Lux und Umbra 2. Silke M. Meyer

Lux und Umbra 2 - Silke M. Meyer


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Das ist kein Problem. Danke!“ Sage atmete erleichtert aus und Marietta sprang auf, umarmte erst ihren Mann stürmisch und stürzte sich anschließend auf Sage.

      „Aber eines müsst Ihr mir zeigen. Als das Herz Eurer Gemahlin stillstand, war es Magie, um es wieder zum Schlagen zu bringen?“

      „Nein“, beruhigte Sage sie. „Nur normale Medizin. Ich kann Euch das zeigen. Es klappt nicht immer, aber manchmal hilft es.“

      Marietta nickte. „Dann soll es so sein. Ich werde jetzt das Essen zubereiten. Ihr müsst ganz ausgehungert sein, mein Herr.“

      Wieder nickte Sage. Er würde es über sich ergehen lassen und menschliches Essen einnehmen. Die Tatsache, dass er sich von Blut ernährte, würde selbst die herzensgute Marietta nicht verkraften.

      *

      Zwei Wochen lang nahm Sage am Tage die Mahlzeiten zu sich, die Marietta im Übermaß zubereitete. Alle drei Nächte zog er los, um sich Blut zu besorgen, weit genug weg vom Dorf, dass es nicht auffiel. Er hielt sich an das Versprechen, dass er Antonio gegeben hatte, blieb tagsüber im Haus, zeigte sich keinem der Nachbarn. Marietta bestand darauf, Sage stundenweise am Krankenbett abzulösen. Auch wenn es unnötig war, denn Sage spürte Carly, musste nicht schlafen und konnte rund um die Uhr bei ihr sein. Aber das konnte er schlecht sagen, und zudem wollte Marietta unbedingt ihren Teil beitragen.

      Carlys kleinere Wunden waren vollständig verheilt. Die größeren Verletzungen im Brustbereich schlossen sich langsam, und es bestand keine Lebensgefahr mehr. Trotzdem lag Carly seit dem Tag auf dem Niemandsstreifen im Koma. Sage konnte ihr Herz hören, es schlug jeden Tag kräftiger, das Gift war aus ihrem Körper gewichen. Sie hätte aufwachen müssen. Doch sie tat es nicht.

      *

      Der Schmerz verringerte sich, war an manchen Tagen kaum spürbar. Carly schwebte in einem Raum, der vollkommen leer war. Sie sah sich selbst, als würde sie in dieser Leere sitzen und anderen bei ihrem Tun zuschauen. Doch ihr Ich tat gar nichts. Die meiste Zeit hing es in Embryonalhaltung in der Luft, umschwirrt von gelegentlich zarten, meistens jedoch kräftigen Schwaden weißer oder grüner, manchmal auch schwarzer Dampfwolken, die unregelmäßig in ihrem Körper verschwanden. Jedes Mal, wenn das geschah, spürte sie ein Ziehen in ihrer Herzgegend und krümmte sich zusammen. Doch danach verringerte sich der Schmerz weiter, fühlte sie sich leichter und mächtiger. Sie glaubte, dass ihr alles gelingen könnte, was sie versuchen würde. Nicht, dass sie den Wunsch hatte, irgendetwas zu versuchen, ihr Verstand war nur auf den Empfang dieser Nebelschleier konzentriert. Heute schwirrte ein letzter, winziger, duftender Nebelhauch um sie herum. Flog zwischen ihrem beobachtendem Ich und ihrem Körper hin und her. Carly hatte den Eindruck, dass er wartete. Diese letzte Schwade Magie würde, wie sie instinktiv wusste, zusammen mit ihrem Geist in den Körper einströmen.

      Kaum traf sie diese Erkenntnis, spürte sie, wie sie ihrem Körper näherkam. Langsam. Behutsam. Sie umkreiste den Leib und zuckte zurück, als er sich nach all der Zeit bewegte. Wie ein Kind nach dem Schlaf begann ihr Körper sich zu räkeln und zu strecken. Die Augen noch geschlossen, breitete er die Arme aus. Carlys beobachtendes Wesen zögerte. Die Aufforderung war klar. Sie sollte sich in die Arme ihres Körpers legen. Neben ihrem Geist zitterte die letzte Nebelschwade ungeduldig. Im Gleichtakt mit ihr, als wäre ihr Wille fremdgesteuert, schwebte sie auf ihren Körper zu, schmiegte sich in ihre eigenen Arme und spürte sofort, dass sie angekommen war. Sie öffnete für einen winzigen Moment die Augen, doch ein dumpfer Druck auf ihren Schläfen ließ sie die Augen sofort wieder schließen, als sie eine fremde, besorgte und trotzdem hoffende Stimme wahrnahm.

      *

      Sage war inzwischen so geschickt, dass er Carly ohne Probleme Wasser einflößen konnte. Mehrmals täglich brachte Marietta ihm zudem eine nahrhafte Brühe, die sie Carly ebenfalls gaben, damit sie nicht verhungerte. Doch sie lag blass in ihrem Bett und wurde immer magerer.

