Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre. Braun Lily

Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre - Braun Lily


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sprang auf —

      »Alix!« Welch ein Ton war in seiner Stimme! Halb bewußtlos sank ich in seine weitgeöffneten Arme.

      »Sie willigt in die Scheidung.«

       Inhaltsverzeichnis

      An einem jener norddeutschen Apriltage, wo Frühling und Winter einander wie Feinde vor dem Ausbruch des Kampfes lauernd umschleichen, die Sonne auf hellen Plätzen Sommergrüße vom Himmel sendet und daneben der feuchtkalte Wind triumphierend durch schattige Straßen fegt, ging ich zum Abschiednehmen zu den Eltern.

      Seit jenem Tage, wo mein Vater mich im Zorn verlassen hatte, war ich nicht mehr bei ihnen gewesen. Selbst die notwendigen geschäftlichen Auseinandersetzungen, die sich an den Tod einer Verwandten und der mir und meiner Schwester zugefallenen kleinen Erbschaft knüpften, hatte mein Vater schriftlich erledigt. Jetzt aber hatte er mich vor meiner Abreise noch einmal sehen wollen.

      Er empfing mich ernst und gemessen. »Du siehst schlecht aus,« sagte er dann und ein liebevoll besorgter Blick strafte seine äußere Strenge Lügen. Ich wußte es: die letzten Monate hatten meine Nervenkraft erschöpft; ich bedurfte der Erholung, aber mehr noch des Fernseins von Berlin während des bevorstehenden Scheidungsprozesses. »Die Erbschaft kommt dir wirklich zustatten,« fuhr er fort. Er ahnte nicht, in welchem Umfang er recht hatte!

      Eine konventionelle Unterhaltung entspann sich. Und doch war mir das Herz so voll: ich allein wußte von uns allen, wie weit ich mich mit diesem Abschied von ihnen entfernte, — vielleicht auf Nimmerwiedersehen. Ein Wort der Dankbarkeit, der Liebe hätte ich gern gesagt; — in der Temperatur, die zwischen uns herrschte, erfror es, noch ehe es über die Lippen kam.

      »Es ist mir nicht recht, daß du allein in die Welt hineinreist,« sagte mein Vater, als ich schon an der Türe stand, »Ihr Jungen denkt anders darüber, — Einfluß habe ich keinen mehr, — ich kann nur hoffen, daß du dich stets erinnerst, was du deinem Namen schuldig bist.« Seine Augen ruhten forschend auf mir. Ich reichte ihm stumm die Hand: »Lebewohl, Papa —« Ich zwang meine Stimme, nicht zu zittern. »Lebwohl,« antwortete er mit einem Seufzer. Einen Kuß gab er mir nicht mehr.

      Die Mutter begleitete mich auf den Flur.

      »Hast du etwas besonderes zu schreiben,« sagte sie mit Betonung, »so lege stets einen besonderen Zettel dem Brief an mich bei, damit ich ihn Hans ohne Schaden zeigen kann.« Ich hatte die Empfindung, daß mein Weggehen sie erleichtere. Ilse kam noch bis auf die Straße mit mir.

      »Du, Schwester, ist es wahr, daß Dr. Brandt sich deinetwegen scheiden läßt?!« flüsterte sie hastig mit glänzenden Augen. Aufs peinlichste überrascht starrte ich sie an. Sie preßte mir stürmisch die Hand: »Du, — das ist furchtbar interessant! Freilich —« und nachdenklich kaute sie an der Unterlippe — »mit Papa werden wir wieder aushalten müssen!«

      Ein Regenschauer trieb sie ins Haus zurück. Fröstelnd zog ich den Mantel fester, der Wind zerrte daran und warf mir eiskalte Tropfen ins Gesicht.

      Am Abend fuhr ich nach München, wo Heinrich den Zug bestieg. Er hatte seine Söhne in Pension, Rosalie und den Kleinen mit der Pflegerin aufs Land gebracht.

      »Es gab wieder eine Szene,« erzählte er, »ihre innere Stimme, an die sie nun einmal glaubt, hat ihr gesagt, daß du mich unglücklich machen würdest. Aus Mitleid wollte sie darum alles verzeihen und mich in Gnaden wieder aufnehmen. Als ich darauf verzichtete, prophezeite sie mir mit dem Pathos einer Kassandra, ich würde noch einmal kniefällig um ihre Liebe betteln. Und als auch das ohne Eindruck blieb, machte sie allerlei dunkle Andeutungen über Zeugenaussagen im Prozeß, und die Pflegerin lachte mich dabei so impertinent an, daß ich grob wurde.«

      »Nicht umsonst habe ich mich immer vor ihr gefürchtet,« sagte ich trübsinnig.

