Lux und Umbra 2. Silke M. Meyer

Lux und Umbra 2 - Silke M. Meyer


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Nacht hatte Carlys Herz immer wieder für Sekunden ausgesetzt, neue Reserven geholt und schlug dann weiter. Nun hatte es seine Regelmäßigkeit wiederaufgenommen. Es schlug schwach, aber es schlug noch immer.

      Die Tür öffnete sich leise und Marietta betrat den Raum. In ihrem Arm trug sie neues Verbandmaterial und eine Schüssel mit warmem Wasser. „Ich habe ein kleines Frühstück hergerichtet, wenn Ihr mögt, mein Herr. Wie geht es Eurer Gemahlin heute Morgen?“

      „Danke. Ich weiß es nicht genau. Aber sie lebt.“ Diese Information war eigentlich überflüssig, denn Carlys Atem klang noch immer, als würde sie Wasser ausstoßen, unterbrochen von leisem Wimmern. Sage wusste jedoch nicht, was er sonst hätte sagen sollen. Dankbar nahm er der Hausherrin die mitgebrachten Utensilien ab. „Ich schaue mir erst die Wunden an, dann komme ich kurz nach unten.“

      Marietta nickte verständnisvoll und ließ Sage allein. Er wickelte vorsichtig die Verbände ab und besah sich die Wunden sehr genau. Die Kleineren, die nicht so tief waren, heilten, doch die Großen, die Carly lebensgefährlich verletzt hatten, sahen unverändert aus. „Verdammtes Gift!“, murmelte er, wischte sanft das alte Blut ab und verband sie neu. Um den Schein eines Menschen aufrechtzuerhalten, ging Sage nach unten, um einen Teil des Frühstücks zu essen. Er redete nicht mit Marietta, die ihn ebenfalls in Ruhe ließ. Unaufhörlich lauschte er Carlys Herzschlag, als ein kräftiges Klopfen an der Haustür Sage und Marietta aus ihren Gedanken riss. Augenblicklich sprang Sage auf und lief zum Treppenabsatz. Marietta nickte ihm zu, gab ihm zu verstehen, dass es in Ordnung war, wenn er nach oben schlich, und begab sich selbst zur Tür. Ängstlich öffnete sie. Sage blieb oben stehen, bereit, mit Carly den nächsten Zeitsprung zu wagen, sollte es nötig werden.

      Erleichtert atmete er auf, als er die aufgeregte Stimme eines Dorfbewohners vernahm, der die von einem Tier gerissene Leiche seines Bruders gefunden hatte. Er überließ der Hausherrin das Geschehen und ging zurück in das Zimmer, in dem Carly noch immer um ihr Leben kämpfte.

      Ihr Atem ging endlich ruhiger und ihr Herz klopfte gleichmäßiger und kräftiger. Sage schöpfte Hoffnung.

      Zwei Stunden später begab sich Sage die Treppe herunter. Zuversichtlich lächelnd trat er Antonio gegenüber. Der deutete seine Mimik richtig: „Geht es Ihrer Frau Gemahlin besser?“

      „Ja, ein wenig. Danke. Doch ich denke, ich werde einige Kräuter brauchen. Die Waffen waren mit Gift benetzt. Neben dem hohen Blutverlust macht ihr das wohl die meisten Probleme.“

      „Kaum zu glauben, mein Herr. Mit Gift? Welcher Mensch tut so etwas? Wir haben im Dorf keinen Arzt, aber im Wald wohnt sehr zurückgezogen eine Frau, die der Heilkunst mächtig ist. Sie könnte über die Kräuter verfügen, die Ihr benötigt. Wenn Ihr es einrichten könnt, dann bringe ich Euch dorthin.“

      Sage glaubte ihm sofort, trotzdem verschwanden die Sorgenfalten nicht vom Gesicht des Hausherrn.

      „Ich denke, es reicht, wenn Ihr mir den Weg beschreibt. Ich werde es allein finden. Ich möchte meine Gattin ungern ohne einen Schutz hierlassen.“ Mit dieser Notlüge konnte er mit hoher Geschwindigkeit sehr viel schneller hin- und wieder zurückgelangen. Antonio nickte verständnisvoll. Noch immer jedoch hatte er einen besorgten Gesichtsausdruck. Sage sah sich veranlasst, nachzufragen, obwohl er die Antwort bereits kannte. „Was bedrückt Euch? Gab es schlechte Nachrichten?“

      Antonio nickte seufzend. „Einer unserer Bauern und zwei seiner Tiere wurden heute Nacht wohl gerissen. Was auch immer um unser Dorf schleicht, es ist gefährlich. Ihr müsst im Wald vorsichtig sein! Ich werde Euch eine Waffe mitgeben. Könnt ihr mit dem Schwert kämpfen?“

      Sage runzelte die Stirn. „Ja, das kann ich. Ich bevorzuge es jedoch, gar nicht zu kämpfen, mein Herr. Ich werde keine Waffe brauchen. Sollte mich ein wildes Tier überraschen, klettere ich auf den nächsten Baum und warte ab, bis es verschwunden ist.“

