Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre. Braun Lily

Memoiren einer Sozialistin Kampfjahre - Braun Lily


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sehr betont wurde.

      Er berichtete von dem Komitee, das sich kürzlich auf Anregung der Ethischen Gesellschaft gebildet hatte, um zwischen den Arbeitern und den Unternehmern eine Verständigung anzubahnen. Männer und Frauen der verschiedensten Parteirichtungen, deren Namen in der Öffentlichkeit einen guten Klang hatten, gehörten ihm an. Man beschloß, sich ihm gleichfalls anzuschließen. »Kommt es trotz alledem zum Streik, so schaffen wir eine Hilfskasse,« rief eine lebhafte kleine Dame, deren Energie beim Durchsetzen ihrer Pläne sie bekannt gemacht hatte. Man stimmte ihr ohne weiteres zu. »Wir müssen alle Geschäfte boykottieren, die die Forderungen der Arbeiter nicht bewilligen,« erklärte eine andere, und man überbot sich in steigender Erhitzung in Vorschlägen zugunsten der Sache. Ich erinnerte mich im stillen des Streiks der westphälischen Bergarbeiter. Auch damals sprach sich die öffentliche Meinung, soweit sie mir zu Ohren kam, zugunsten der Kämpfenden aus, aber sie tatkräftig zu unterstützen, daran wagte noch niemand zu denken. Also doch ein Fortschritt?! Mein Optimismus regte sich wieder.

      Ich berichtete Reinhard von dem Erlebten. »Halten Sie die Leute vor allen Dingen bei ihrem Unterstützungsversprechen fest. Alles andere ist Mumpitz,« sagte er. Und ich lief von einem zum anderen, und ließ mir, wo es irgend anging, schriftliche Zusicherungen geben. Inzwischen arbeiteten im stillen auch die Vermittler, und zu gleicher Zeit sah ich Martha Bartels und ihre Gefährtinnen, wie sie unermüdlich nach ihrer eigenen Arbeit treppauf, treppab stiegen, um die Begeisterung für den Kampf anzufachen, der ihnen nicht nur unausbleiblich, sondern erwünscht war. Sie schimpften laut und leise über das Zögern und Warten der Fünferkommission: »Wir pfeifen auf alle Versöhnungsduselei, bei der wir doch nur den kürzeren ziehen. Wir wollen eine ehrliche Entscheidung auf dem Schlachtfeld.« Die Ereignisse schienen ihnen recht zu geben.

      Am Abend des Kaisergeburtstages kam ich durch die menschenwimmelnde Friedrichsstadt. Nüchtern wie immer glänzten die Tausende elektrischer Birnen an den Geschäftshäusern, verschlangen sich zur Kaiserkrone, zum W. II, und nirgends zeigten sich Spuren einer von Liebe befruchteten Phantasie, die neue persönlichere Huldigungen hätte schaffen können. Irrte ich mich, oder waren die Fassaden der großen Konfektionshäuser sogar um einen Schein dunkler als sonst? Das Kaisertelegramm an den Burenpräsidenten Krüger schien, so hieß es, den Absatz deutscher Waren nach England lahmzulegen. Und während Alldeutsche und Antisemiten jubelten, ballten die Unternehmer die Fäuste im Sack.

      Die Versammlung, in die ich kam, bot ein anderes Bild als die letzte: es war vor allem eine der Männer. Und die Arbeiterinnen, die erschienen waren, gehörten zu den besser Bezahlten, zu den Aufgeklärteren, den Selbstbewußten. Etwas wie Siegeszuversicht schien sie zu beherrschen. Sie wiesen mit Fingern auf die Herren im Gehrock und Zylinder, sie tuschelten einander die Namen der Chefs und Zwischenmeister zu, die der Einladung der Arbeiterkommission heute gefolgt waren, sie warfen hochmütig den Kopf zurück, wenn einer von ihnen eine vertrauliche Begrüßung zu wagen versuchte. Reinhard sprach. Er erläuterte die Forderungen der Arbeiter. Seinem Temperament tat er sichtlich Gewalt an. Eisige Ruhe begleitete während der ersten Viertelstunde seine Rede. Dann unterbrach ihn eine gröhlende Stimme: »Bezahlter Agitator —«, das war das Signal für die anderen. Kein Satz blieb ohne Zwischenruf. Je dunkler die Flecken auf Reinhards Backenknochen sich röteten, je mehr die straffen Haarsträhnen ihm an den feuchten Schläfen klebten, und je heftiger die knochigen Hände ihm zitterten, desto lauter, roher, unflätiger wurde das Gebrüll der Zuhörer. Er sprach ruhig weiter — von den elenden Löhnen der Frauen, von ihrer sittlichen Gefährdung. »Sei man stille, Quasselkopp,« schrie dicht neben mir ein dicker Kerl, mit Brillantringen auf den roten Wurstfingern, »die Mächens wissen schon, wofür wir jut zahlen.« Alles lachte. »Frag mal, von wo die Kleene da ihren süßen, roten Lockenkopp hat,« rief ein anderer. »Von de sittliche Jefährdung,« brüllte aus dem Hintergrund eine ölige Stimme. Es war kein Halten mehr. Man überbot sich in zynischen Witzen. Und die Frauen, die vorhin so kampfbereit, so unnahbar schienen? Sie kicherten in ihre Taschentücher, einige lachten kokett die ärgsten Zotenreißer an. Reinhard schwieg erschöpft. Die Diskussion war von der allgemeinen Ulkstimmung beherrscht. Nur zuletzt, als es zur Abstimmung gehen sollte, erhob sich einer der Meister, um eine Programmrede zu halten. Er sprach vom Mittelstand, »dem sittlich gesunden Kern des Volkes, der wahre Religion und echtes deutsches Familienleben pflegt und hochhält,« und den »die Sozialdemokratie in ihrer Respektlosigkeit angesichts der heiligsten Güter der Nation« vernichten wolle. »Auch dieser uns angedrohte Kampf ist nichts anderes als ein Vorstoß der Umsturzpartei gegen die Staatsordnung, und zum Kanonenfutter lassen die Dummen unter den Arbeitern sich gebrauchen. Wir aber stehen wie ein Fels im Meer;« — unter dem Bravogeschrei der Zuhörer warf er sich stolz in die Brust und bewegte pathetisch die Arme. »Wir sagen nein und abermals nein und wissen, daß wir trotz dem Geschrei der Gegner, trotz Streikdrohung, immer noch so viel Arbeiter kriegen, als wir brauchen, — und wenn wir sie von den Hottentotten nehmen sollten.«

