Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre. Braun Lily

Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre - Braun Lily


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—, und rissen die jungen Seelen dieser Kinder in ihren Wirbeltanz?!

      Zärtlich zog ich die Knaben in meine Arme: »Seid brav, recht brav, daß der Vater sich an euch freut, dann sollt ihr einen Weihnachtsbaum haben wie noch nie!«

      Mit glühendem Eifer, der mich alles andere vergeben ließ, bereitete ich das schönste Fest des Jahres vor. Freude wollte ich um mich verbreiten, lauter überschwengliche Freude. Mit dem Geld, das ich mir von Brandt für seine Kinder erbat, und das er mir verwundert gab — er hatte an Weihnachten gar nicht gedacht —, und den Goldstücken, die mir ein paar Artikel eben eingetragen hatten, kaufte ich einen ganzen Jahrmarkt voll Spielzeug; und Pfefferkuchen und Marzipan und Schokolade, dazu Schürzen, Bänder, und ein himmelblaues Kleid für das Dienstmädchen, das mich mit ihren kleinen blanken Augen immer so lustig anlachte. Am Morgen des Weihnachtstages schloß ich mich im Eßzimmer ein und putzte die große duftende Edeltanne mit lauter blitzendem Kram, mit roten Rosen und bunten Lichtern. Leuchten sollte sie wie das lebendig gewordene Glück. Vielleicht wird sie ihm ein einziges frohes Lächeln entlocken! dachte ich.

      Nachmittags mußte ich zuerst zu den Eltern. Es wurde früh beschert, weil alle Familienmitglieder bei Onkel Walters geladen waren. Im Salon stand wie immer der Baum: farblos, schneeweiß, sehr kühl, sehr vornehm. Und davor unsere Tische, beladen mit Geschenken. Der Vater hatte sich einmal wieder nicht genug tun können. Er war in letzter Zeit für mich von einer Güte, die mir wehe tat, weil ich wußte, daß sie nur einer Täuschung ihr Dasein verdankte. Meine wiener Volksversammlungsrede hatte die deutsche Presse ignoriert, auch sonst mußte es ihm scheinen, als zöge ich mich mehr und mehr zurück. Was ich für die Tagespresse schrieb, — ich fing damals an, auch am »Vorwärts« gelegentlich mitzuarbeiten —, erschien ohne meine Unterschrift; die wesentlich literarisch-kritischen Artikel in den Wochenblättern hatten meist seinen Beifall. »Ich wollte dir handgreiflich zeigen, wie zufrieden ich mit dir bin«, — damit entschuldigte er gleichsam die Fülle der Gaben. Daß ich das weiße Kleid und den Spitzenschal und die seidenen Strümpfe und zierlichen Schuhe mit solcher Freude empfing, weil ich allein dessen gedachte, für den sie mich schmücken sollten, — er ahnte es nicht! Nur die Mutter hatte schon hie und da mißtrauisch nach Brandts Gattin gefragt, wenn sie ihn allein bei mir traf, und zuweilen war uns die Schwester begegnet und hatte uns mit vielsagendem Lächeln begrüßt.

      Der Vater wollte mich durchaus nicht heimgehen lassen, wollte bei Onkel Walters absagen: »Wenn sie meine Tochter nicht haben wollen, so mögen sie auch auf mich verzichten.« Es kostete Mühe, ihn umzustimmen.

      »Ich bin ja nicht allein«, sagte ich schließlich — sehnsüchtig dachte ich an die erwartungsvollen Knabengesichter, an den stillen Abend mit ihm —, »ich muß noch zur Bescherung im Kinderheim«, dabei wandte ich den Kopf dunkel erglühend zur Seite.

      Endlich konnt' ich gehen. Und mein bunter, lustiger Weihnachtsbaum funkelte und sprühte, ein Fanal der Freude, ein Sonnwendfeuer, ein Gruß an das steigende Licht. Der Jubel der Kinder klang durch die Räume. »Du — du Zauberin,« flüsterte eine tiefe Stimme mir ins Ohr.

      Still und feierlich, in ihr weiches glitzerndes Schneekleid gehüllt, erwachte die Erde am nächsten Morgen. Der Arbeitslärm des Alltags war verstummt, und Räderrollen und Menschenschritte klangen gedämpft auf dem Winterteppich. Es war Feiertag.

      Und im Festgewand stand ich und wartete dessen, der kommen mußte.

      Mein Herzblut, das ich bereit war, restlos für ihn zu vergießen, hatte es mit roten Rubinen bestickt, Schnüre, an denen die Tränen meiner Sehnsucht schimmernd gereiht waren, schmückten mir den Nacken, mit Smaragden der Hoffnung waren die seidenen Schuhe besetzt an meinen Füßen, die ihm entgegengingen, und auf meinen Armen, die ihn umfassen wollten, funkelten, alle Farben und allen Glanz der Welt in sich vereinend, die Diamanten meiner Leidenschaft. Und er kam, er sah mich, — und die armen kleinen Liebesworte schämten sich ihrer millionenfachen Entweihung und verstummten.