      Besorgt strich Marietta der jungen Frau die Haare aus der Stirn und wischte ihr Kinn ab, an dem ein letztes Rinnsal der Brühe hinunterlief, die Sage ihr vor wenigen Minuten eingeflößt hatte, als Carly aufstöhnte. Ihre Augenlider flatterten. „Schlag sie auf, meine Liebe!“, forderte die Hausherrin Carly auf. Doch nichts geschah. Carlys Körper begann zu zittern, ihre Lippen bebten, als sie mühsam den Mund öffnete. Kaum hörbar für Marietta, doch wie ein Schrei für Sage, flüsterte Carly: „Sage!“

      Marietta sprang auf. „Kommt hoch, mein Herr. Ich glaube, Eure Gattin wacht auf“, rief sie aufgeregt. Doch Sage war bereits neben ihr. Marietta schüttelte sich kurz. „Daran werde ich mich nie gewöhnen.“

      Ein Grinsen huschte Sage übers Gesicht, das Marietta verschmitzt erwiderte. „Tut mir leid“, murmelt Sage halbherzig.

      „Schon gut. Ich lasse Euch allein. Wenn sie die Augen aufmacht, sollte sie nur Euch sehen, mein Herr. Alles andere verwirrt sie vielleicht. Ihr ruft mich, wenn Ihr meine Hilfe braucht!“ Marietta strich Sage sanft über den Arm.

      Sage nickte dankbar. Marietta ging, und er war allein mit Carly. „Komm zurück“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Komm zurück zu mir, Carly! Mach deine Augen auf!“ Er führte ihre Hand an seine Lippen, küsste sie und starrte gebannt auf ihr Gesicht, sehnte den Moment herbei, an dem sie die Augen aufschlug.

      Es begann an ihrer Brust, genau über dem Herzen. Ein grünes Flirren breitete sich aus, zarter Nebel schien aus allen Poren zu treten und umhüllte Carlys Körper. Er wurde zu einer gelähnlichen Schicht, die ihre Haut benetzte und langsam ihren Hals hinauf wanderte, bis sie sich im Gesicht ausbreitete. Wie Ranken einer Pflanze breitete sie sich aus, bis jede Stelle ihres Körpers bedeckt war. Carly beruhigte sich, ihr Wimmern brach ab und ihre Lider verloren das Flattern. Sage spürte, wie sich ihre Finger um seine Hand klammerten. Der wabernde Nebel zog sich enger um Carly zusammen. Gerade als in Sage Panik aufsteigen wollte, schlug Carly ihre Augen auf und sah ihn an.

      Sage zuckte zusammen. Ihre Augen waren so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten. Eines leuchtete strahlend weiß, sandte ein Licht aus, dass ihn magisch anzog. Doch das andere Auge war von dämonischer Natur, überzogen von Schwärze, Dunkelheit. Bedrohlich zuckte es darin.

      Die grüne Hülle um Carly herum explodierte und zersprang in tausend kleine Stücke. Die aufglühenden, grünen Leuchtpunkte wirbelten im Zimmer umher, tauchten es in ein unnatürliches Licht. Carlys Blick war auf Sage gerichtet, blieb aber leer, als würde sie durch ihn hindurchsehen.

      „Carly“, flüsterte Sage halberstickt.

      Beim Klang seiner Stimme blinzelte sie, fixierte ihn endlich, und nun sah Sage in Carlys menschliche Augen, wie er sie kannte. Unsicher hielt sie den Augenkontakt.

      „Bin ich ...“, Carlys Stimme, war rau, ihre Kehle trocken. Sie hustete kurz, versuchte es dann erneut. „Bin ich ... ein Vampir?“

      „Nein!“ Sage lachte erleichtert auf. „Du bist ein Mensch. Du hast es überlebt. Oh Carly!“ Ihm versagte die Stimme. Er zog sie an sich, drückte ihren warmen Körper an seine kalte Brust. Tränen liefen ihm ungehindert die Wangen hinab. All die Angst um ihr Leben fiel jetzt von ihm ab, bahnte sich in Form von Tränen ihren Weg nach außen. Das magische Leuchten im Zimmer verblasste und verschwand schließlich vollständig.

      Als sich Carlys Herzschlag beschleunigte, panisch beschleunigte, legte Sage sie vorsichtig ab. „Was ist los?“

      „Mein ... Hals“, krächzte Carly, nicht fähig mehr Worte herauszupressen. Doch Sage verstand sie, spürte durch ihr Band, wie ausgetrocknet ihr Hals schon wieder war. Fürsorglich führte er den Becher an Carlys Lippen. Sage fühlte, wie ihr das angenehme Nass die Kehle herunterrann, wie sie gierig mehr trinken wollte. Aber er wusste, dass sie sich übergeben würde, wenn sie zu schnell trank, also zwang er sie, nur kleine Schlucke zu nehmen.

      Als es leise an der Tür klopfte, zuckte Carly zusammen und ihr Blick glitt hektisch zwischen Sage und der Tür hin und her. „Wer ist das?“, fragte sie leise.

      „Das wird Marietta sein. Ich habe Zuflucht bei freundlichen Menschen gefunden. Sie wissen nicht, was ich bin, nur, dass ich in der Zeit springen kann“,


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