      Der Hausherr schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich bestehe darauf, dass Ihr ein Schwert mitnehmt. Wenigstens ein Kurzes. Oder einen Dolch? Ihr werdet nicht ohne eine Möglichkeit, Euch zu verteidigen, aus dem Haus gehen. Erst recht nicht in den Wald.“

      Damit war die Diskussion für ihn beendet und Sage gab sich geschlagen. Ein Anliegen hatte er allerdings noch. „Sagt mir, mein Herr, kann ich irgendwo hier im Dorf eine große Menge Honig bekommen? Und ich bräuchte Leber für meine Frau Gemahlin. Sie hat sehr viel Blut verloren. Leber wird ihr bei der Bildung von neuem Blut helfen.“

      Antonio sah ihn verwirrt an. „Leber? Ist es egal, von welchem Tier es stammt?“

      Sage nickte und biss sich auf die Lippen. Er hatte, genau wie heute Nacht bei der Herz-Druck-Massage, nicht bedacht, dass die Menschen in dieser Zeit noch nicht das medizinische Wissen erworben hatten, wie er es aus der aktuellen Zeit kannte, in der Carly eigentlich lebte.

      „Ich werde Euch die Leber der beiden gerissenen Tiere besorgen, mein Herr. Meint Ihr, dass dies ausreicht? Und um den Honig kann ich mich kümmern. Das sollte kein Problem sein“, antwortete Antonio und griff zu seinem Mantel. Sage murmelte einen Dank und begab sich in die obere Etage zurück.

      Marietta hatte die Wache an Carlys Bett übernommen, als er nach unten gegangen war. Eigentlich brauchte Sage das nicht, denn er konnte Carly hören und obendrein über ihr Band spüren. Er wusste, wie es um sie stand. Sie befand sich noch immer in einem Zwischenstadium. Nicht tot, aber auch nicht lebendig. Ihr Körper kämpfte, schützte sich mit der Bewusstlosigkeit selbst. Der Blutverlust war eine Tatsache, die er aber in den Griff bekommen würde. Die Wunden an ihren Gliedmaßen würden heilen. Sorgen machten ihm die Verletzungen an ihrem Körper. Mehrere Pflöcke hatten Carly in den Unterleib getroffen. Glücklicherweise jedes Mal im seitlichen Bereich. Noch mehr Glück war es gewesen, dass sie den Darm verfehlt hatten. Ihre Wunden im Brustbereich waren die, die am schwerwiegendsten waren. Nur sehr knapp das Herz verfehlt und erfreulicherweise ebenso die Lunge, hatten sie jedoch tiefe Stiche in Schulter- und Brustbereich hinterlassen, die sich trotz des häufigen Reinigens entzündeten. Ihre Muskulatur dort war zerfetzt, und bedingt durch das Gift wirkte auch sein Blut nur sehr langsam. Sage konnte die Konsequenzen durch ihr Band spüren. Er fühlte den stechenden Schmerz, die Schwierigkeiten, die ihr das Atmen bereitete und die Anstrengungen, die ihr Herz bewältigen musste.

      Während Sage hochkonzentriert auf Carlys Körper zur Treppe schritt, riss Marietta oben die Tür auf. „Kommt rasch, ich glaube, Eure Gemahlin hat Fieber!“

      Mit langen Schritten eilte Sage die Stufen empor. Grob schob er sich an Marietta vorbei in den Raum hinein. Zärtlich legte er seine Hände auf Carlys glühendrotes Gesicht. Die Hitze schoss ihm durch seine Haut und ließ ihn kurz zurückzucken. Carly brannte beinah unter seinen Fingern.

      „Bleibt bitte bei ihr!“, bat er inständig. „Ich werde mich sofort auf den Weg machen und entsprechende Medizin besorgen. Euer Gemahl sagte mir, dass es im Wald eine Frau gäbe, bei der ich alle Kräuter bekommen kann, die ich benötige. Kennt Ihr den Weg?“ Sage rannte unruhig auf und ab und nahm, wenn auch nur zum Schein, seine Jacke, die er achtlos über den Stuhl geworfen hatte. Marietta erklärte ihm besorgt die Richtung.

      Kaum hatte sie das letzte Wort gesprochen, war Sage aus dem Raum verschwunden, die Treppe beinah heruntergeflogen und die Haustür krachte hinter ihm in Schloss. Der Dolch lag unberührt auf dem Küchentisch.

      Weder sah, noch hörte er Antonio, der von der anderen Seite des Dorfes angerannt kam und nach ihm rief.

      Als die Bäume ihn verdeckten, wechselte Sage zu der ihm vertrauten Vampirgeschwindigkeit. Er achtete nicht auf Äste, die ihm ins Gesicht schlugen oder Dornenranken, die an ihm zerrten, sondern raste unbeirrt den beschriebenen Weg entlang.

      *9*

      Nimmer hat die Wut sich gut verteidigt.

      William Shakespeare

      Mason saß direkt neben dem Thron seines Vaters und blickte auf die geschundene Rose hinab. Sie hatte sich bisher allen Versuchen widersetzt, sie auf ihre Seite zu ziehen.

      Nalar


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