Lux und Umbra 2. Silke M. Meyer

Lux und Umbra 2 - Silke M. Meyer


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legte ihm eine Hand auf den Arm, er schüttelte sie jedoch sofort wieder ab und trat einen Schritt zurück. „Er ist nicht böse!“

      „Mason hat sich entschieden, Mathis. Das musst du akzeptieren, auch wenn ich deinen Schmerz verstehe.“ Sephora seufzte.

      „Das kannst du nicht! Du hast eine falsche Meinung von ihm. Du kennst ihn gar nicht!“ Mathis schrie die beiden Frauen an. „Niemand von euch weiß, was er vorhat. Vielleicht ist es ein Trick? Warum reden wir nicht mit ihm und bringen es in Erfahrung?“

      Sephora schüttelte den Kopf und wollte ihm erneut erklären, wieso sie so sicher war. Doch Mathis hatte sich, genau wie am Vortag schon, umgedreht und war aus dem Raum gelaufen.

      In seinem Zimmer angekommen, zerrte er eine rucksackähnliche Tasche hervor, in die er eilig seine wenigen Sachen stopfte. Tränen liefen ihm die Wange hinunter. Er schaffte es gerade, den Sack unter seinem Bett zu verstecken, bevor sich die Tür leise öffnete und Benedicta ihren gemeinsamen Raum betrat.

      „Mathis! Ich finde nicht, dass du so mit Sephora reden kannst. Sie will dich doch nur beschützen und ist ehrlich zu dir. Sie hätte es dir auch verschweigen können.“ Sie versuchte gar nicht, zu ihm zu gehen, sondern blieb an der Tür stehen.

      Mathis war noch immer wütend und konnte sich nicht beherrschen. „Sie versucht aber auch nicht, mich zu verstehen. Sie hat meinen Vater abgeschrieben, genau, wie sie es mit meiner Mutter getan hat.“

      Erschrocken schüttelte Benedicta den Kopf.

      Doch Mathis fuhr unbeirrt weiter. „Doch. Sie hat genau gewusst, was Mama tun würde und hat sie nicht beschützt. Mir wäre nichts passiert. Ich weiß, dass mein Vater mich liebt. Er hat es mir mehr als einmal gezeigt.“

      „Mathis, nein!“ Benedicta fiel ihm einfach ins Wort.

      Mathis Miene versteinerte. „Wenn du so denkst, dann geh. Ich will dich hier nicht mehr haben. Schlaf woanders. Dies ist mein Zimmer. Du hast hier nichts verloren.“

      Der eisige Klang seiner Worte fuhr Benedicta bis in die Knochen und erschreckte sie. „Mathis ...“, setzte sie an.

      „RAUS!“, schrie er.

      Benedicta legte sein Buch auf die Kommode und verließ eilig das Zimmer. Kaum draußen, hörte sie das Türschloss klacken. Mathis hatte abgesperrt. Er meinte es ernst. Abwartend blieb sie stehen. Sehr leise beugte sie sich hinab und spähte durch das Schlüsselloch.

      Mathis hatte sich das Buch gegriffen und warf sich aufs Bett. Energisch öffnete er die Seiten und starrte hinein. Benedicta wollte sich schon abwenden und gehen, als er unvermittelt begann, die Seiten herauszureißen. Er schleuderte sie durch den Raum und schrie wüste Beschimpfungen. Als schließlich das komplette Buch gegen das Türblatt flog, zog sich Benedicta eilig zurück.

      *

      Zum Abendessen kam Mathis nur kurz hinaus, lud sich einen gigantischen Berg Essen auf seinen Teller und nahm es mit in sein Zimmer. Er redete kein Wort und ignorierte die Frauen.

      Als spät am Abend Ruhe im Palast einkehrte, kletterte Mathis leise aus seinem Bett. Den nun prallen Rucksack, in den er zusätzlich den größten Teil des Abendessens gestopft hatte, setzte er vorsichtig auf seinen Rücken. Mit den Schuhen in der Hand schlich er zur Zimmertür und öffnete sie einen Spalt. Er spähte in den nur schwach beleuchteten Flur hinaus. Leer! Dicht an die Wand gepresst, eilte er zur Treppe. Unten befand sich Sephoras Saal. Auch hier war es still und Mathis vermutete, dass sie bereits schlafen gegangen war. Trotzdem huschte er durch die dunkelsten Ecken und versuchte, möglichst keinen Laut von sich zu geben. Als er die große Palasttür öffnete, knirschte es leise. Mathis hielt inne und lauschte. Es blieb ruhig. Still und flink schlüpfte er hinaus und verschloss die Tür ebenso vorsichtig, wie er sie geöffnet hatte. Er drängte sich in den stockfinsteren Winkel des Eingangs und zog hastig seine Schuhe über. Sein Blick glitt über den leicht abfallenden Hang vor ihm. Durch die Büsche geschützt, konnte er bis an die Mauer gelangen. Wie er dort hinüberkommen sollte, wusste er noch nicht, aber er hatte einen Plan, einen sehr vagen Plan, doch Mathis hoffte auf sein Glück.