      Nicht wie die Tage, die wie Kugeln am Zählbrett gleichgültig rechnend weiter geschoben werden, waren die jenes sonnendurchleuchteten Winters. Die Nacht gebar einen jeden als Wesen göttlicher Art, ewigen Lebens voll. Hoch über die Erde trugen sie uns auf starken Flügeln, und mochte drunten riesenhaft die schwarze Gestalt der Schuld die Arme drohend gegen uns recken, — wir sahen sie nicht. — Bis einer kam, der häßlich war und neidisch, und mit Faustschlägen an der Türe uns weckte aus unserem erdenfernen Liebestraum.

      Wir kehrten vom Wannsee zurück, wo wir unter blauem Himmel auf spiegelglattem Eis gemeinsam unsere Kreise gezogen hatten. Mit ängstlichem Gesicht hielt die gute Marie uns einen Brief entgegen. »Rohrpost — und Rosaliens Schrift —« Heinrichs Gesicht entfärbte sich. »Ich bin in Berlin und ersuche dich, mich vom Hotel aus abzuholen. Unser Kind soll im Vaterhause geboren werden,« schrieb sie. Noch am Abend traf sie ein. Ich sah ihren dunklen Schatten hinter den Vorhängen. Ich wußte, was er mir bedeutete: kein Verzichten nach kurzem gestohlenem Glück, wie ich es einst geglaubt hatte, sondern Kampf um den Einsatz des ganzen Lebens. Mit dem Recht der Liebe gehörte Heinrich mir. Alles andere »Recht« ist nur verschleiertes Unrecht.

      Sie verlangte meinen Besuch. Ich fand sie im Bett liegend, vollkommen ruhig, während die Pflegerin damit beschäftigt war, das Zimmer umzuräumen. »In vierzehn Tagen etwa erwarte ich,« sagte sie nach gemessener Begrüßung, »Heinrich ist natürlich sehr unglücklich, daß ich ihn jetzt schon ausquartiere,« mit spöttischem Lächeln sah sie zwischen uns hin und her. Ich verabschiedete mich so rasch als möglich und nahm mir vor, diese Komödie freundschaftlicher Besuche nicht weiter zu spielen.

      Daß es jetzt für mich an der Zeit gewesen wäre, zu gehen, fern von Berlin in aller Stille die Entwicklung der Dinge abzuwarten, — das fühlte ich instinktiv. Aber die Leidenschaft, die mich beherrschte, machte mich taub für die leisen Stimmen meines Inneren. Ich konnte ja gar nicht fort, beruhigte ich mein Gewissen, ich hatte kaum die Mittel, um zu leben, wie viel weniger, um zu reisen, — ich war gerade jetzt unentbehrlich in Berlin, wo der Konfektionsarbeiterstreik täglich ausbrechen konnte.

      Es kamen auch viele einsame Stunden, wo meine Phantasie böse Träume spann: Ich sah ein winziges Kinderhändchen von unheimlicher Kraft, das mir den Geliebten entreißen wollte. Nein: ich konnte nicht fort!

      Er besuchte mich seit Rosaliens Rückkehr nur selten. Sie hatte ihr Bett und ihren Stuhl am Fenster so gestellt, daß sie zu mir herübersehen konnte. Auch einen kleinen Spiegel hatte sie anbringen lassen, durch den ihr niemand entging, der den Hof betrat. Oft, wenn ich das Haus verließ, um ihn zu treffen, war mir, als verfolge mich dies glänzende runde Ding mit dem bohrenden Auge darin durch alle Straßen. Zuweilen bemerkte ich auch, wie die Pflegerin, eine Johanniterschwester mit einem ausgemergelten fanatischen Asketengesicht mir von ferne nachschlich. Im Traum sah ich sie dann auf meinem Bette sitzen und mit hungrigen Augen die Schrift glutheißer Liebe lesen, die mir im Herzen geschrieben stand.

      Wir wählten immer andere Orte für unsere Zusammenkunft: kleine Weinstuben, stille Konditoreien, wo es nach saurem Wein und altem Kuchen roch und die Kellner die Wissenden spielten. Es war so widerwärtig, daß wir es schließlich vorzogen, in Wind und Wetter draußen im Wald zu sein, wo reine Luft unsere Stirnen kühlte. Einmal führte uns der Weg durch den Wald nach Paulsborn. Dicht lag der Nebel über dem See, ein feiner Regen stäubte vom Himmel. Er hatte mit seinem Arm seinen Mantel auch um mich geschlungen.

      »Vergiß mich, Alix, wenn du kannst,« sagte er, »laß den armen Kerl laufen, der allen Unglück bringt, die ihm zu nahe kommen.«

      Ängstlich forschte ich in seinen verschlossenen Zügen. »Willst du, daß ich gehe?« frug ich mit Betonung.

      Er zog mich fester an sich. »Ich müßte es wollen, um deinetwillen! Und doch, wenn ich mir vorstelle, du tätest es — lieber brächt' ich dich um!« Zärtlich drückte ich meine Wange an seine Schulter. »Wenn das der Tod ist, den ich allein zu fürchten habe, so werd' ich ewig leben.«

      »Weißt du denn auch, was dir bevorsteht —?« »Ja,« lächelte ich, »dein Weib werde ich sein, dein glückseliges Weib!«

      »Glaubst du so sicher, daß sie in die Scheidung willigt, daß sie nicht vielmehr alles tun wird, um dich,


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