Dann eilte er voraus und räumte ein altes, verschlissenes Sofa frei. „Schnell, schnell! Legen Sie sie hin! Ich werde sofort den Knecht nach einem Arzt schicken. Doch das wird dauern. Wir leben hier sehr abgeschieden.“

      „Danke. Das wird nicht nötig sein. Ich bin selbst Arzt. Alles, was ich vorerst brauchte, war ein Dach über dem Kopf und die Wärme eines Hauses.“ Bei diesen Worten blickte Sage auf den erloschenen Kamin. Der Mann verstand sofort. Er eilte nach draußen, um Holz zu holen.

      Marietta, eine kleine rundliche Frau, tauchte im Türrahmen auf und schlug die Hände vor den Mund. „Ich bringe Euch Tücher und Wasser! Braucht Ihr noch etwas?“

      Sage schüttelte den Kopf und sie verschwand in der Küche.

      Vorsichtig öffnete Sage Carlys Kleidung ein Stück und prüfte die Schwere ihrer Wunden. An Armen und Beinen klafften tiefe Risse, die schlimm aussahen, aber nicht besorgniserregend waren. Sage ignorierte sie. Doch an ihrem Oberkörper sickerte noch immer das Blut aus runden, tiefen Wunden. Die Ränder der Verletzungen waren schmutzig und ausgefranst. Der Dreck des Waldbodens klebte an ihnen. Sage legte seine Finger auf eine Wunde neben Carlys Herz. Nur um Millimeter hatte einer der Pflöcke es verfehlt. Sages Blut würde ihr helfen, zu heilen. Die kleineren Verletzungen heilten bereits von innen nach außen, doch Sage musste dringend die Blutungen der großen Verletzungen stoppen. Carly brauchte Zeit, denn auch sein Blut vermochte es nicht, mehrere Verletzungen dieser Schwere sofort zu heilen. Ein Zittern lief durch ihren Körper. Dankbar nahm Sage der Hausherrin die Tücher aus der Hand, die sie in dem Moment zu ihm brachte. Er breitete eines über Carly aus und wickelte sie dann in warme Decken. Er würde weiter abwarten müssen. Es war zu kalt in diesem Zimmer, um mehr zu tun. Carlys Herz schlug gleichbleibend schwach. Immerhin wurde es nicht noch schwächer.

      Der Herr des Hauses feuerte den Kamin an. Schnell wurde es warm.

      „Ich werde oben ein Zimmer zurechtmachen. Es besitzt ebenfalls einen Kamin, den ich gleich beheizen werde. Dann habt Ihr es auch dort warm, mein Herr. Meint Ihr, sie schafft es bis nach oben?“, fragte ihr Gastgeber nach.

      Sage nickte.

      Mitfühlend betrachtete Marietta Carly und strich ihr übers Haar. „Sie ist so blass. Wie viel Blut hat sie verloren, mein Herr?“

      „Zu viel, fürchte ich.“ Sage seufzte. „Ich werde hier unten die Wunden reinigen und verbinden und dann, denke ich, können wir in das Zimmer umziehen. Vielen Dank, ich werde Eure Hilfe nicht vergessen.“

      Nachdem der Hausherr das heiße Wasser in die Wohnstube geschleppt hatte, zog er sich diskret zurück. Marietta blieb und reichte Sage ein Tuch, welches sie vorher befeuchtete.

      Sehr vorsichtig reinigte Sage Carlys Gesicht und gab das verschmutzte Tuch an Marietta zurück. Dann zog er die Decke und das Tuch von Carly. Mit einem Messer schnitt er Carlys Kleid auf und streifte die Kleidung von ihrem Körper.

      Marietta stieß einen kurzen Schrei aus.

      „Was ist Euch nur zugestoßen? Wie kommt sie zu solchen Verletzungen? Wurdet Ihr angegriffen?“, japste sie, als sie das volle Ausmaß der Verletzungen sah.

      „Ja. Ein unfairer Kampf. Wir hatten kaum eine Chance. Jemand kam uns zu Hilfe. Ich weiß nicht, wer es war, aber so konnte ich mit meiner Gemahlin auf den Armen fliehen“, log Sage. „Reichen Sie mir bitte das Tuch, Marietta?“

      „Das ist barbarisch!“, schimpfte Marietta und sprang aufgeregt von ihrem Platz auf. „Wir sollten sofort einen Trupp zusammenstellen, der die Schuldigen sucht, und sie ihrer gerechten Strafe zuführen.“

      Sie stürmte zur Tür, um ihren Mann den Auftrag zu geben. Sage ließ das Tuch ins Wasser fallen und stand neben ihr, als Marietta die Hand auf die Klinke legte. „Bitte! Es wäre mir lieber, wenn niemand weiß, dass wir hier sind.“

      „Sie haben Angst, das ist verständlich, aber wir haben gute Männer!“

      „Trotzdem. Ich habe keine Angst um mich, aber um meine Gattin.


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