Lux und Umbra 2. Silke M. Meyer

Lux und Umbra 2 - Silke M. Meyer


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Seine Augen fixierten die Baumgruppe auf der anderen Seite. Er konzentrierte sich auf ruhige, kräftige Schwimmstöße. Das eisige Wasser stach in seiner Haut, seine Zähne klapperten, aber dann spürte er Schlamm unter seinen Füßen. Er watete auf der anderen Seite des Grabens aus dem Wasser und versteckte sich hinter dem dicksten der Bäume. Aufmerksam lauschte er, hörte jedoch nichts, dass auf seine Entdeckung hindeutete. Dann zerrte er seine Kleidung aus dem Rucksack und zog sich an. Das Brett und das Seil ließ er liegen, Sephora würde sein Verschwinden ohnehin in wenigen Stunden bemerken. Nun musste er nur noch ungesehen über den Hügel kommen. Der Lichtstrahl, der unbeirrt in den Nachthimmel schoss, durfte ihn nicht sichten. Vorsichtig, aber so schnell wie möglich arbeitete er sich durch einige Reihen von Sträuchern, die ihm Deckung gaben. Wenigstens wurde ihm so wieder warm. Als er in der letzten Hecke hockte und sich nun den Schweiß von der Stirn wischte, zweifelte er kurz an seinem Plan. Ein kurzes Schütteln, und der Gedanke verflog. Mathis sah sich um. Lauschte. Bis auf die Lichtsäule konnte er nichts sehen oder hören.

      Er nahm seinen Mut zusammen und rannte los. Ohne sich umzusehen oder innezuhalten, gelangte er bis auf die Hügelkuppe. Dort warf er sich auf den Boden und verharrte. Es blieb still. Er hatte es fast geschafft. Auf der anderen Seite des Hügels befand sich ein kleiner Wald, wie er vom Vortag wusste. Im Schatten der Bäume würde es einfacher für ihn werden. Auf dem Bauch robbte er bis in die kleine Waldung hinein, drehte er sich ein letztes Mal um. Vom Palast des Lichtes war nichts mehr zu sehen. Er atmete auf. Sein Blick wanderte zum Himmel. Es war schwierig, Itim zu finden, denn ohne seine Geschwister, die ihn anleuchteten, war er kaum sichtbar. Doch Mathis erspähte den kleinen, finster blickenden Mond. Unruhig wanderte er hin und her. Stets auf derselben Linie.

      Mathis fasste die Gurte seines Rucksacks und marschierte in die Richtung, die Itim ihm wies. Er würde mit seinem Vater reden und hören, wie seine Version des Kampfes aussah.

      *11*

      In Einigkeit werden wir überleben,

      getrennt werden wir untergehen.

      Aesop

      Sage entdeckte die Hütte und wurde langsamer. Die Striemen in seinem Gesicht, die ihm sein rücksichtsloser Lauf eingebracht hatte, heilten bereits und würden verschwunden sein, wenn er dort ankam. Sein Ziel war selbst für ihn ein ungewöhnlicher Anblick. Direkt um den Stamm eines alten, knorrigen Baumes war eine Behausung aus Holz, Ästen und Laub gebaut. Rauch stieg aus einer Öffnung im Dach. Um den chaotisch angelegten Garten herum zog sich ein Zaun, der aus einzelnen Feldern Korbgeflecht bestand. Niedrig und wacklig. Der Zaun würde weder Mensch noch Tier davon abhalten, einzudringen.

      Sage öffnete die ebenso instabile Eingangstür der Hütte und betrat den dämmrigen Raum. Eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig, schreckte auf und machte automatisch ein paar Schritte rückwärts, bis sie an ein Regal stieß. „Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr?“ Obwohl ihre Körpersprache Angst verriet, war ihre Stimme erstaunlich fest.

      „Ich benötige dringend ein paar Kräuter. Carly … meine Gefährtin ist krank und wird es ohne die Zutaten nicht schaffen.“ Barsch brachte Sage sein Anliegen hervor. Er war angespannt und wollte schnellstmöglich zurückkehren, denn er konnte spüren, dass es Carly schlechter ging. Ihr Fieber stieg unaufhaltsam. Wenn er nicht rechtzeitig wiederkam, würde sie innerlich verbrennen.

      Gedanklich verfluchte er sich, dass er nicht daran gedacht hatte, sich einige der Kräuter der alten Welt einzustecken. Jetzt allerdings konnte er unmöglich in der Zeit springen. Ohne Carly würde er nicht wieder hier ankommen und sie wäre verloren. Entsprechend ungeduldig reagierte er, als er den prüfenden Blick der jungen Frau gewahrte.

      „Worauf wartet Ihr? Ich brauche Arnika, Beinwell, Eisenhut, Thymian und Weidenrinde. Von allem so viel ihr habt!“

      Nicht weniger ungehalten gab sie zurück: „Warum sollte ich Euch das geben? Ihr platzt hier herein, grüßt nicht, sondern fordert nur. Ich denke gar nicht daran, Euch in irgendeiner Weise zu helfen. Besorgt Euch die Dinge, die ihr benötigt, anderswo.“ Ihr ganzes Auftreten war von Stolz durchzogen.