      Die Hütten im Hof lagen im Dunkeln, die Ställe sahen unbewacht aus. Mathis fand gleich neben einem Stalltor einen langen Strick, nahm ihn mit und schlich im Schutz des Gestrüpps bis an das erste Tor. Wenn er dort hindurch kam, würde sein Plan aufgehen können. Doch vorerst musste er warten. Mathis hockte sich bequem hin, alles fest an sich geklammert, was er brauchte, um sofort reagieren zu können, wenn sich eine Chance bot.

      Eine Stunde lang geschah nichts. Er gähnte und überlegte, ob er seine Flucht verschieben sollte, doch dann schlenderten mehrere Wachen zum Tor. Sie erzählten sich leise ihre Erlebnisse, schauten immer wieder zum Lichtstrahl auf, lachten und achteten nicht auf Mathis, der sich von der Seite anschlich. Hinter einem dunklen Mauervorsprung wartete er. Sein Herz schlug so hart gegen seine Brust, dass er glaubte, die Wachen müssten es hören. Doch die alberten noch immer, zogen gemächlich das Tor nach oben, stoppten immer wieder, um sich gegenseitig noch einen letzten Schwank zu erzählen. Doch Mathis reichte der bisherige Spalt. Er kroch darunter hindurch und überwand mit ein paar hastigen Schritten den Abstand zwischen beiden Mauerringen. Gerade noch rechtzeitig bemerkte er, dass einer der abzulösenden Wachen von der äußeren Mauer die Treppe vom Wachturm hinunterstieg. Mathis rollte sich geschickt unter die letzte Stufe der Treppe und presste sich die Hand vor den Mund, damit niemand sein Keuchen hörte. Weitere Wachmänner kamen die Treppe herunter. Der Erste schlug von innen gegen das nur wenig angehobene Tor. „Macht schon auf, ihr Faulpelze. Wir wollen rein und ihr solltet auf die Türme.“

      Die Männer öffneten und die müden Wachposten traten ein. Mathis wusste, dass dies die einzige Gelegenheit war, die er bekommen würde, um auf den ersten Turm zu kommen. Er lauschte kurz, doch die Wachen tauschten sich noch immer aus. Zu seinem Glück hatten sie es nicht sehr eilig, ihre Posten einzunehmen. Schnell schob sich Mathis unter der Treppenstufe hervor und begann auf allen vieren die Stiege nach oben zu krabbeln. Die Stimmen unter ihm wurden leiser. Mathis atmete erst wieder normal, als er endlich die leere Plattform erreichte. Die Metallspitzen, die oben aus der Mauer ragten, waren größer und schärfer, als er erwartet hatte. Doch sie boten die beste Möglichkeit, um sein Seil anzubinden. Dann kletterte er auf die Mauer. Seine Knie zitterten, als er nach unten spähte und das Seil hinabgleiten ließ. Unter ihm herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Mathis war nicht sicher, ob das Seil lang genug war, doch mehr hatte er nicht. Es musste reichen. Unbeholfen kletterte er über die scharfen Zacken auf der Mauer, klammerte sich an das Seil und ließ seinen Körper dann einfach fallen. Er hörte ein leises Reißen von Stoff, doch er spürte keinen Schmerz. Dann machte das Seil einen winzigen Ruck, und Mathis begann hektisch, nach unten zu klettern. „Verdammt, ich Idiot“, murmelte er. Schweiß brach ihm aus. Noch war er zu hoch, um einen Sturz unbeschadet zu überstehen. Das Seil gab ein weiteres Mal nach. Der scharfe Metallzacken, an den Mathis das Seil gebunden hatte, zerschnitt es nun. Stück für Stück arbeitete er sich durch die Fasern. Mathis beeilte sich, kletterte schneller und konnte endlich den Boden unter sich sehen, als er spürte, dass er fiel. Unsanft landete er auf dem Hintern. Das Seil fiel auf ihn. Instinktiv rutschte Mathis an die Mauer heran. Sein Steißbein schmerzte, doch er konnte aufstehen. Zügig raffte er das Seil zusammen und nahm es mit sich. Im Schutz der Mauer schlich er seitlich von dem Wachturm weg, denn noch musste er ungesehen den Wassergraben überwinden. Rufe von Turm zu Turm zeigten ihm, dass die neuen Wachen endlich dort oben angekommen waren. Mathis war froh, dass sein Seil durchtrennt worden war, denn nun gab es keinen Hinweis auf dem Turm für seine Flucht. Winzige, kaum sichtbare Lichter erhellten die Türme. Für Mathis war es eine gute Orientierung, um die Mitte zwischen zwei Türmen auszumachen. Das Wasser im Graben glitzerte dunkel. Auf dieser Seite gab es keine Deckung, doch an dem anderen Ufer stand eine Baumgruppe, die ihm Schutz bieten würde. Er zog seine Kleidung aus, zerrte das große Brotbrett aus dem Rucksack, stopfte stattdessen seine Kleidung hinein und band anschließend den Rucksack auf dem Brett fest. Schwimmen konnte er gut. Nun musste er nur darauf vertrauen, dass das Holz seinen Rucksack trug, sonst würde er der Weg zu seinem Vater in nasser Kleidung und ohne genießbares Essen ziemlich unangenehm werden. Die Kälte des Wassers ließ ihn erschaudern, doch ihm blieb keine Zeit, sich an das Wasser zu


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