      Am Ausgang erwartete ich Reinhard. Ich sah, wie Martha Bartels, von einer Schar lebhaft gestikulierender Frauen umgeben, erregt auf ihn einsprach. »Es ist kein Halten mehr,« sagte er im Nähertreten. »Nun ist's aber auch höchste Zeit,« rief ich, noch heiß vor Entrüstung. »Wir müssen das Eisen schmieden, solange es warm ist, — in allen Kreisen findet der Streik Unterstützung.« »Sachte, sachte, liebe Genossin,« wehrte er ab. »Im Augenblick sind uns stärkere Knüppel zwischen die Beine geworfen worden, als Ihre hilfsbereiten Damen aufheben können. Wenn England die deutsche Konfektion boykottiert, so können wir einpacken.«

      Der Termin für die Antwort der Unternehmer wurde abermals herausgeschoben. In den Arbeiterkreisen begann es bedenklich zu gären; es gab Leute, die schon von Intrigen, Schmiergeldern und offenem Verrat munkelten. In Hamburg, in Erfurt, in Stettin, in Breslau brach der Streik aus, — in Berlin zögerte man noch immer, scheinbar um dem Vermittelungskomitee Zeit für seine Verhandlungen zu gewähren, in Wirklichkeit aber, um die Entwickelung der Dinge in England abzuwarten. Man glaubte an einen Krieg, zum mindesten an einen wirtschaftlichen. Endlich liefen, so zahlreich wie sonst, bei den großen Konfektionären die Bestellungen ein; und in einer Versammlung der Ethischen Gesellschaft wurde, zugleich mit einer rückhaltlosen Sympathieerklärung an die kämpfende Arbeiterschaft, das völlige Scheitern der Einigungsversuche mitgeteilt.

      Im Bureau der Schneider-Gewerkschaft trat die Arbeiterkommission zusammen. Es war wie im Hauptquartier eines Krieges. Wir empfingen die Streikerklärung als unsere Parole und unseren Marschbefehl. In riesigen Plakaten wurde die Bevölkerung am nächsten Morgen zu den Versammlungen eingeladen, mein Name stand unter denen der vierzehn Referenten.

      Ich saß mit meiner Rede beschäftigt am Schreibtisch, als es draußen zweimal heftig klingelte. Der Vater! — »Dein Name steht auf den Litfaßsäulen unter lauter Sozialdemokraten,« brauste er mich an.

      »Du bist auf der Seite der Streikenden, wie ich weiß, du selbst hast mich ermuntert.« Er ließ mich nicht ausreden. »Nicht um ein ungesetzliches Vorgehen zu unterstützen, — du mußt deinen Namen augenblicklich zurückziehen —«. Er stierte mich an mit dem wilden Blick, den ich so fürchtete. Ich lehnte mich zitternd an den Schreibtisch. »Fahnenflüchtig?! Nein! Wär' ich's, du würdest dich bei ruhiger Überlegung meiner schämen müssen.« Er umklammerte mein Handgelenk. »Soll ich mein Kind verlieren?« stieß er hervor, sein Atem keuchte, die Augen traten aus den Höhlen.

      »Ich kann mein Wort nicht brechen, — auch mir selbst gegenüber nicht,« flüsterte ich. Ein Ruck ging durch seinen Körper, meine Hand stieß er von sich, faßte sich ein paarmal mit den Fingern an den Kragen, als würde er ihm zu eng, und schritt festen Schrittes, wortlos, der Türe zu. Ich hörte sie zufallen, — eine zweite knarrend sich öffnen, — heftig ins Schloß zurückschlagen; ich lief ans Fenster: ein alter Mann ging über den Hof, sehr langsam, tief gebückt, schwer auf den Stock sich stützend. O, daß er nur ein einziges Mal den Kopf noch wenden möchte, — aber der starre Nacken bewegte sich nicht. Schluchzend brach ich zusammen.

      »Alix!« Heinrichs entsetzter Ruf brachte mich wieder zu mir. Er hatte den Vater fortgehen sehen und war, alle Vorsicht vergessend, zu mir geeilt. »Wirst du heut abend sprechen können?!« »Gewiß, — nun bin ich ja ganz — ganz frei!« Die Tränen waren versiegt, mir war, als läge mein Herz zu Eis erstarrt in meiner Brust. Selbst der Geliebte kam mir plötzlich fern und


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