      Sages Augen verengten sich und er bleckte seine Zähne. Unwillkürlich wich die Frau erschrocken zurück. Doch er war mit wenigen Sätzen bei ihr und packte sie am Hals. Er konnte die Ader an seiner Stirn spüren. Sie musste stark angeschwollen sein, ein sicheres Zeichen, dass er sich kaum bändigen konnte. Mit Leichtigkeit schob er die nun angsterstarrte Frau mit einer Hand an dem Regal nach oben. Zischend forderte er sie ein weiteres Mal auf. „Ihr gebt mir sofort, wonach ich verlangt habe, oder ich nehme es mir. Wenn Euch euer Leben lieb ist, dann stimmt zu! Gebt einen Laut von Euch, wenn ihr einverstanden seid.“

      Die junge Frau ächzte mühsam und ein gurgelndes Geräusch trat zwischen ihren Lippen hervor. Sage drückte ihren Hals mit solcher Wut, dass sie kurz vor einer Ohnmacht oder dem sicheren Tod stand. Irgendwie drang es aber zu ihm durch, was sie antworten wollte, und unvermittelt ließ er sie los. Schlaff fiel sie auf den Boden, rappelte sich jedoch sofort auf. Ein wenig humpelnd des Sturzes wegen, suchte sie eilig die verlangten Kräuter zusammen. „Ihr könnt es lesen, wenn ich es beschrifte, mein Herr?“, piepste sie vollkommen eingeschüchtert.

      Ein kurzes Nicken musste ihr reichen, zu mehr war Sage nicht in der Lage, die Wut brodelte immer noch in ihm. Er riss ihr das Tuch, in das sie die verlangte Arznei verpackt hatte, aus den Händen und wandte sich ab. Mit einem Tritt beförderte er die Tür aus ihrer Halterung und krachend flog sie durch den Vorgarten. Ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, ob die junge Frau ihn sehen konnte oder nicht, raste er in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Am Waldrand bremste er ab, um in menschlicher Geschwindigkeit zum Haus von Antonio zurückzukehren. Wie ein Magnet zog Carlys Überlebenskampf an ihm. Es kostete ihn alle Überwindung, nicht erneut loszurasen.

      Antonio riss die Tür auf und starrte auf das Bündel in Sages Hand. „Wie konntet Ihr ...?“ Weiter kam er nicht. Sage schob ihn energisch zur Seite und eilte die Treppe hinauf, mit jedem Schritt zwei Stufen auf einmal nehmend. Marietta sprang erschrocken auf, als er in das Gästezimmer stürzte.

      Carly lag mit bleichen Lippen und hochrotem Gesicht regungslos auf dem Bett. Eine kurze Kontrolle bestätigte ihm das, was er fühlte. Carlys Blut kochte förmlich vor Fieber.

      „Schnee. Könnt ihr eine große Menge Schnee hier rauf schaffen, Marietta? Bitte beeilt euch! Und heizt Wasser an. Ich hole den Badezuber.“

      Marietta kam gar nicht auf die Idee nachzufragen, hatte sie doch Sage beobachtet, wie er eine Tote zu den Lebenden zurückholte. Sie eilte hinunter. Wenige Sekunden später hörte Sage, wie sie ihren Mann und den Knecht anwies, Schnee in Eimer zu schaufeln und nach oben zu tragen. Sie selbst hantierte in der Küche und erschien wenige Minuten danach mit einem Arm voller frischer Tücher im Raum. Sage hatte den Zuber bereits im Raum aufgestellt.

      „Womit kann ich Euch weiterhelfen?“

      „Zunächst mit heißem Wasser“, gab Sage zurück. „Wir müssen sie bis auf die Verbände entkleiden und dann steige ich mit ihr in den Zuber. Wir werden heiß beginnen und durch den Schnee und eiskaltes Wasser, das wir nachfüllen, hoffen, dass wir ihre Temperatur senken können.“

      Mit gekonnten Griffen packte Marietta gemeinsam mit Sage an. Vorsichtig, jedoch zügig wurde Carly entkleidet. Sage lief nach unten und hob mit Leichtigkeit den großen Kessel an, in dem das Wasser glücklicherweise kochte. Er rannte nach oben, ohne darauf zu achten, dass er auffällig schnell war. Noch dazu mit der Last in seinen Armen, die er ja kaum spürte.

      Marietta zog nur kurz die Brauen fragend hoch, sagte jedoch nichts. Sage war sehr dankbar dafür. Er wusste, dass er ihr später Einiges würde erklären müssen. Er nahm Carly hoch, während Marietta das Tuch auf dem Bett ausbreitete. Dann legte er sie sanft darauf ab und Marietta bedeckte die intimsten Stellen mit kleinen Tüchern.

      Antonio und sein Knecht marschierten ohne Vorwarnung in den Raum hinein und standen mit vier Eimern Schnee bei ihnen.

      „Habt Ihr mehr Eimer, mein Herr?“

      Antonio


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