      »Mein armer, kleiner Angsthase!« lächelte er, halb ungeduldig, halb belustigt. Im Lexikon seiner Gefühle hatte das Wort »Furcht« keinen Platz gefunden. »Du bist so tapfer und kannst so feige sein! Haben wir nicht bisher schon über alles Erwarten Glück gehabt, und du willst verzagen — gerade jetzt, wo wir dem Frühling entgegenfahren?«

      Voll tiefen Vertrauens lehnte ich mich in den Arm zurück, der mich umschlang, und sah still den weißen Flocken zu, die vor den Fenstern tanzten, und den in dunkeln Schleiern schwer herabhängenden Wolken, die der Zug durchschnitt. Es tat so gut, sich in der Obhut des Geliebten zu wissen, seinen starken Schultern aufzubürden, was ich allein nicht hätte tragen können.

      Auf dem Brenner glänzte die Sonne über frisch gefallenem Schnee, aber von den Bergen stürzten schon frühlingsfroh die entfesselten Wasser. In Gossensaß, wo die Bergwände sich noch einmal finster zusammenschoben, braute wieder der Nebel um dunkle Fichten und winterstarres Gebüsch, hinter Franzensfeste jedoch stand das breite Tal in blühendem Lenzkleid und öffnete die Arme weit, um all die frierenden Wanderer an seine warme Brust zu ziehen. Frohlockend wiesen von allen Höhen weiße Kirchlein mit spitzen Fingern hinauf zur Sonne, die behaglich lachend am blauen Himmel stand. Auf den knorrigen Ästen alter Obstbäume saßen junge lustige rote und weiße Blüten. Ohne Ehrfurcht vor dem grauen Alter der Ruinen, der nüchternen Heiligkeit der Klöster, fluteten in blauen Kaskaden die süß-sehnsüchtigen Blumendolden der Glyzinien über die Mauern, vom Liebesspiel buntschillernder Käfer umtanzt.

      Im brixener Gasthof zum Elefanten machten wir Rast. Nur das riesige Bild des Rüsseltiers, dem er seinen Namen verdankt, erinnerte noch an die Zeit, wo Kaiser und Könige auf der Romfahrt hier Einkehr hielten. Jetzt saßen nur wenige unscheinbare Leute in dem niedrigen, dunkel getäfelten Gastzimmer. Sicher: hier kannte uns niemand. Aber kaum saßen wir vor der Schüssel, die verheißungsvoll nach gut österreichischer Mahlzeit duftete, als ein Herr an unseren Tisch trat, Heinrich freudig begrüßend. Umsonst, daß dieser die abweisendste Miene machte, den Fremden weder nötigte, Platz zu nehmen, noch ihn mir vorstellte. In seiner Freude, einen Bekannten zu treffen, besorgte er das ohne weiteres selbst; er hielt mich für Heinrichs Frau und kündigte uns mit vielem Geräusch die Bekanntschaft seiner Familie an. »Wir werden nicht bleiben können,« sagte Heinrich langsam, als er sich endlich empfahl, »es sind Berliner.« Ich zuckte die Achseln. »Diesmal bin ich die Mutigere von uns beiden. Mir ist nichts so gleichgültig als der Klatsch.«

      »Aber ich dulde nicht, daß man dich verdächtigt,« brauste er auf.

      In aller Frühe am nächsten Morgen fuhren wir weiter bis nach Trient. »Hierher kommt keiner unsrer Landsleute,« hatte Heinrich gesagt. Und in der Tat: in den großen Palasträumen des Hotel Trento sprachen selbst die Kellner nur ein gebrochenes Deutsch. Ob wir uns hier ein paar Wochen würden ausruhen können? Wir hatten sehr das Bedürfnis danach.

      Vor dem Balkon meines Zimmers lag der weite Platz mit dem ehernen Denkmale Dantes. Mächtig zeichnete sich seine schwarze Silhouette gegen den blauen Himmel ab, zu beiden Seiten von den starren Felskulissen der Berge eingerahmt. Aber der Platz zu seinen Füßen mit ein wenig Rasen und ein paar kleinen immergrünen Büschen sah im gelben Licht der Sonne öde aus.

      Wir gingen durch die Straßen: lauter graue Häuser mit verwaschenen Farben und trüben Fenstern, Paläste dazwischen mit verblichenen Fresken, Höfe mit alten ausgetrockneten Brunnen und Säulengängen, unter denen zerlumpte Wäsche hing, stolze wappengekrönte Tore mit Firmenschildern aus Blech und Anzeigen aus Papier benagelt und beklebt; ein Dom, geschmückt mit den zierlichsten romanischen Galerien, die hohen Portale von säulentragenden Löwen bewacht, und darin auf dem ausgetretenen Estrich, zwischen den Grabmälern edler Geschlechter, ein paar alte Weiber, die kniend den Rosenkranz durch schmutzige Finger zogen und mit zahnlosem Munde Gebete plärrten. Und über der Stadt, sie beherrschend, der prächtige Renaissancebau des alten fürstbischöflichen Schlosses, ein unvergleichlicher Rahmen üppiger Hofhaltungen, — eine Kaserne heute. In der dämmernden Loggia auf dem Brunnenhof, wo die Würdenträger des fürstbischöflichen Stuhls in roten und violetten Gewändern beim Gesang des leise plätschernden Wasserstrahls die kunstvollen Lettern pergamentgebundener Bücher zu


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